Martin Rozmus: Kritik am "Aufsatz" zum Thema Barrierefreiheit

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Hallo Mathias,

vorab vielen Dank für deine ausführliche Kritik!

Als Werbetext, der naturgemäß übertreiben und hochloben muss ;), für deine Dienste sicher fundiert und überzeugend. Für Webbastler, die mehr über das Thema wissen wollen, enthält der Text aber m.E. einige Klischees und offene Stellen - aber das ist wohl nicht deine Zielgruppe und stellt den Text nicht in Frage.

Du hast es erfasst. Es ist zugespitzt und übertrieben. Ich will aber potenzielle Kunden davon überzeugen, bei Ihrer Recherche nach einem passenden Dienstleister, nicht nur das Äußere zu betrachten, sondern zusätzlich auch sich etwas mit dem Hintergrundwissen zu beschäftigen. Damit sie das überhaupt machen, müssen Sie auch einen Mehrwert erfahren.

[...]

die Rahmenbedingungen des Besuchers sind nicht determinativ > wohl eher: determiniert

Nein, hab es geprüft.

Lass Abkürzungen wie »z.B.«, »bzw.«, »etc.«, »z.T.« einfach weg. Es ist nur verwirrend, wenn sie unterstrichen sind. Sehende Benutzer (er-)kennen Abkürzungen wie »bzw.«. (Selbst wenn nicht, dann hätten sie vielmehr ein generelles Problem mit der Sprache deines Artikels, da können abbr-Elemente auch nicht aushelfen.)

Letzterem stimme ich zu. Mit der Aussage, dass, wenn Abkürzungen unterstrichen sind, sie dann verwirrend sind, möchte ich widersprechen.

Die Abkürzungen sind als solche ausgezeichnet, weil sie Abkürzungen sind. Die Verwirrung kann ich mir jedoch nicht erklären. Schließlich, wenn ich die Erfahrung gemacht habe, dass sich hinter einer Zeichenkette, die auf eine bestimmte Art und Weise formatiert ist, eine Erläuterung der Abkürzung versteckt, ignoriere ich bei der nächsten Zeichenkette diese Information oder nutze sie. Ich werde aber nicht bei jeder Abkürzung oder jedem Akronym überprüfen, wenn mir diese bzw. dieses geläufig ist, ob dahinter etwas anderes steckt.

Vielmehr hilft die Auszeichnug von Abkürzungen und Akronymen aber Leuten, denen solche Abkürzungen nicht bzw. nicht alle geläufig sind. (Z.B. Leute, für die Deutsch eine Fremdsprache ist.)

Die Unterstreichung lenkt die Aufmerksamkeit auf bereits bekannte, wenig relevante Sachverhalte.

Da sehe ich das Problem, die Grenze zu ziehen, welche Sachverhalte für wen bekannt/nicht bekannt, relevant/nicht relevant sind.

Man bewegt die Maus über das Wort und »beziehungsweise« erscheint - was für eine Erkenntnis.

Na, wir wollen niemandem den Homer Simpson Effekt unterstellen ;-) Keiner ist gezwungen bei jeder Abkürzung die Maus über diese zu bewegen.

Meist ist »beziehungsweise« durch »und« oder »oder« ersetzbar. »etc.« durch »und so weiter« (und »usw.« wäre immer noch verständlicher als das lateinische »et cetera«).

Das ist gegebenfalls (ggf.) der 'bessere' Weg.

[...]

»Es kann nicht sichergestellt werden, dass die Web-Dokumente mit anderen als den getesteten Browsern wie gewünscht dargestellt werden. Dies bezieht sich sogar auf unterschiedliche Browser-Versionen des gleichen Herstellers.«

Auch mit validem Code kann das nicht sichergestellt werden. Der Unterschied ist tatsächlich marginal.

Valider Code + CSS aber theoretisch schon, würde sich die Browserhersteller an die Standards halten. Tun sie das nicht, kann ich den Schwarzen Peter mehr oder weniger an die Browser-Herteller schieben. (Das soll nicht bedeuten, dass ich keine Rücksicht auf die Eigenheiten der einzelnen Browser nehme.)

Andererseits, benutze ich invaliden Code und CSS, kann ich davon ausgehen, dass das Dokument u.U. fehlerhaft dargestellt wird. Und in diesem Fall ist nicht der Browser schuld.

Validität bedeutet reine syntaktische und grammatikalische Richtigkeit; ja, das ist die Voraussetzung dafür, dass ein Browser überhaupt den Code parsen kann und versuchen kann, den Code sinnvoll als Dokument zu interpretieren (was du später als logische Schlüssigkeit bezeichnest). Allerdings garantiert die Beschränkung auf das Vokabular und die syntaktischen Regeln des HTML-Standards nur eine Interoperabilität auf *niedrigster* Ebene. Man sollte dies nicht überschätzen. Damit kann man m.E. nicht werben und keine hohen Versprechungen machen. Natürlich kann und muss man sich mehr oder weniger darauf verlassen, dass ein Browser HTML 4 unterstützt.

Ich glaube, du hast meine Aussage falsch verstanden. Es geht mir darum, dass valider Code eine Voraussetzung dafür ist, dass die (visuelle) Formatierung mit CSS einigermaßen richtig interprätiert wird. (Vgl. Quirks-Mode)

Der Schluss von getesteten Browsern auf nicht getestete ist somit auf der besagten niedrigsten Ebene möglich. Aber was heute zählt, ist sowieso nicht diese Ebene. Heutzutage geht es i.d.R. um die Unterstützung von CSS. Wenn man da auf den Standard setzt, hat man noch längst keine Garantie. Es ist alles, was man tun kann, aber es hilft nicht sonderlich weiter.

