Sven Rautenberg: Gaefgen / Metzler

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Moin!

Würde er, als überzeugter Terrorist, der seinen Tod eingeplant hat, nicht vielleicht einfach schweigen? Wie weit würdest _du_ dann mit der Folter gehen wollen? Bis zu seinem Tode? Bedenke: Die Todesstrafe in diesem Lande ist abgeschafft! Und selbst in den demokratischen Ländern, in denen sie existiert, wird sie erst _nach_ einer Urteilsfindung durch ein ordentliches Gericht durchgeführt.

Was, wenn die ganze Geschichte mit der Bombe ein kompletter Fehlalarm war? Wenn der mutmaßliche Mitwisser also vollkommen unschuldig ist.

und wenn kein Fehlalarm? Gerade das o.g. Experiment laesst sich mit den Mitteln der Fallunterscheidung doch gut bearbeitem.

Nein, kann man nicht. Weil die mögliche Fallunterscheidung sich immer erst _hinterher_ machen läßt.

Ok, zeichne ich dein "einfaches Gedankenexperiment" noch einmal nach:

<Gedankenexperiment>
Durch Geheimdienstinformationen werden die Behörden gewarnt, dass ein terroristischer Anschlag enormen Ausmaßes geplant ist.

Durch verdeckte Ermittlungen wird die Gruppe der Täter eingegrenzt. Ermittlungsergebnis bis dahin ist, dass eine radikale islamistische Gruppe (sorry an alle Mitmenschen diesen Glaubens, aber ihr paßt nun einmal perfekt in dieses irrsinnige Gedankenexperiment hinein, sozusagen: Volle Breitseite Vorurteil abgefeuert) eine Bombe enormer Sprengkraft in einer europäischen Metropole zünden will. Ob es sich dabei möglicherweise um eine atomare Bombe handelt, oder ob lediglich eine schmutzige (mit Atommüll verseuchte) konventionelle Bombe, ließ sich nicht endgültig ermitteln.

Durch Zufall oder gute Ermittlungen (es sei dahingestellt) wurde einer der Mitläufer ermittelt und festgenommen und soll jetzt Auskunft über die tatsächlich geplante Tat geben.

Er schweigt zunächst hartnäckig und verlangt seinen Anwalt.
</Gedankenexperiment>

So, und nun wärst du in diesem Experiment das erste mal dran.

Frage Nummer 1: Kriegt er seinen Anwalt?
Frage Nummer 2: Erwartest du, dass der Mensch auspackt?

Da ich deine Antworten nicht vorwegnehmen kann, springe ich in diesem Gedankenexperiment einfach mal etwas weiter.

<Gedankenexperiment>
Die Befragung des mutmaßlichen Mitläufers hat ergeben, dass die Vorbereitungen für die Tat schon seit einer Woche abgeschlossen sind und am heutigen Tage der Anschlag stattfinden soll. Es wurde sogar ausgesagt, dass die Bombe sich in einem überwiegend islamischen Viertel in Berlin befinden soll. Und es handelt sich tatsächlich um eine Atombombe von ausreichend heftiger Sprengkraft, vergleichbar der von Hiroshima. Das dafür notwendige Nuklearmaterial stammt angeblich aus Russland, die dortigen unterbezahlten Wissenschaftler waren wohl sehr kooperativ.

Das sind jedenfalls die Informationen, die die Einsatzleiter der SEK erhalten haben.
</Gedankenexperiment>

Und an dieser Stelle auch wieder die Frage: Wenn du so ein Einsatzleiter wärst, und deine Männer zu informieren hättest - unter dem Eindruck, dass dieses ein strahlender Tag werden könnte - wie hart läßt du sie das fragliche Viertel durchkämmen?

Denn bedenke: Du bewegst dich in einem überwiegend von Ausländern bewohnten Viertel. Es handelt sich um eher ärmliche Verhältnisse, verwinkelte Straßen und Hinterhöfe, ein riesiges Areal, und außerdem muß nicht nur von den Terroristen mit Hinterhalten gerechnet werden, sondern ganz natürlich auch von den "normalen", unwissenden, aber sich bedroht fühlenden Bewohnern der Häuser.

Würdest du es also verantworten können, wenn einer der Polizisten Unschuldige kampfunfähig verletzt oder erschießt, nur damit die Durchsuchung nach der Bombe schneller geht, sofern auf Widerstand gestoßen wird?

Und damit der zweite Teil des Experiments nicht so ganz lose in der Luft hängt: Für wie glaubwürdig ist die für diesen zweiten Teil zugrundeliegende Aussage zu halten, wenn sie unter Einsatz erheblicher Foltermaßnahmen erfolgt ist?

Was ist, wenn die Bombe ganz woanders hochgeht?
Was ist, wenn gar keine Bombe hochgeht, aber auch keine gefunden wird?

Ich meine: Dass Geheimdienstinformationen immer unzuverlässig sind, zumindest aber kritisch beäugt werden müssen, wissen wir ja spätestens seit dem letzten Irak-Krieg. Die angeblich 100%ig vorhandenen Massenvernichtungswaffen werden noch immer gesucht. Würdest du jetzt hingehen und Herrn Hussein ein wenig foltern, um herauszufinden, wo sie sind? Was ist, wenn er seine alte Aussage, es gäbe keine mehr, immer wiederholt? Weiterfoltern, weil es ja doch irgendwo welche geben muß? Und wenn er erzählt, er hätte sie schon lange den Palästinensischen Terrorgruppen gegeben, würde das einen präventiven Vernichtungsfeldzug durch die Israelis rechtfertigen?

Du siehst hoffentlich ein, dass dein "einfaches Gedankenexperiment" nur eines beweist: Die Realität ist die maximale überhaupt denkbare Entfernung von "einfach" entfernt.

Wenn Du der Meinung sein solltest, dass Hr.Daschner "ganz einfach" nur falsch gehandelt hat und seiner "gerechten" Strafe zugefuehrt werden muss, dann hast Du zu stark reduziert.

Nein, ich habe gar nichts reduziert. Ich sehe, dass da jemand den Befehl zur Androhung von Folter gegeben hat. Und dass er dafür die Konsequenzen tragen muß, ist die folgerichtige Forderung.

Eventuell koennte man eine Sichtweise ins Auge fassen, dass Hr.Daschner richtig gehandelt hat, aber dennoch seiner Strafe zugefuehrt werden muss?

Nein. Er hat nicht richtig gehandelt. Weil er gegen das Gesetz verstoßen hat.

Wo ist denn hier die Liste mit den Spitzenkraeften? BTW - dass mit den Konsequenzen war nicht ganz ernstgemeint.

Seltsam. Immer, wenn du Aussagen triffst, die dir hinterher nicht mehr so gefallen, waren sie "nicht ganz ernstgemeint". Andersherum triffst du Aussagen, die auf den ersten Blick nicht ernstgemeint erscheinen, die du nachträglich dann aber sehr wohl ernstgemeint verstanden haben willst.

Glaubst du, dass unter diesen Umständen irgendeine vernünftige Diskussion zustande kommen kann, wenn einer die eigenen Aussagen immer je nach Bedarf ernst meint, oder auch nicht?

Insofern: Schade, dass du dir dann doch keine Konsequenzen vorbehalten willst.

- Sven Rautenberg

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"Habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!" (Immanuel Kant)