marctrix: Schulung „Grundlagen der barrierefreien Webentwicklung“ am 1.10.19 in Bonn

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Hej Der Martin,

Die von dir beschriebenen nationalen Unterschiede finde ich interessant!

ja, ich auch - und ich kann mir auch gut vorstellen, dass wir hier in DE einen großen Aufholbedarf haben, was die Integration von alten, behinderten oder sonstwie pflegebedürftigen Menschen angeht.

Aufholbedarf zu wem? Anderen Ländern? Es gibt welche, die stehen besser da, andere schlechter. Vor allem aber ist es in anderen Ländern anders.

In Italien oder der Ukraine bekommt/ bekam man im Krankenhaus oft nichts zu essen, es sei denn angehörige bringen es. Natürlich bekommt man da häufiger besuch als hier. Auch sind die Menschen in vielen südlichen Ländern geselliger.

Ob sich jeder Deutsche nun freut (obwohl er generell die Einsamkeit bemängelt), wenn jetzt plötzlich viele Menschen in sein einziges Zimmer eindringen?

Aber generell wird zu wenig getan. Alte Menschen haben es schwer, besonders wenn sie Pflegebedarf haben. In der Hinsicht wird viel zu wenig getan. Gerade habe ich einen Bericht über barrierefreien Bauen gehört - die Elbphilharmonie wurde gerade fertig und man weiß schon, dass die Besucher älteren Semesters sind und in 15 Jahren mehr als ein viertel aller deutschen in Rente. In noch mal 15 Jahren über ein Drittel. Wenn die Elbphilharmonie noch steht in 30 Jahren sollte man schon jetzt anfangen sie seniorenfreundlicher zu machen. Die beschweren sich nämlich über die einfachsten Dinge: fehlende Haltegriffe und Geländer, Toilettentüren, die nur ein Bodybuilder öffnen kann (manche sind schon unverrichteter Dinge abgezogen, weil sie dachten, die Toilette wäre abgeschlossen), zu wenige Aufzüge mit Warteschlangen bis zu einer halben Stunde - die Liste klingt wie eine Parodie. Wenn man bedenkt, dass wohl kaum ein Verantwortlicher Entscheidungsträger unter 35 Jahre war, gehören die Erbauer 2050 selber zu den Betroffenen.

Genau wie die heute, haben die Rentner von heute sich übrigens ihre Welt selber so gebaut. Um wieder mal Mike Monteiro zu bemühen. Die Welt ist so, wie wir sie designed haben!

Wer heute behauptet, dass die armen alten Menschen es so schwer haben, vergisst dass sie es waren, die Deutschland zu dem gemacht haben, was es heute ist. Wenn sie es kinderfeindlich gemacht haben: schlimm. Dann das hat was von nach uns die Sintflut. Wenn sie es seniorenfeindlich gemacht haben: selbst schuld!

Ein Stück weit bekommen sie, was sie verdienen. Und das wird uns nicht anders gehen.

Wer hat denn eine Gesellschaft geformt, in der es mehr zählt, viel zu verdienen, als sich um seine Eltern zu kümmern? Die alten, als sie noch jung waren.

Und wer von uns heute dabei mitmacht oder erst gar keine Kinder hat, löffelt eines Tages aus, was er sich selber eingebrockt hat.

Und spätestens dann wird sich gegenseitig erzählt, wie viel besser es doch in der DDR war, so wie unsere Eltern behauptet haben, dass bei Hitler doch alles besser war. Da sind die Menschen für Alte noch in der Straßenbahn aufgestanden.

Hurra!

Ich habe oft den Eindruck, die Mehrheit schaut einfach weg und ignoriert diese Leute.

Das auf jeden Fall. Man schaut nicht gerne die eigene beschissene Zukunft und hat die Alten lieber in Erinnerung, wie sie früher waren: fröhlich, Schaffenskräften und gut gelaunt. Wer will schon damit konfrontiert werden, mal von anderen, fremden aus der eigenen Scheiße gezogen zu werden?

Und das führt dann -verständlicherweise- bei den Betroffenen oft zu einer Art Resignation, Depression, Fatalismus: "Was soll ich da draußen, da will sich ja doch niemand mit mir abgeben."
Ich habe das leider auch schon in einigen Fällen so erlebt.

In D scheinen sie weggesperrt zu sein, ihrer Aktivität beraubt, nicht (mehr) mobil.

Ich glaube, das liegt eher an einer Vernachlässigung durch die Angehörigen. Die Träger von Alters- oder Pflegeheimen sehen es in der Regel gern, wenn die Bewohner sich auch noch mit der jüngeren Bevölkerung mischen und aktiv am Leben "da draußen" teilnehmen. Aber dazu braucht es einen Anreiz.
Und wenn die Angehörigen die Oma routinemäßig am Sonntagnachmittag mal für zwei Stunden im Heim besuchen, um ihr Gewissen zu beruhigen, sich aber sonst innerlich schon von Oma verabschiedet haben ... wo soll da noch der Anreiz herkommen?

Ich habe das Gefühl, viele alte Menschen können noch ziemlich feste feiern. Auch im Altenheim.

Aber es ist dennoch Wehmut dabei, wenn man an die gleichgültige Familie denkt, da bin ich mir gewiss.

Ich konnte jedenfalls mit meiner Großmutter das Altenheim verlassen, so oft wir wollten. Es wurde sogar aktiv unterstützt und gemeinsame Ausflüge, sowie wöchentliche Touren mit Fahrzeugen des Altenheimes zu Supermarkt und Wochenmarkt gab es auch. Dazu Teilnahme an Großveranstaltungen wie dem Straßenkarneval und ähnliches mehr.

Das heißt, dass ihr als Angehörige euch noch wirklich um sie gekümmert habt. Das ist löblich, aber hierzulande nicht unbedingt der Normalfall, fürchte ich.

Nein, das habe ich auch nur am Sonntag. Sollte aber eigentlich genug sein bei sieben Enkeln und zwei Söhnen, und allerhand angeheirateten und Nachbarschaft in der Nähe.

Leider war ich mit meinen zwei Kindern und zwei Jobs der einzige, der jede Woche hin gefahren ist. Und als Vorsorgebevollmächtigter auch Steuer, Pflegewohngeld, KV-PV-Angelegenheiten, Arztbesuche, usw erledigt habe, Einkäufe, was halt so alles anfällt. Die anderen (meist kinderlos und nur einen Job oder keinen) hatten nicht einmal jedes Jahr Zeit.

Denn so ein Heim ist teuer und früher kamen alle zu ihren eigenen Geburtstagen, aber seit Oma kein Geld mehr zu verschenken hatte, war auch das vorbei.

Alt werden ist Scheiße - es sei denn man ist vorbereitet.

Wir alle designen uns heute unseren Lebensabend. Als Gemeinschaft und darüber hinaus jeder für sich.

Macht das beste aus dem was ihr habt!

Marc

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