Hallo Lucas,
Werden die Kunden den Unternehmen und ihren Produkten/Dienstleistungen durch
das Internet mächtiger und/oder kritischer, weil sie nun vernetzt sind und sich
organisieren können?
Ich denke, da muß man b2c und b2c unterscheiden.
Im Fall b2c: Die Kunden werden in Zukunft (teilweise auch schon jetzt) die Preise durch Agenten sehr viel besser vergleichen können, was zuerst mal einen sehr viel größeren Preisdruck auf die Verkäufer als im gewöhnlichen Handel ausübt. Das sieht man in Amerika ja auch an vielen dotcoms - sie unterbieten sich in den Preisen so lange, bis keiner mehr eine reale Profitmarge hat, und nur darauf hoffen kann, entweder den anderen über kurz oder lang aus dem Markt zu werfen, oder durch Zusatzleistungen Geld zu verdienen. Alles andere als Preise spielt im b2c meiner Meinung nach eine relativ geringe Rolle, s.u. zu 'on demand'. (ok, es madet mich, wenn irgendwer drei Tage länger braucht, um ein Buch zu liefern, aber ich kann mir ehrlich gesagt nicht vorstellen, wegen einem Buch vorher z.B.bei http://ciao.com zu recherchieren, wer jetzt besser ist, und das ist wohl bei den meisten so.)
Im b2c wird der Kunde meiner Meinung nach nicht insofern mächtiger, weil er alles im Endeffekt billiger kriegen kann, daß ist ein rein epistemischer Vorteil, der einfach das normale Wirken des Marktes beschleunigt. Der Kunde erhält aber neue Möglichkeiten, bisher nicht direkt im Marktgeschehen wiedergespiegelten Elementen Einfluß zu verschaffen (also 'kritischer') - so war es bisher nur in recht begrenztem Maße möglich, Firmen oder z.B. Rechtsanwaltskanzleien (*bg*) dadurch in ihren Geschäftsmöglichkeiten zu beschränken, daß man bekanntmacht, daß betreffende Organisation ihren Gewinn durch zwar nicht rechtswidrige, aber moralisch zu verwerfende Mittel erzielt - posten in öffentlichen Foren ist für sowas wie z.B. das Verhindern von Kinderarbeit oder Ausbeutung in der dritten Welt dann doch sehr viel wirkungsvoller als der Anschlag am Brett des Studentenheims.
Zu b2b: Genauso wie bei b2c ist hier eine stark erhöhter Preisdruck auf Zulieferfirmen zu erwarten, da die Marketplaces wie z.B. der von DaimlerCrysler und anderer Autofirmen einen schnellen, direkten Preisvergleich ermöglichen. Allerdings sind hier zusätzliche Dinge wie Erfahrungen mit der Qualität der gelieferten Produkte, der Zuverlässigkeit, evtl. ISO-Zertifizierung des Zulieferes, usw. wichtiger als bei b2c, wo man eher einen fest definierten Markenartikel erwirbt, so daß der Preisvergleich komplizierter wird (oder, umgekehrt: der Preisdruck bei b2c herrscht im Moment ja direkt auch nur zwischen sehr einfach zu vergleichenden Produkten wie Büchern und CD's).
Wird sich die Individualität von Produkten, z.B. durch "on demand"-Produktionsverfahren
(Beispiel http://www.bod.de) verbessern?
Ich denke die Individualisierung durch 'on demand' beschränkt sich aufgrund der Herstellungsverfahren auf relativ wenige Branchen, denn wennn Du z.B. dein Auto weiter individualisieren willst als in der Produktiosstraße des Herstellers vorgesehen, braucht der einen neuen Roboter, oder, anders gesagt: Wenn ich mir online ein neues Auto mit bestimmten Optionen zusammenstelle, bringt das an Individualität zuerst mal nicht mehr, als wenn ich den entsprechenden Fragebogen im realen Leben mit Kugelschreiber ausfülle - und für alles mehr braucht der Hersteller ein paar neue Roboter (z.B. für 'gravier' mir meine Homepageadresse statt des Namens meines Hifiherstellers in die Heckscheibe ein'). Mit Ausnahme natürlich von einigen leicht individual-standartisierbaren Produkten wie Büchern oder CD's, die nur aus einfachen Komponenten bestehen.
Wird der Einzelhandel schwere Umsatzeinbußen aufgrund von e-Commerce-Angeboten
(Beispiel http://www.amazon.de oder http://www.boo.com) hinehmen müssen?
Wenn ja, welche Branchen wird es besonders treffen? Wenn nein, warum nicht?
Treffen wird es die Händler von stark standartisierten Produkten, die nichts mit dem Lebensgefühl eines konsumorientierten Menschen zu tun haben - ich würde z.B. in den nächsten Jahren meine Rolle nicht gern mit einem Einzelhändler für Büroartikel tauschen. Gegen sowas wie boo.com würde ich (etwas sarkastisch) einwenden, daß schließlich die einzige Befriedigung in unserer Gesellschaft anscheinend das Konsumieren geblieben ist, und es bringt einfach mehr 'Spaßmehrwert', viele Dinge real einzukaufen, als sie online zu bestellen, von recht realen Problemen wie Kleideranprobe mal abgesehen. Oder, anders formuliert: wenn ich bei boo meine Kleidung in 15min kaufen kann, während ich sonst 3h brauche - was mache ich dann mit den 2.45h - Nachdenken? (über was? Was ich sonst noch bei boo kaufen könnte? Den Sinn des Lebens, der in Konsum besteht, also: unendliche Schleife?). Auf jeden Fall wird durch ecommerce in vielen Bereichen dem modernen Konsumenten der letzte Bereich zeitlich sehr eingeschränkt, in dem er sich glücklich fühlt, was meiner Meinung nach nicht gutgehen kann. Oder, noch sarkastischer:
A: Was hast'n gestern gemacht.
B: 'ging mir nicht gut, war shoppen, zum Ausgleich.
A: Geht mir genauso, wo warst Du?
B: In der neuen Einkaufspassage, hab' einen D&G Anzug für 1500,- gekauft, hat mich total beruhigt.
A: Krass, ich war surfen bei boo und hab' mir auch einen gekauft, aber ich wußte nicht, was ich danach machen sollte.
B: Hey, ja weißt, reales Einkaufen, ich hab' drei Stunden in Geschäften gewühlt, ein paar mal meine platin-supermegawichtig-american-express gezückt, das hat mich echt total relaxed - irgendwie muß man den peoples ja kommunzieren, daß man ein Held ist, und das geht halt nicht per boo (sieht ja keiner die Einkaufstüten...). Und das Shopping hat den Abend gut rumgebracht...
Grüße aus der schönen neuen vernetzten Welt ;-)
Stephan