Aloha ;)
sagen wir es einmal so: Es ist der Archetypus von weiblich, ein Kind zu gebären. Dieser Archetypus ist mit "Frau" verknüpft. Wer also nachweislich diesen Archetypus erfüllt, sich aber so nicht fühlt, muss sich gefallen lassen, dass dieses sich-nicht-als-Frau-fühlen Fragen nach dem Zustand der eigenen Psyche aufwirft.
Wir waren uns doch einig, dass es unter Frauen Frauen gibt, die mehr typisch männliche Charakterzüge aufweisen als weibliche. Was spricht dagegen, dass sich diese Frauen dann als Mann kleiden, als Mann auftreten und als Mann fühlen? Nichts.
Ob sie mal ein Kind geboren haben oder werden ändert an ihren Gefühlen und ihrer Selbstwahrnehmung nichts, zumindest nicht zwangsläufig.
Sich "divers" einzuordnen oder zu sein und gleichzeitig ein Kind geboren zu haben oder gebähren zu können ist kein Widerspruch.
Das nicht, aber warum empfindet sich diese Mutter nicht auch als Frau? Und welche Alternative nimmt sie für sich in Anspruch?
Das mag dir diese Mutter dann auf Nachfrage beantworten können; genauso kann sie dir dann sicher sagen, wo ihre Vorstellung von "typisch weiblich" liegt und warum der mit Gebärfähigkeit nicht deckungsgleich ist.
Das wichtige für uns „Normalos“ in dieser ganzen Frage ist es nicht, jede Selbst- und Fremdwahrnehmung lückenlos nachvollziehen oder vorherahnen zu können, sondern unsere toleranzgebotene Aufgabe ist es, dafür offenzubleiben, dass unsere Sicht auf Archetypen oder im konkreten Fall auf Weiblichkeit nicht zwangsläufig auch für alle anderen Menschen gelten, und dass deren Sichtweise genauso akzeptabel und respektabel ist.
Ich sehe das als ein absolutes Luxusproblem unserer überfütterten und gelangweilten Gesellschaft.
Das ist jetzt arg negativ formuliert. Zum Teil hast du damit Recht - Fragen der sexuellen Identität kommen sicher in einer Gesellschaft und bei Personen, denen es im Großen und Ganzen gut geht und die keine weitaus existentielleren Sorgen haben stärker zum Tragen, als wenn man vor Hunger und Zukunftsängsten gar nicht dazu kommt, sich groß Gedanken um die eigene sexuelle Identität zu machen.
Dass es Probleme geben kann, die möglicherweise existenzieller sind, macht die Probleme für die Betroffenen nicht weniger wichtig.
Wäre diese Mutter in der Verlegenheit für ihr Überleben einen Ehebund eingehen zu müssen, der von ihr selbstverständlich verlangt, dass sie Kinder gebärt, dann lebte sie in einer Gesellschaft und Situation, in der sie sich diese Geschlechteridentitätsfrage überhaupt nicht leisten könnte. Also warum hier und heute? Weil es sonst keine echten Probleme mehr im Leben gibt?
Ja. Du sagst das eigentlich ganz richtig. Es gibt sonst keine echten Probleme mehr im Leben, also kommen diese Probleme, die ganz genauso echte Probleme sind, zum Vorschein, weil man viele andere schon gelöst hat und nun Raum da ist, auch solche Probleme zu überdenken, die vielleicht auch nur für einen kleinen Teil der Personen in unserer Gesellschaft ein echtes Problem sind.
Die nächste Frage, die sich stellt ist die: Welches Rollenbild lebt diese Mutter ihrem Kind vor? Mit der Geschlechteridentität kommen ja auch Rollenbilder ins Spiel. An denen orientieren sich Kinder. Und ja, die können mit allem möglichen klar kommen, das sehe ich ein. Aber wie ist das dann später, wenn ein Sohn sich eine Frau sucht, um eine Familie zu gründen?
Das ist nicht direkt die nächste Frage, sondern eigentlich im Kern eine andere. Die ist ziemlich identisch mit der Frage, wie das mit den Rollenbildern und den Vorbildern in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften mit Kindern aussieht, und das ist was, was hierzulande erstens bereits anerkannt ist, und was ich zweitens hier nur sehr ungern auch noch diskutieren würde. Kern des Pudels in dieser Diskussion ist aber, dass die Selbstwahrnehmung der Mutter sich durch dieses Argument auch nicht verändert - und mit gleichem Recht könnte man sich fragen, ob in jeder cis-Mann-cis-Frau-Beziehung mit Kindern die Rollenbilder gleich verteilt sind. Ich bin mir ziemlich sicher, dass dem nicht so ist. Ja, Kinder orientieren sich an Rollenbildern, aber die bekommen sie auch anders vorgelebt als nur von den eigenen Eltern, und die konkrete Ausprägung der Rollenbilder ist von Elternhaus zu Elternhaus sehr unterschiedlich, ohne, dass darunter direkt das Kindeswohl leidet.
Haben wir nicht schon genug größte Schwierigkeiten beim Selbstverständnis von Jungen und jungen Männern, was ihre Rollenbilder angeht?
Das ist stark verallgemeinert. Wenn du jetzt speziell auf die hohen Quoten weiblicher Bezugspersonen in Kindergarten und Grundschule abstellst, kann ich dir da Recht geben. Ein gesamtgesellschaftliches Problem sehe ich allerdings nicht.
Machen es die Diversen unter den Eltern ihren identitätssuchenden Zöglingen wirklich leichter? Oder schwieriger?
Das ist keine Frage die sich stellt. Wie sich Menschen wahrnehmen oder Fühlen bemisst sich nicht an der gesellschaftlichen Nützlichkeit solcher Gefühle. Und das ist auch ganz richtig so.
Es ist so schon reichlich kompliziert. Da empfinde ich diese Komplikation als vermeidbar.
Es geht nicht darum, was du vermeidbar findest.
Ich empfinde Flüge in den Urlaub und andere Umweltsünden, die in unserer Gesellschaft vorkommen, auch als vermeidbar. Trotzdem kommen sie vor, und trotzdem muss ich das als Teil der Gesellschaft akzeptieren. Der Vergleich hinkt natürlich.
Trotzdem ist steigende Komplexität eben kein Argument, um Veränderungen, die unsere Gesellschaft für Menschen öffnet, die sich nicht einordnen können oder wollen, abzulehnen, denn die Toleranz gegenüber andersdenkenden oder andersfühlenden Menschen und das Gebot, andere Menschen als das, was sie sind und fühlen anzuerkennen, ist ein wertvolles Gut.
Grüße,
RIDER