Michael Schröpl: Mathematik in Informatik?

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Hi Tobi,

Immer wieder hört, liest etc. man, dass Informatiker gut in Mathematik sein müssen.

full ACK.

Nun, gibt es eine Programmiersprache, wo man richtig Mathematik braucht? Ich meine, nicht 1+1 sondern, wo man auf mathematische Ebene das Hirn anstrengen muss ?

Am ehesten in SQL - da wirst Du ohne solide Kenntnisse der Mengenlehre auf die Dauer nicht wirklich glücklich werden. Vielleicht auch in Assembler - da bist Du ohne Kenntnisse über Zahldarstellungen und überhaupt Numerische Mathematik manchmal ziemlich aufgeschmissen. Für bestimmte Anwendungsfälle, etwa bei Codierungen, ist es sehr hilfreich, die entsprechenden mathematischen Grundlagen (beispielsweise über die Bestimmung großer Primzahlen) zumindest im Prinzip verstanden zu haben. Alles, was mit Sicherheit und Performance (und damit letzten Endes sogar Lösbarkeit) zusammenhängt, erfordert mathematische Berechnungen.

Oder könnt ihr mir sagen, wo ich in der Informatik Mathematik finde`?

Überall. So wie Physik eine Wissenschaft ist, welche im Wesentlichen praktische Anwendungen der Mathematik auf die Realität durchführt, ist das mit der Informatik nicht viel anders (wobei man dort über den Begriff "Realität" trefflich streiten könnte). Während Du für Physik aber vor allem Analysis brauchst, wirst Du bei Informatik am deutlichsten auf Algebra nicht verzichten können.

In der Informatik werden viele Sachverhalte als mathematische Gebilde beschrieben. Ich bringe mal zwei (wahrscheinlich nicht sehr gute) Beispiele:
1. Bei der mathematischen Betrachtnug von Körpern und Ringen geht es nicht mehr darum, zwei Zahlen zu addieren, sondern darum, das Wesen der Addition an sich zu begreifen und daraus deren Eigenschaften abzuleiten. Du gehst also eine Ebene höher, abstrahierst von der konkreten Rechnung zur abstrakten Methode - möglichst ohne dabei den Boden unter den Füßen zu verlieren.
2. Beim Verständnis von Zahlensystemen mit beliebigen Basiswerten, etwa der binären oder der sedezimalen Darstellung, geht es nicht mehr darum, was eine konkrete Ziffernfolge bedeutet, sondern welche Eigenschaften solche Ziffernfolgen und deren Bedeutungen angesichts eines gegebenen Bedeutungssystems überhaupt haben können.

Die Fähigkeit zu solche Betrachtungen ist sehr hilfreich bei der algorithmischen Lösung von Problemen. Denn in den meisten Fällen willst Du bei der Realisierung von Software nicht nur einen einzigen Anwendungsfall berücksichtigen, sondern "jeden denkbaren" - was voraussetzt, daß Du eben "denken" kannst, welche Fälle überhaupt in Frage kommen, und nach Möglichkeit sogar beweisen (!), daß Du keinen Fall übersehen hast.
Zudem ist es hilfreich, ausrechnen zu können, wie viele Operationen Dein Programm zur Lösung eines bestimmten Problems benötigen wird ... ja, die Rechner _sind_ heute 'schnell', und in 9 von 10 Fällen wird Dir ein schlechter algorithmischer Ansatz nicht weh tun, aber im zehnten um so mehr. Eine Handvoll Zehnerpotenzen (!) an Geschwindigkeit sind schneller aus dem Fenster geworfen, als Du glaubst.

Deshalb ist der Umgang mit den abstrakten Elementen dessen, was Du als Mathematik kennst, in der Informatik (und in gewissem Umfang auch in der Programmierung) unverzichtbar.
Analysis, also der (zu meiner Zeit) typische Oberstufen-Stoff, brauchst Du nach meiner Erfahrung überhaupt nicht (abgesehen davon, daß das ständige Beweisen von Sätzen die Abstraktionsfähigkeit schult); Wahrscheinlichkeitstheorie ist da schon viel wertvoller (Erwartungswerte ausrechnen kann man oft brauchen), und ohne den Willen, abstrakte Gebilde (seien das Algorithmen oder Datenstrukturen oder Formale Sprachen oder was auch immer) als solche verstehen und manipulieren zu können, wirst Du bei der Hälfte aller Informatik-Disziplinen Probleme bekommen. Und von dem, was in der Schul-Mathematik überhaupt gelehrt wird, kommt Algebra (auch Lineare Algebra) dieser Denkweise am nächsten (ohne daß Informatik jedoch inhaltlich direkt auf diesem Stoff aufbauen würde - letzteres gilt praktisch für die komplette Oberstufenmathematik, in der Informatik m. E. viel mehr als in der Physik).

Viele Grüße
      Michael

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T'Pol: I apologize if I acted inappropriately.
V'Lar: Not at all. In fact, your bluntness made me reconsider some of my positions. Much as it has now.