Tim Tepaße: Innovation offener Standards und deren Entwicklung durch Firmen

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Hallo Chräcker,

Es ist genau auch dieses Denken der eher technik und Theorielastigen
Entwickler des freien Standards im Web das dazu führte, das das Medium
"aneinandergeschlossene Computer die Tag und Nacht weltweit angeschaltet
sind" in vielen Anwendungsfällen nur noch von kommerziell ausgerichteten
Firmen weiterentwickelt wird.

Diese Behauptung halte ich in Teilen für unsinnig. Zum einen weil die
Strukturen des Internet, wie wir es kennen, das WWW eingeschlossen, im
Großteil von der wissenschaftlichen Gemeinde und von Privatpersonen
entwickelt wurde, also das, was man am ehesten bei freien Standards
assoziert. Aber auch die anderen Standards, die von Firmen entwickelt
wurden und sich größtenteils durchgesetzt haben, sind als frei zu
betrachten. Viele der vom W3C empfohlenen Standards haben ihren Ursprung
in Firmen, schließlich ist das W3C (und andere internationale Gremien
zur Standardisierung) ein Industriekonsortium. Der Gedanke dahinter
scheint mir zu sein, daß ein größerer Markt entstehen kann, wenn die
Spezifikation frei ist, die Produkte jedoch unterschiedlich sind und
das dies unter dem Strich betrachtet mehr bringen kann als eine
Insellösung. Wobei Microsoft als Quasi-Monopolist gesondert zu
betrachten ist, gebe ich gerne zu.

Größere Firmen leisten sich dafür Deine theorielastigen Entwickler.
Weil diese stark theoretische Arbeit geleistet doch geleistet werden
muß und die Forschungen an Universitäten eher in die andere Richtung
gehen. Also macht es die Privatwirtschaft, entweder eigens dafür
angestellte Leutchen in größeren Firmen oder nebenbei Entwickler in
den kleineren. (Joel von Joel On Software hat diese Entwickler mal mit
dem schönen Begriff "Architecture Astronauts" bezeichnet. Könntest Du
glatt übernehmen, nicht? ;)

Zum Beispiel: Javascript. Es wurde von Netscape entwickelt, von Microsoft
in den Browserwars nach dem VBScript-Desaster als JScript kopiert. Dann
hat Netscape die Basis als ECMAScript von der ECMA standardisieren lassen
und so wie es aussieht basieren jetzt Javascript und JScript beide auf
ECMAScript. Und Du lebst nicht schlecht damit, oder? ;-)

(Jetzt besser überspringen)

Zum (ausgedehnteren) Beispiel: Das unter Weblogautoren im Moment so
beliebte XML-Format RSS.
In der Mitte der 90er entwickelte ein Kerl namens Guha für Apple ein
Format namens MCF. Dann wechselte er zu Netscape und sollte dort dieses
Format weiterentwickeln, weil Microsoft mit dem CDF ein XML-Format auf
dem Markt rollte. Nebenbei: XML ist ein freier Standard, der unter der
Schirmherrschaft des W3Cs von Microsoft und Sun mitentwickelt wurde.
Eine Verschmelzung von MCF und XML ging dann als Vorschlag an das W3C.
Aus XML-MCF entwickelte sich unter Netscape dann RSS 0.9. Gleichzeitig
entwickelte David Winer für seine eigene Firma Userland am Beispiel des
Formates CDF sein ScriptingNews-Format. Dieses entwickelte er dann,
immer noch für seine Firma zu RSS 0.91 und dessen Nachfolgern weiter.
Gleichzeitig wurde RSS 0.9 von einer Working Group des W3C weiterentwickelt,
im Kernteam von Leuten, die diversesten Firmen angehören (So zum Beispiel
O'Reilly, um die bekannteste zu nennen), aber die Entwicklungsmailingliste
war für jeden offen. Man wollte RSS 0.9 mit dem anscheinend an XML-MCF
angelehnte Metadatenformat RDF (Unter der Schirmherschaft des W3Cs von
eine Nokia-Angestellten entwickelt) darin einbringen und dies natürlich
mit den später zur XML Spezifikation hinzugefügten Namespaces (Eine
Spezifikation von HP und Microsoft Angestellten). So entstand RSS 1.0.
Dave Winer von Userland, obwohl am Anfang mitwirkend war damit unzufrieden
und veröffentlichte für seine Firma RSS 2.0, in dem der die Möglichkeit
der Namespaces mit übernahm. Später stellte er diese Spezifikation wegen
einiger öffentlicher Proteste (Es gibt viele politische Differenzen um RSS)
unter die Schirmherrschaft der Rechtsfakultät der Universität Harvard.

