Tim Tepaße: Gesamtkunstwerke - ein moderater Vorschlag

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Hallo,

weiter unten im Forum ([pref:t=73703&m=424510]) tobt gerade eine erbitterte
Diskussion um das Thema Deep Linking. So erbittert, daß ich dort mit meinen
abstrakten Gedanken nicht teilnehmen möchte, da die Wahrscheinlichkeit
groß ist, von den üblichen »Praktikern« im Kreuzfeuer einen auf den Deckel
zu kriegen.

Es stehen hier zwei Modelle gegeneinander. Zum einen das, was ich mal
als das Web-Modell bezeichnen möchte. Dies deswegen, weil dieses Modell
das ist, was wir mit dem WWW haben und anscheinend auch das ist, das
TBL damals im Sinn gehabt zu haben scheint.

In Kürze: Es gibt Resourcen (Webseiten, Telefonnummern, Toaster), die durch
URLs (Oder URIs. Oder IRIs) adressierbar sind, damit man etwas damit tun
kann. Es gibt keine Restriktionen, irgendeine URI zu benutzen, es sei
denn, die URI und ihr Protokoll geben so etwas vor (HTTP Authentifikation).

Und dank HTML können bequem Verweise auf jede beliebige URI gesetzt werden,
mit denen man diese Resource aufrufen kann. So weit, so abstrakt, so gut.
Das sorgt dann natürlich für eine chaotische Struktur. Hypertext. Oder
Hyperinhalte, wenn man so will.
   ___                  ___
  |   | -------------> |   |
  | A |                | B |
  |___| <------------- |___|        (Jepp. ASCII-Art ist
                                     einfach nur häßlich)
    |  \                /\     |   \_________      /
    |             \    /
    V             /  /              Ach ja, die Legende:
   ___             ___               Ein Pfeil ist ein Link,
  |   |           |   |              ein Kästchen eine Ressource
  | C |           | D |              mit Adresse(!)
  |___|           |___|

Dann gibt es das andere Konzept, ich nenne es mal naheliegenderweise das
Chräcker-Modell. Hier zählt das Gesamtkunstwerk einer linearen Struktur.
Jedes Informationsabschnitt hat einen bestimmten Platz in der Reihenfolge
und diese soll eingehalten werden, um ein bestimmtes Ergebnis zu erreichen.
   ___            ___           ___
  |   |          |   |         |   |
  | 1 | -------> | 2 | ------> | 3 |
  |___|          |___|         |___|

Wobei man diesen Konzept auch auf einen hierarchischen Baum übertragen
kann:
   ___            ___           _____
  |   |          |   |         |     |
  | 1 | -------> | 2 | ------> | 3.1 |        (Habe ich schon erwähnt,
  |___|          |___|         |_____|         wie sehr ich ASCII-Art
                   |            _____          verabscheue?)
                   |           |     |
                   o---------> | 3.2 |
                               |_____|

Es gibt einen Start- und einen oder mehrere Endpunkte. Eine Reihenfolge.
Die eingehalten werden soll. Wenn nun jedoch ein Link auf einen Knoten
mitten in dieser Reihenfolge gesetzt werden soll, dann ist die Reihenfolge
zerstört und damit nach gängiger Meinung anscheinend auch das Gesamtkunstwerk.
Also sei dieses zu vermeiden.
   ___            ___           ___
  |   |          |   |         |   |
  | 1 | ---/---> | 2 | ------> | 3 |
  |___|          |___|         |___|
                   /\                    /
                  /
              ___/
             |   |
             | X |
             |___|

Nach all den ausschweifenden Text und dem häßlichen ASCII-Zeugs nun mein
Vorschlag, der gar nicht so moderat ist. Sorry, ich habe gelogen. ;-)

Ich sehe keinen Widerspruch zwischen beiden Modellen. Nein wirklich nicht.
Es hapert meiner Ansicht nur daran, wie sich das Chräcker-Modell in das
meiner Meinung nach »größere« Web-Modell einfügt. Dies hat natürlich auch
technische Gründe, ich will aber dennoch erst sagen, wie meiner Meinung
nach dieses Einfügen aussehen sollte.

