Sven Rautenberg: Preise die ich erfahren habe

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Moin!

Guten Abend,

ich habe vorhin mit der AOK und der HUK telefoniert. Die AOK möchte pro Monat von mir 360,00 Euro :/ das kann ich mir niemals leisten bzw. jetzt zu beginn nicht, das sind 1/3 von dem was ich einnehme werden.

Die HUK möchte von 122,00 Euro bei 1500,00 Euro Selbstbeteiligung.

Keine Ahnung was ich machen soll. Die Selbstständigkeit ist meine einzige Chance die ich habe um nicht vom Amt leben zu müssen was ich auf keinen Fall möchte!

Lass es mich so klar formulieren: Deine Selbständigkeit ist zum Scheitern verurteilt. Das sage ich dir als gescheiterter Selbständiger.

Selbst unter günstigsten Annahmen deiner bisherigen Schilderungen bist du schon jetzt zu billig. Ich rechne:

Zwei Kunden á 600 EUR/Monat = 1200 EUR/Monat
 Jeweils 0,5 Tage Aufwand pro Woche pro Kunde = 1 Tag Aufwand pro Woche.
 (Sollte ich dich da falsch verstanden habe, und du machst ZWEI halbe Tage pro Kunde: Alle Verdienste durch zwei teilen!)
 4 Wochen pro Monat macht 4 Tage Arbeit im Monat
 4 Tage Arbeit verkaufen für 1200 EUR macht 300 Euro pro Tag.

Tagessatz: 300 Euro.

Ich gehe mal davon aus, dass du deinen Kunden bisher keine Rechnung mit Mehrwertsteuer ausstellst. Beim Wechsel in die Selbständigkeit wirst du das aber irgendwann müssen. Nehmen wir an, dass du den Vorteil des Umsatzsteuervorabzugs von Beginn an nutzen willst, um deine Anschaffungen gegenrechne zu können. Das bedeutet für deine Kunden, dass sie plötzlich 19% mehr auf der dann Brutto-Rechnung haben - du kostest dann also brutto plötzlich 357 Euro. Das macht dem Kunden dann nichts aus, wenn er Vorsteuer abziehen kann, denn er zahlt netto weiterhin nur 300 Euro. Wenn nicht, hast du ein Problem, denn du wirst teurer, ohne mehr dadurch zu verdienen.

Willst du den Kunden nicht mit den Mehrausgaben belasten, hast du nur zwei Möglichkeiten: Entweder du rechnest die 300 Euro als Brutto, dann bleiben dir als Einnahme nur noch 252 Euro übrig - oder du bleibst steuerlich erstmal Kleingewerbetreibende, dann sind deine Rechnungen ohne Umsatzsteuer, dein Kunde kann davon keine Vorsteuer ziehen wie jetzt auch, und du kriegst den gesamten Betrag als Einnahme - kannst im Gegenzug aber auch keinerlei gewerbliche Ausgaben umsatzsteuerlich dagegen rechnen, d.h. alle deine Ausgaben sind im Vergleich 19% teurer, als bei der Umsatzsteuer abführenden Konkurrenz.

Egal, ob Kleingewerbe oder Umsatzsteuer obendrauf: 300 Euro pro bezahltem Tag. 1200 Euro im Monat (bei 4 Tagen Arbeit, 18 bis 27 Tage unbezahlt). 14400 Euro brutto im Jahr.

Das allererste, was du davon zu bezahlen hast, ist Einkommensteuer. Kostet dich 1240 Euro im Jahr. Außerdem die Nerven zur Erstellung der Einkommensteuererklärung (dazu bist du verpflichtet), inkl. der Verwaltung der zugehörigen Belege. Die zu zahlende Steuer darfst du übrigens erstmal geeignet auf einem Konto ansammeln, bis du einen Steuerbescheid für das erste Jahr bekommst. Mit dem Steuerbescheid kriegst du die Zahlungsaufforderung, die Steuern für den zurückliegenden Zeitraum praktisch sofort zu zahlen, und als Vorauszahlung für den nächsten Zeitraum dann regelmäßig auch recht viel Geld.

Sofern du Umsatzsteuer ausweist, ist die Umsatzsteuer auch sehr zeitnah zu entrichten, da ist das Finanzamt aber fixer als bei der Einkommensteuer. Als Umsatzsteueranfänger darfst du dich zum Einarbeiten dann auch jeden Monat mit der Umsatzsteuervoranmeldung herumschlagen, inklusive deren elektronischer Übermittlung ans Finanzamt und der rechtzeitigen Überweisung des Geldbetrags.

