Cybaer: BdW-Titelstory: Warum Glaube nützt

Hi,

die aktuelle "Bild der Wissenschaft" hat eine IMHO ziemlich interessante Titelgeschichte, die sich mit dem Grund der Existenz von Religion befaßt.

Ich habe mir erlaubt, die dortigen (nach wie vor lesenswerten ;-)) Artikel mal zusammenzufassen:

Altruismus hat sich in der Evolution als vorteilhaft erwiesen. Da wir Menschen nur bedingt den genetischen Altruismus kennen (Familienbande, aber im Tierreich extrem z.B. bei Ameisen), müssen wir andere Gemeinschaften bilden, die dafür sorgen müssen, daß dieser Altruismus nicht von Egoisten ausgenutzt wird. Eine Möglichkeit Gemeinschaften zu bilden, bietet die Religion.

Natürlich könnten Egoisten den in der (religös zusammengehaltenen) altruistischen Gemeinschaft (reziproker Altruismus) die Religiösität nur vortäuschen. Die Wahrscheinlichkeit wird jedoch geringer, wenn der Aufwand groß ist (costly-to-fake principle, dt.: "teure Signale" - gesunde, kräftige Springböcke demonstrieren ihre Kraft bei Gefahr durch höchstmögliche Sprünge, anstatt diese Energie für die Flucht zu benutzen, um den Gegner zu beeindrucken, der sich dann ein vermeintlich leichteres Opfer sucht).

Bei Religiösität ist dies: exzessives Beten, Nahrungstabus, Fasten, Askese, Pilgerzüge, Abgaben, Arbeitsleistungen, Zeit, Erlernen von Geboten, Beschneidungen, körperliche Exerzitien bis hin zu Geißelungen - tradiert durch Rituale, insbesondere als Initiationsrituale in den besonders prägenden Jugendjahren.

Das schadet der natürlichen Selektion, fördert aber die sexuelle Selektion (vgl. Hirschgeweih, Pfauenrad, etc.). Man sieht mehrheitlich Männer bei der Religionsausübung, aber Frauen sind Untersuchungen zufolge gläubiger ("Die Mädels sind doch sehr interessiert, ob einer fromm und schlicht nach altem Brauch. Sie denken: Duckte er da, folgt er uns eben auch.", ließ Goethe schon Mephistopheles sagen - ebenso die Gretchenfrage: "Nun sag, wie hast du's mit der Religion?").

Diese Kosten erscheinen einem egoistischen "Faker" aber subjektiv viel höher als für jene, die "im Glauben leben". Ein bloßes Mitmachen um der sozialen Vorteile willen scheint daher zu aufwendig und wird daher unterlassen - außer von jenen, die glauben und sich für die kurzfristigen Nachteile langfristige Vorteile versprechen - und sei es ein paradiesisches Leben nach dem Tod. Daher gilt der "teure" Glaube eines Kooperationspartners auch als Indiz für dessen Zuverlässigkeit.

Es wurde nachgewiesen, dass religiöse Gemeinschaften langlebiger sind als weltliche - und zwar umso beständiger, desto striktere Regeln sie haben. Liberalisierungsforderungen unterlaufen die "soziobiologische Logik" des religiösen Altruismus. Insofern sind Selbstmordattentäter die Extremform dieses Altruismus, da sie denken, sie würden ihrer Gruppe Vorteile verschaffen.

Damit einher geht die tief verwurzelte Achtung die Religionen entgegengebacht werden, basierend auf der Vorstellung, dass religiöse Menschen gute Absichten haben, versuchen, ein moralisches Leben zu führen, den ernsthaften Wunsch hegen, nichts Böses zu tun und mögliche Missetaten wiedergutzumachen. Verbunden ist dieser Glaube oft mit der Überzeugung, die Menschen seien von Natur aus böse und verdorben und darauf bedacht, sich gegenseitig zu schaden - sofern sie nicht durch eine "religiöse Zwangsjacke" daran gehindert würden.

Dem gegenüber steht eine, ja bis heute nicht abreißende, lange Kette religiöser Kriege, im Namen Gottes begangene Grausamkeiten und Verbrechen gegen die Menschlichket. Seit mehr als 75 Jahren wird bei Untersuchungen aber immer wieder festgestellt: Religiöse Menschen haben die Rechtschaffenheit nicht für sich gepachtet. Die Psychologin June Price Tangney: "Es war nicht der geringste Einfluss der religiösen Orientierung auf die Häufigkeit und Intensität der mit Moral verbundenen Emotionen nachzuweisen." Frömmigkeit erzeugt keine besseren Menschen. Religiöse Menschen lügen und betrügen nicht seltener als Atheisten, sie sind auch keineswegs barmherziger oder sozialer. Psychologe Bernd Spilka: "Obwohl religiöse Menschen dazu neigen, sich für ehrlicher zu halten als nicht-religiöse, sprechen Befunde dafür, dass es keine oder gar eine negative Beziehung zwischen Religiosität und Erhlichkeit gibt." Ähnlich steht es um die Tugend der Barmherzigkeit.