Das Gesamtkunstwerk soll nur als Ganzes genossen werden. Wieso wird es
dann nicht einfach als Ganzes realisiert? Genauer: Als eine Ressource,
die nur über eine Adresse bzw. URI abrufbar ist und auf die man dann
die Links setzen kann.
   _____           ______________________________________
  |     |         |                                      |
  | Tim | ------> | *glänz*   Stempelgeheimnis   *glänz* |
  |_____|         |______________________________________|

Ich finde das logisch - das Gesamtkunstwerk ist ein einziges Ding, eine
einzige Ressource. Wieso soll es dann aufgeteilt sein in Unterressourcen,
die der Natur des Webs nach auch automatisch Adressen haben?

Nun zur Technik. Das Problem ist natürlich, daß auch ein Gesamtkunstwerk
auch aus Happen oder Knoten besteht, zwischen denen man linear navigiert.
Da fallen mir verschiedene Möglichkeiten ein, dies zu beheben.

a) Weiter wie bisher. Nur: Die Einzeladressen dieser Happen vollkommen aus
dem Rest des Webs raushalten. Oder diese verbergen, z.B. mit Frames.
Schließlich will man ja nicht, daß diese von woanders her besucht werden
können. Das betrifft zu allererst Suchmaschinen. Wie sich im unteren Thread
rauskristallisiert hat, ärgern sich viele (ich auch), mitten in so einem
Zyklus anzukommen oder wieder von dort weggerissen zu werden. Die
Gesamtkunstwerker sind da nicht alleine. Hat aber immer noch den Nachteil,
daß die Ressourcen trotz allem adressierbar sind.

b) Die Logik hinter der Adresse verbergen. Das läuft dann auf etwas
dynamischen auf der Serverseite hinaus. Es wird Buch über den Besucher
geführt (Sessions, Cookies, POST oder auch GET) und je nach Besucher und
dem Knoten, in dem sich der Besucher befindet, wird anderer Inhalt
gesendet und somit die Reihenfolge gewahrt. Vom Web-Standpunkt her finde
ich das halbwegs elegant. Hat natürlich den Nachteil, daß sich der Autor
des Gesamtkunstwerkes nun auch noch Gedanken um serverseitige Automaten
machen muß.

c) Alles auf einer Seite, aber dafür dynamisch. Zum Beispiel mit Javascript
und DHTML, die einzelnen Informationsknoten des Gesamtkunstwerkes werden
dann dynamisch eingeblendet. Zu den Nachteilen sage ich mal nichts.

d) Noch dynamischer! Und zwar Flash, eventuell mit dynamisch nachgeladenen
Inhalt. Hätte den Vorteil, daß der Autor des Gesamtkunstwerkes sich noch
mehr gestalterisch ausleben bzw. betätigen kann. Hätte eventuell den
Nachteil, daß sich die Zielgruppe verringert. Wobei ich das bezweifele,
ob die Gruppe derjenigen ohne Flash wirklich zur Zielgruppe des Gesamtkunstwerkes
gehört.

Ehe irgendjemand aufschreit: Nein andere Arten des Deep Linkings berücksichtige
ich nicht. Außer Gesamtkunstwerkseiten, Datenbankvorsätzen, geschütztem
Inhalt und dem Einbinden anderer Inhalte wüßte ich nichts, was gegen
Deep Linking sprechen würde. Für den zweiten und den dritten Punkt gibt
es technische Lösungen, für den vierten Punkt halbwegs funktionierende
technische Lösungen, wobei dies eher ein soziales Problem ist. Und
außerdem bin ich ein Fan von Deep Links.

So. Ich muß jetzt den Hausflur putzen.

Tim