Wichtig ist, dass die Information an sich auch ohne CSS zugänglich ist. Und da spielt die von dir genannte "niedrigste Ebene" gewiss eine wichtige Rolle. Sonst würde ich XHTML-Dokuemte auch als XML ausliefern.

»Da sich Suchmaschinen ähnlich verhalten wie textorientierte Browser, erfolgt nur eine mangelhafte bis gar keine Indexierung solcher Web-Dokumente. Die Folge ist, dass das Internet-Angebot über Suchmaschinen praktisch nicht auffindbar ist.«

Das ist tendenziell ein Mythos. Einige der populärsten Seiten des WWW pfeifen konsequent auf die Trennung von Layout und Information. Sie sind trotzdem vorzüglich in den Suchmaschinen vertreten - »praktisch nicht auffindbar« ist also übertrieben.

Klar ist die Qualität des Codes _nur_ein_Faktor_ unter vielen. Er kann aber nicht ignoriert werden.

Suchmaschinen tangiert die Trennung nur insofern, dass sie Elemente wie hX und strong auswerten.

Dafür hätte ich gerne Belege :-) Und auch wenn es stimmt, woher willst du es wissen, dass Suchmaschinen im Zuge des "semantischen Webs" nicht irgend wann mal auch <code>, <var>, <cite> etc. Blöcke auswerten.

Davon abgesehen interessiert sie Tabellenlayout, <font> und sonstige Layout-Information im Markup nicht. Zudem können hX-Überschriften auch zusammen mit <font> und Tabellenlayout benutzt werden - das widerspricht sich überhaupt nicht, Suchmaschinen wären damit genauso glücklich wie mit CSS-Layout.

Natürlich kann man es alles machen. Ich denke aber trotzdem, dass sauberer Code einer der 100 Faktoren ist, der eine bessere Platzierung *begünstigt*.

[...]

Die Vorteile, die du im Folgenden ableitest, sind alles Vorteile von barrierefreien Webangeboten, aber keinesfalls direkte Folge von den genannten rein technischen Maßnahmen. Zum Beispiel:

»Standardkonforme und zugängliche Internet-Angebote sind benutzerfreundlich. Der Besucher kann seine Entscheidung bzgl. des Endgerätes, der Software oder der Systemkonfiguration frei treffen. Er hat unabhängig von diesen Faktoren stets den optimalen Zugang zu den angebotenen Informationen und dem angebotenen Service des Betreibers.«

Das ist etwas zu hoch gehängt. Benutzerfreundlichkeit ist mehr als der reine technische Zugang, »optimaler Zugang zu den angebotenen Informationen« ergibt sich auch, aber nicht nur aus technischen Methoden wie semantischem, validen Code und der Trennung von Layout und Information. Diese bilden höchstens das Fundament. Ein Webangebot zugänglich für Menschen mit Behinderungen oder ältere Besucher zu machen, erfordert verschiedene konzeptionelle, inhaltliche Anpassungen. »Standardkonformität« alleine gibt das alles nicht her.

Völlig richtig! und nichts anderes wollte ich damit aussagen.

»Eine Suchmaschine verhält sich ähnlich wie ein textorientierter Browser. Sie kann weder Frames verarbeiten noch kann sie in Bildern, Flash-Animationen oder anderen multimedialen Elementen eingebettete Texte und Informationen auflösen.«

Textbrowser und Suchmaschinen können Frames verarbeiten. Aber so, wie es ihrer Natur entspricht: Sie kennen (meist) keine Paralleldarstellung. Suchmaschinen folgenden <frame src=""> wie <a href=""> und indizieren Frameset- und Frame-Dokumente einzeln.

Ich meine Frameseiten, wie die auf dem Screeshot

Man sieht etwas. Aber es ist gewiss nicht das, was die Intention des Autors war.

Zum »Auflösen« der besagten Informationen gibt es halt Alternativinhalte, das sollte man vielleicht ansprechen. (Übrigens können manche Suchmaschinen durchaus Flash lesen.)

Welche denn? Quellen?

»Wer sich an offizielle Standards hält, kann davon ausgehen, dass seine Dokumente auch in der Zukunft ohne Abstriche lesbar und zugänglich bleiben. Damit ergibt sich für den Anbieter eine gewisse Investitionssicherheit, so dass in absehbarer Zeit kein Geld für eine Überarbeitung des Internet-Angebots ausgegeben werden muss.«

Ich frage mich immer, was daran die Erkenntnis ist. Ist das wirklich eine Besonderheit, mit der man werben kann?
Das Argument der Aufwärtskompatibilität stimmt, aber wieso legt es einem nahe, Webseiten zu schreiben, so wie du sie vorstellst?

Nicht so, wie ich sie mir vorstelle, sondern so, wie es die Standards erlauben. Das ist ein Unterschied.

Das Argument ist ziemlich beliebig, denn der Code der Webseite, die ich 1997 (hypothetisch) geschrieben habe, ist heute gleichermaßen lesbar und zugänglich. Er war damals schon »standardkonform« mit all seinen font-Elementen und dem wenig effizienten Tabellenlayout.

Hast du Probleme, ein solches Dokument heute zu betrachten?

Was sich von selbst versteht: Wenn ich heute irgendeinen proprietären HTML-Dialekt benutze, der bereits nur im Browser X Version Y funktioniert, kann ich nicht damit rechnen, dass es in zehn Jahren noch Browser gibt, die den proprietären Kram verstehen. Aber wer macht das schon? Ist das wirklich ein Problem, gegen das man argumentieren muss?

Heutzutage geht es, wie du selbst schon erwähnt hast, weniger um HTML als um CSS. Und wenn ich gestern dazu gezwungen war, Verbiegungen und Beugungen zu betreiben, könnte ich morgen ein Problem bekommen.

Mathias

MfG Martin