Sven Rautenberg: Gaefgen / Metzler

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Moin!

wenn Du aber jemanden zitierst, der auffordert Mut zu haben seinen Verstand zu benutzen, dann haettest Du doch das von mir vorgeschlagene Gedankenexperiment in meinem Sinne verstehen koennen, also in dem Sinne, in dem es gemeint war. - Stattdessen hast Du Fragen zu Nebensaechlichkeiten aufgeworfen und das Experiment verhunzt.

Du hast das Gedankenexperiment ja nicht wirklich umfassend ausgebreitet, sondern dich auf Stichpunkte beschränkt.

Wenn dir daran gelegen wäre, das Experiment wirklich zu diskutieren, dann hättest du mehr Aufwand aufbringen und es - eben gedanklich - bis ins Detail ausarbeiten müssen.

Dem Satz 'Die gegebene Rechtslage ist nie die erforderliche Rechtslage und bedarf somit einer permanenten Anpassung.' solltest Du doch zustimmen koennen.

So lange wir über die potentielle Zulässigkeit von Folter reden: Nein. Es bedarf an dieser Stelle keiner Rechtsänderung. Das bestehende Recht ist absolut. Ausnahmen darf es nicht geben, zu keiner Zeit, unter keinen Umständen.

Und dass extreme Angriffe auf das Rechtssystem (also auf die Menschen) extreme, also rechtlich nicht abgesicherte Massnahmen erforderlich machen koennten, ist doch auch allgemein bekannt (Beispiel: Flugzeug mit einem Irren als Piloten kreuzt ueber Frankfurt. Abschuss des Geraets nicht von der Rechtslage gedeckt. (BTW - Schily haette gerne abgeschossen, aber ihm schien hinreichend klar zu sein, dass es ein eher harmloser Irrer ist.))

Es besteht ein grundsätzlicher Unterschied dazwischen, ob ich einen Menschen, der aktiv selbst droht, eine Straftat zu begehen und damit Menschen zu schädigen bzw. sie schon begeht, durch Gewalt an seiner Tat hindere (Stichwort "finaler Rettungsschuß" - heftig diskutiert, und seit einigen Jahren gesetzlich verankert), weil ich ihn anders nicht beeinflussen kann, weil der Täter sich noch nicht in Polizeigewahrsam befindet, oder ob ich einen Menschen, der sich in Polizeigewahrsam befindet, durch Folter gefügig mache.

Was ich hier anfordere ist die generelle Bereitschaft Regeln auch mal nur Regeln sein zu lassen, zumindest seine Gedanken nicht fest an diese Regeln zu binden und zu einer freien Diskussion bereit zu sein.

Ich bin ganz sicher zu einer freien Diskussion bereit. Aber es gibt nun mal mindestens eine Grenze, die absolut nicht überschritten werden darf, und das sind in diesem Fall die unveräußerlichen Menschenrechte, wie sie in der UN-Charta festgelegt und von der Bundesrepublik Deutschland anerkannt wurden.

Und da ist eben, neben vielen anderen sinnvollen Regelungen, unter anderem festgelegt:

Artikel 5: Niemand darf der Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden.

Artikel 7: Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich und haben ohne Unterschied Anspruch auf gleichen Schutz durch das Gesetz. Alle haben Anspruch auf gleichen Schutz gegen jede Diskriminierung, die gegen diese Erklärung verstösst, und gegen jede Aufhetzung zu einer derartigen Diskriminierung.

Artikel 11, Absatz 1: Jeder, der einer strafbaren Handlung beschuldigt wird, hat das Recht, als unschuldig zu gelten, solange seine Schuld nicht in einem öffentlichen Verfahren, in dem er alle für seine Verteidigung notwendigen Garantien gehabt hat, gemäss dem Gesetz nachgewiesen ist.

Daraus folgt ganz unmittelbar:
1. Solange es zu keinem Gerichtsurteil gekommen ist, in dem unabänderlich die Schuld eines Beschuldigten festgestellt wird, ist dieser allerhöchstens als Verdächtiger zu behandeln.
2. Ein Verdächtiger genießt, genauso wie ein als schuldig Verurteilter, aber immer den Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz.
3. Und weil das Gesetz die Folter verbietet, verbietet sie es auch bei Verdächtigen oder schuldig Verurteilten.

Wenn du jetzt in freier Diskussion diese elementaren Grundsätze abändern willst, dann solltest du das frei heraus sagen. Und dann aber auch sehr gut begründen können. Denn nur mit "einfachen Gedankenexperimenten", bei denen "sofort klar ist", dass man anders als nach dem Gesetz handeln "muss", baust du keine belastbare Begründung auf.

- Sven Rautenberg

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"Habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!" (Immanuel Kant)