Christian Kruse: Schiller und Goethe

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Hallo Rolf,

Warum ist der Schiller, der Friedrich, anno duzumal von dem
schönen Marbach am Neckar nach dem Nest Jena (Thüringen) und dann
später nach dem noch verwahrlosterem Nest Weimar gegangen?

Du vertust dich. Schiller ist nicht in Marbach aufgewachsen. Schiller
lebte nur bis zu seinem 4. Lebensjahr in Marbach, danach lebte er
bis er 7 Jahre alt war in Lorch. Weil sein Vater wieder nach
Ludwigsburg versetzt wurde, kehrten sie dann wieder dorthin zurueck.
Und 1773 ist es dann weiter nach Stuttgart in eine Militaerschule
gegangen. Eine richtige Heimat hatte er also nicht. Und er ist nicht
zuerst nach Jena und dann nach Weimar gegangen, sondern umgekehrt.
Er war zuerst in Weimar, da er von den dortigen Persoenlichkeiten
angezogen wurde (Herder, Wieland, Charlotte von Kalb) und weil er
ungluecklich in eine Dame Henriette von Arniem verliebt war. Aber
Weimar gefiel ihm nicht gut, und er hatte ausserdem arge
Geld-Probleme, und durch einige seiner Abhandlungen hatte er eine
Professur in Geschichte an der Universitaet Jena angeboten bekommen.
Also ging er nach Jena. Und erst 1799, nachdem Goethe und Schiller
sich schon einige Briefe geschrieben hatten, zog dann Schiller um
nach Weimar.

Btw., der Goethe hat seinen Lebensunterhalt ganz bestimmt nicht
mit "Dichten" verdient.

Goethe hatte einen sehr reichen Vater (Jurist) und war bis 1775
oder so selber einer (in Frankfurt am Schoeffengericht). Erst Ende
'75 ist er nach Weimar gegangen, weil ihn der damalige Herzog Karl
August (gerade 18 geworden und frisch an der Regierung) eingeladen
hat. 1776 ist dann Goethe als »Geheimer Legationsrat« in den Weimarer
Staatsdienst eingetreten. 1779 wurde er dann »Geheimer Rat« und etwa
25 Jahre spaeter wurde das auf die Spitze getrieben mit »Wirklicher
Geheimer Rat, Exzellenz und Staatsminister«. Ausserdem hat er 1791
das Amt des Direktors am Weimarer Hoftheater uebernommen. Du siehst
also, der gute Goethe musste sich um seine Finanzen nie wirklich
Sorgen machen.

Tat er das überhaupt?

Ähhm. Wieso eigentlich war der Schiller Goethes Freund?

Tja, das zu beantworten ist nicht so einfach. Goethe war, als er von
seinem ersten Italien-»Urlaub« (ich moechte auch mal 1½ Jahre Urlaub
machen!) zurueck kam, nicht sonderlich kreativ. Er hat viel in den
Naturwissenschaften herumgedoktort, war dabei jedoch nicht sonderlich erfolgreich, bzw. seine Entdeckungen und Feststellungen waren
teilweise sehr gut, aber sie waren nicht populaer. Kurz gesagt,
Goethe war in einer haushohen Krise. Bis hierhin mochten Schiller
und Goethe sich nicht besonders, sie kannten sich ja schon seinerzeit
aus Jena, wo Goethe noch ein ziemlich eingebildeter und ekelhafter
Klotz gewesen sein muss (wie eigentlich seine gesamte
Sturm-und-Drang-Phase). Aber dieses Verhalten hat sich etwas spaeter
gelegt. Und auch Schiller hatte sich geaendert: er war aus seiner
eigenen Sturm-und-Drang-Phase herausgewachsen und hatte sich, nicht
zuletzt durch Kants Werke, zu einem philosophischen Menschen
gewandelt. Deshalb war bei ihrer erneuten Begegnung im Jahre 1794
bei einem Treffen der Naturforschenden Gesellschaft bei einem Vortrag
ueber die Metamorphose von Pflanzen (eines von Goethes
naturwissenschaftlichen Arbeiten, auf die er besonders stolz war)
die Bahn fuer eine neue Freundschaft gelegt. Die Gespraeche mit
Schiller halfen Goethe wieder auf die Beine, er kam aus seiner Krise
heraus und fing ziemlich schnell wieder an zu schreiben. Er hat in
der Zeit sogar seinen Faust zuende geschrieben, an dem er seit seinem
ersten Italien-Urlaub nicht mehr geschrieben hatte. Als 1805 Schiller
dann starb, endete damit auch eine weitere schoepferische Phase
in seinem Leben. Du siehst also, Goethe hatte Schiller sehr, sehr
viel zu verdanken.

Grüße,
 CK

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