Danach kommt, wie du unschwer festgestellt hast, die Krankenversicherung. Bei monatlichen Ausgaben von 122 Euro PKV zahlst du im Jahr 1464 Euro. Wirst du krank, zahlst du die ersten 1500 Euro deiner Krankheitskosten auch selbst. Wenn du das ausreizt, zahlst du also zusätzlich noch die 1500 Euro im Jahr Selbstbeteiligung. Zusätzlich zahlst du auch alle Krankheitskosten, die in diesem Tarif nicht versichert sind (vermutlich zählen die auch nicht zur Selbstbeteiligung). Also best case 1464 Euro im Jahr, worst case 2964 Euro bei der privaten Krankenversicherung.

Die gesetzliche Krankenversicherung kostet dich 4320 Euro im Jahr - allerdings ohne Selbstbeteiligung, und ohne gravierende Lücken beim Versicherungsschutz.

Von deinen geringen jährlichen Einnahmen bleiben dir also:

14400 EUR Umsatz
  -  1240 EUR Einkommensteuer
  -  1460 EUR Private Krankenversicherung
    11700 EUR Einnahmen

Das ist der best case - bei Krankheit fehlen dir spontan bis zu weiteren 1500 Euro. Außerdem hast du bei Krankheit ganz schnell Einkommenseinbußen, weil du nicht arbeiten kannst.

Abgesehen davon bist du mit diesem Plan absolut unzureichend abgesichert. Es fehlt dir MINDESTENS noch eine Haftpflichtversicherung (kostet keine 60 Euro im Jahr, also Peanuts), eine Berufsunfähigkeitsversicherung und eine Rentenversicherung. Die letzteren beiden darfst du in ähnlicher Höhe kalkulieren, wie die private Krankenversicherung - je nach Absicherungsniveau.

Es bleiben dir also Jahreseinnahmen deutlich unter 10000 Euro. Deutlich unter 833 Euro im Monat.

Du wirst als erstes nach diesen Zwangsabgaben die Miete bezahlen wollen. Wenn das überraschend weniger als 400 Euro sind: Gratulation, du wohnst sehr günstig (Nebenkosten, Strom, Heizung, Wasser etc. müssen da aber schon mit rein). Blieben 433 Euro im Monat übrig zum Leben.

Der Hartz4-Satz liegt bei 391 Euro, und hat nicht das unkalkulierbare Risiko der privaten Krankenversicherung. Man muss dafür aber auch nicht vier Tage im Monat arbeiten und sich die restliche Zeit mit Steuererklärungen und der Neukundengewinnung herumschlagen.

Ich kann deine Aversion gegen "das Amt" verstehen. Ich stand selbst schon vor der Entscheidung, nach der Ablehnung des normalen Arbeitslosengeldes Hartz4 zu beantragen oder unbeeinträchtigt vom Amt meine Jobsuche zu starten und meine Ersparnisse aufzubrauchen. Ich hab mich für die Jobsuche entschieden und gelangte erst nach Monaten zu einem Job, den ich nicht bereut habe. Es hat aber Nerven gekostet.

Wenn du dich also in die Selbständigkeit gezwungen fühlst, weil du keine Alternative siehst, ist das für mich noch ein viel deutlicheres Warnsignal dafür, dass du keinerlei wirtschaftlichen Plan aufgestellt hast, der dir die Bedingungen beschreibt, unter denen du überhaupt eine wirtschaftlich tragfähige Selbständigkeit starten kannst. Insbesondere hast du dich mit Sicherheit noch in keiner Weise über irgendwelche relevanten Fördergelder informiert, von wem auch immer die kommen könnten. Sofern tatsächlich die Situation gegeben wäre, dass deine Selbständigkeit grundsätzlich soviel abwerfen würde, wenn nur die erste Durststrecke überwunden wäre, wäre es natürlich fatal, wenn du uninformiert Geldquellen ungenutzt lässt bzw. deren Nutzung sogar unmöglich machst (manche Fördergelder lassen sich z.B. nur VOR dem Start beantragen, nicht mehr DANACH, oder auch nur bei der ersten Selbständigkeit, danach nie wieder).

Ich will nicht den Eindruck erwecken, dass diese Förderungen dir die Selbständigkeit retten. Ohne Wirtschaftsplan kriegst du von keinem Geld. Ohne Wirtschaftsplan siehst du nicht, was du in den Monaten verdienen musst, welche Ausgaben du mit Sicherheit haben wirst, was am Monatsende für dich privat übrigbleibt. Ohne Plan wirst du scheitern - und im Zweifel eine private Krankenversicherung und einen Haufen Schulden am Hals haben und aus der Situation nicht mehr rauskommen: Die gesetzliche Krankenversicherung nimmt dich nur, wenn du (bei Leistungsbezug) arbeitslos bist oder einen Job hast. Einen Job zu finden funktioniert schon jetzt für dich nicht, und "Geld vom Amt" lehnst du ab.

- Sven Rautenberg