(Jetzt bitte wieder anfangen zu lesen)

Was will ich mit dem ganzen Wust sagen? Freie oder besser offene Standards
sind keine Domäne von irgendwelchen idealistischen Privatpersonen. Sie
werden von Theoretikern angedacht und von etwas pragmatischeren Jungs in
tatsächliche Standards umgesetzt. Und all diese sind von Firmen angestellt,
die sich in Gremien zu Standardisierung, seien es institutionalisierte,
seien es unformelle wie das Wiki zu Entwicklung vom RSS-Konkurrenten Atom
engagieren. Es gibt einen langfristigeren Trend hin zu offeneren Standards,
die Märkte für Produkte und Services entstehen lassen. Zähl mal alleine die
Zahl der kommerziellen und nicht-kommerziellen Produkte, die RSS ausspucken
und konsumieren können. Und oft schafft dies mehr als proprietäre
Insellösungen.

Die freien Pendants dümpeln was die Comsumerfreundlichkeit angeht, weit
hinterher.

Ich sehe ein Hinterherdümpeln in der Technologie- und Marktdurchsetzung.
Aber in der Consumerfreundlichkeit?

Man hat ja html und habe sich daran zu halten.

Ich sehe niemanden, der eine Weiterentwicklung blockieren würde. (Das mit
dem daran zu halten spare ich mal aus, angesichts der Erfahrungen aus den
Browserkriegen der 90er dürfte das so langsam als Selbstverständlichkeit
ins Bewußtsein einfließen. Schließlich sind es Standards) Aber wo siehst
Du eine Blockadementalität gegen Weiterentwicklung?

(..) wenn es für die gewünschten Einsatzmöglichkeiten ebenfalls weit
entwickelte freie Alternativtechniken gäbe.

Die gibt es. Sie haben es aber noch nicht wirklich als Implementierung
wirklich in den Markt gebracht, einfach weil der Platz schon teilweise
besetzt ist. Aber schau Dir mal an, was Thomas Meinike da für Dinge mit
SVG macht. Guck Dir an, was mit PNG geschieht.

Wie gut das es einige Menschen gab, denen der Stummfilm nicht ausreichte
und sich nicht sagten: "unsere Inhalte haben sich an das Medium zu
halten."

Um nochmal zum Threadthema zurückzukehren: Ich glaube hier mißverstehst
Du emu, auch wenn dieser sich recht kontrovers und missverständlich
ausgedrückt hat. Wenn das Medium aus naheliegenden Gründen einem
technischen Standard zu folgen hat, kann ein durch Inhalte bedingter
Bruch dieses Standards im Gegensatz zu Brüchen in kompromissbereiteren
Medien recht chaotische Züge an sich nehmen. Es hat seinen Grund,
weswegen es einen Standard gibt.

In Beispielen: Eine Buchseite verdaut es wunderbar, wenn statt des von
Gutenberg inspirierten Einheitsdruck plötzlich ein Textkunstwerk von
Jandl zu sehen ist. Ein Filmprojektor kriegt arge Schwierigkeiten, wenn
der Regisseur plötzlich meint statt in 35mm Film in 47,8mm-Film filmen
zu müssen. Nicht, daß keine standardisierte Weiterentwicklung in diesem
Bereich existieren würde; es gibt entsprechendes in Industriekonsortien
entwickeltes (HighDefinition, THX und wie es alles heißt). Aber auch das
muß sich am Markt durchsetzen.

emus Satz ist recht kontrovers zu sehen. Ich persönlich neige mich so
langsam einer eher pragmatischen Sichweise zu, könnte aus der prinzipiellen
Ecke aber nicht wirklich etwas dagegen sagen.

Denn schließlich: In diesem Thread geht es nicht um den tatsächlichen
Alltag, sondern um Utopien. Wir Architekturastronauten, wir.

Tim

--
Meine persönlichen Utopien bräuchten zum Beispiel ein Grafikprogramm,
recht viel Zeit und genauer ausformulierte Ideen zum umgestalten der
Browsermetapher.
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Zu Navigationsleisten und deren Umsetzung

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          Innovation offener Standards und deren Entwicklung durch Firmen

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