marctrix: Inclusive Design 24 am 09.06.2017

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Hej pl,

Meine Frage zielt jedoch auf Inklusion. Für mich ist nach einem schweren Schlaganfall alles mit Mehraufwand verbunden gegenüber dem Zustand vorher. An diesem Mehraufwand, den ich allein selbst zu meistern habe, kann die beste Technik nichts ändern. Deswegen hab ich hier mal nachgefragt, eher damit ihr mal darüber nachdenkt, wie solch Buzzwort wie Inklusion bei einem ankommt der selbst nach 2 Jahren immer noch Probleme hat, sich isns Leben zurückzukämpfen.

Du irrst in mehrfacher Hinsicht. Zu allererst in der Hinsicht, dass du dich in die Situation hineinversetzen kannst, behindert zu sein. Mit mehr als zehn Jahren Erfahrung im Krankenhaus, meistens auf einer internistischen Station mit viele teils und komplett gelähmten Menschen und weiteren ähnlichen Erfahrungen kann ich dir vor allem eines sagen: ich weiß, wie andere reagiert haben, denen so etwas zugestoßen ist. Keiner davon wusste allerdings selber vorher, was das für ihn bedeutet, was besonders schwer fallen wird und ob er überhaupt in der Lage sein würde, den Schicksalsschlag zu bewältigen. So wird es mir und dir auch ergehen, falls es uns treffen wird. Ja, es gibt Menschen, die verbittern und über jedes Hilfsangebot spotten, die ständig die Menschen beschimpfen, von deren Hilfe sie abhängig sind und auch sonst unerträglich werden für ihre Umwelt. Das ist eine Art, wie Depressionen sich manifestieren können. Aber selbst solche Menschen sind - ob sie es wollen oder nicht - auf Unterstützung angewiesen. Ob sie - wie du - unverständlicherweise Inklusion für ein Buzzwort halten, ändert nichts an der Tatsache, dass sie bestimmte Barrieren nicht überwinden können. Und wir, die dagegen etwas unternehmen, sorgen dafür, dass solchen Menschen ein Rest an Selbstwertgefühl und Selbstbestimmung bleibt. Denn unsere Hilfe ist so subtil, dass sie überhaupt nicht wahrnehmbar ist. Schließlich besteht sie nicht aus einem fassbaren Gegenstand, wie einem Hörgerät oder einer sichtbaren Tat, wie es eine Handreichung ist. Barrierefreiheit zeichnet sich durch Weglassungen aus. In einer barrierefreien Welt gibt es keine Grenzen, keine Stufen, keine CAPTCHAs, keine falsch ausgezeichneten Überschriften. Eine inklusiv gestaltete Welt ist die Verkörperung von "it just works".

So wenig man sich bei Apple-Produkten während der Nutzung darüber ärgert, so wenig ärgert man sich auf Webseiten oder im real life, wenn man trotz Schicksalsschlag nicht dauernd behindert wird.

Alle anderen, denen diese Art der Depression erspart bleibt, sind eh bestrebt selbstbestimmt zu leben - und fordern das auch ein, was du als buzzwort abtust. Inklusives Design verringert die Unterschiede und die abstände von Menschen mit und ohne Behinderung und führt näher an das Ideal einer Gesellschaft, in der es in viel mehr Bereichen als heute keinen Unterschied mehr macht, ob man eine Behinderung hat oder nicht. Du irrst dich also auch in der Hinsicht, ob es sinnvoll ist, inklusiv zu gestalten. Du irrst auch in der Hinsicht, für andere Bedürfnisse oder gar wünsche formulieren zu können.

Ich habe einen Lesetipp für dich: Barrierefreiheit im Internet - ein Handbuch für Redakteure von Domingos de Oliveira.

Lässt sich gut lesen, lässt tatsächlich Betroffene zu Wort kommen und lässt dich vielleicht mal das tun, was du von anderen forderst: nachdenken.

Ein jeder kehr vor seiner eigenen Tür, dann ist die Welt bald sauber… 😉

Meine Türen sind nun mal Webseiten und der Dreck sind die Barrieren. Ich kann nicht anders als das Internet vom Müll zu befreien. Und will auch nicht anders.

Marc