Laut Spilka bescheinigen aber immerhin statistische Analysen einen sehr schwachen Trend, seltener kriminell zu werden - allerdings nicht in allen Studien. Unleugbar ist hingegen die Affinität von religiösen Menschen zu extremistischer Gewalt. US-Terrorismusexperte Bruce Hoffman: "Während weltlich motivierte Terroristen selten Auslöschungen ganzer Menschengruppen anstreben, weil solche Exzesse ihrne Zielen schaden, legen es die Religiösen oft gerade auf solche Gemetzel an."

Auch der Zusammenhang zwischen Religiosität und Vorurteil ist deutlich messbar: Umso stärker die religiöse Orientierung, desto voreingenommener sind Menschen gegen Homosexuelle, Farbige - und religiöse Minderheiten. Psychologe Spilka: "Es hat etwas Bestürzendes, dass sich ausgerechnet jene, die die religiöse Lehre besonders ernst nehmen, als die Intolerantesten erweisen." Religion besitzt kein Monopol auf Moral.

Weitere IMHO interessante Zitate aus den Artikeln:

"Die Freiheit in einer Gemeinschaft bringt den Ruin für alle."
Garret Hardin, Ökologe

"Man traue keinem erhabenen Motiv für eine Handlung, wenn sich auch ein niedriges finden läßt."
Edward Gibbon, Historiker

"Evolutionsbiologisch betrachtet ist Gott ein imaginäres Alphamännchen, eine Primatenhirn-Konstruktion, die einigen Mitgliedern unserer Spezies deutliche Vorteile im Kampf um die Resourcen verschaffte.
Das Prinzip ist einfach: Wer es versteht, den Eindruck zu erwecken, einen besonders guten Draht zum jenseitigen Silberrücken zu besitzen, der kann alleine dadurch seine Stellung innerhalb der menschlichen Säugetierhierarchie aufbessern. Trotz vieler Jahrtausende Zivilisation ist die Wirksamkeit dieser Form der Machterschleichung relativ stabil geblieben."
Michael Schmidt-Salomon, Philosoph

"Glaube, ohne zu hinterfragen, was immer erwachsene Bezugspersonen dir sagen. Religionsführer sind sich der Verletzbarkeit der kindlichen Gehirne voll bewusst und der Wichtigkeit, sie möglichst früh zu indoktrinieren. Unsere psychischen Dispositionen machen uns für Religion anfällig wie der Lichtkompass Motten für ihrne Todesflug."
Richard Dawkins, Evolutionsbiologe

"Wir sind alle Atheisten bezogen auf die meisten Götter, an die die Menschheit jemals geglaubt hat. Einige von uns gehen lediglich einen Schritt weiter."
Richard Dawkins, Evolutionsbiologe

"Welche Religion man auch hat, es gibt stets mehr Menschen in der Welt, die diese Religion nicht teilen, als solche, die sie teilen. Somit ist es nötig zu erklären, warum so viele Leute irren - und wie jene, die angeblich die richtige Religion kennen, wenn es sie denn gibt, dies herausgefunden haben."
Daniel Bennet, Philosoph & Evolutionstheoretiker

Gruß, Cybaer

--
Hinweis an Fragesteller: Fremde haben ihre Freizeit geopfert, um Dir zu helfen. Helfe Du auch im Archiv Suchenden: Beende deinen Thread mit einem "Hat geholfen" oder "Hat nicht geholfen"!
  1. moin Cybaer :)

    Nachdem ich es nun auch endlich geschafft habe, den Artikel zu lesen, möchte ich noch etwas hinzufügen:

    Überaus spannend fand ich auch den Info-Teil über die Kinderanzahl von Gläubigen im Vergleich zu Nichtgläubigen.

    Das macht mir als doch recht gläubige Akademikerin Hoffnung auf die Erfüllung meines Kinderwunsches :)

    liebe Grüße aus Berlin
    lina-

    --
    Dinge aus dem linaland
    Self-Code: ie:% fl:( br:^ va:) ls:/ fo:| rl:( ss:) de:] js:| mo:)
    1. Hi,

      Überaus spannend fand ich auch den Info-Teil über die Kinderanzahl von Gläubigen im Vergleich zu Nichtgläubigen.

      Ja, fand ich auch interessant - wie noch einiges mehr. ;-)

      Das macht mir als doch recht gläubige Akademikerin Hoffnung auf die Erfüllung meines Kinderwunsches :)

      :) Na, da wünsch ich dir doch mal alles Gute ... :-)

      Gruß, Cybaer

      --
      Hinweis an Fragesteller: Fremde haben ihre Freizeit geopfert, um Dir zu helfen. Helfe Du auch im Archiv Suchenden: Beende deinen Thread mit einem "Hat geholfen" oder "Hat nicht geholfen"!