Moin!
Es wird von einer Kaffee-Temperatur von 85 bis 90 Grad Celsius gesprochen. Bei dieser Temperatur entstehen Verbrennungen dritten Grades innerhalb von drei Sekunden.
Das halte ich für ein Gerücht, denn Verbrennungen dritten Grades bezeichnen ja keine oberflächlichen Verletzungen mehr, sondern solche, die alle Hautschichten vollständig durchdringen und das darunter liegende Gewebe bis auf die Knochen unwiederbringlich schädigen.
"Bis auf die Knochen"? Wer hat denn den Unsinn erzählt?
Verbrennungen dritten Grades umfassen zwar die vollständige (allerdings wieder langsam heilende) Zerstörung der Hautschichten Epidermis und Dermis, und oft auch des darunterliegenden Bindegewebes, aber bis auf die Knochen verbrennen muß dann doch nichts. Kennzeichnend für eine solche Verbrennung ist übrigend auch Schmerzfreiheit, da die Nervenenden ebenfalls zerstört werden.
Übrigens sagt der Grad der Verbrennung nichts über deren flächenmäßige Ausbreitung auf dem Körper aus. Kleine Flächen mit Verbrennungen dritten Grades sind zwar nicht lebensbedrohlich (ab 10% verbrannter Hautfläche wird es kritisch), aber die Infektionsanfälligkeit besteht natürlich trotzdem.
Ein Kaffee mit nur 70 Grad Celsius hätte dafür zwanzig Sekunden benötigt - also wesentlich mehr Zeit gegeben, Gegenmaßnahmen zu ergreifen.
Die optimale Trinktemperatur für Kaffee liegt bei 60 bis 70 Grad Celsius.
Zwischen 60 Grad und 70 Grad ist auch schon wieder ein großer Unterschied. Ab 50 Grad Celsius können Hautverbrennungen auftreten, ab dieser Temperatur werden bei genügend langer Expositionszeit die Eiweiße in der Zelle "gekocht", die Zelle damit zerstört.
Demnach sollte also ein Mund voll optimal temperierten Kaffees innerhalb von -- ich bin großzügig -- einer halben Minute Verbrennungen auffweisen, die nicht nur oberflächlich sind, sondern die die ohnehin empfindlichere Schleimhaut ebenso unwiederbringlich zerstören wie weite Teile des sie umgebenden Muskelgewebes, so dass sich etwa das Zahnfleisch vom Kiefer löst?
Der Körper selbst besteht ja auch überwiegend aus Wasser, insofern sind die thermischen Kapazitäten von Kaffee und Haut annähernd gleich einzuschätzen. Trifft 60 Grad heißer Kaffee auf 35 Grad warmes Hautgewebe, wird die resultierende lokale Mischtemperatur einer schluckgroßen Menge Kaffee im Mund grob geschätzt beim arithmetischen Mittelwert liegen, also 47,5 Grad. Natürlich wird das allererste Auftreffen des Kaffees auf die alleroberste Zellschicht lokal Temperaturen von 60 Grad verursachen können, diese werden allerdings kaum lange Zeit meßbar sein. Und außerdem wird die "gemischte Wärme" durch den Blutkreislauf natürlich auch abtransportiert und im Körper verteilt.
Kippt man sich aber unabsichtlich einen kompletten Becher extrem heißen Kaffees über den Schoß, ist die Situation grundsätzlich eine andere. Der wichtigste Unterschied: Die Haut und das Muskelgewebe sind natürlich nicht flüssig, eine rasche Abkühlung des fast kochenden Kaffees durch Mischen in einem wesentlich größeren Volumen von "körperwarmem Wasser", so wie man sonst Kaffee und Milch mischen würde (allerdings im umgekehrten Volumenverhältnis: Wenig Kaffee, viel Milch) ist also prinzipbedingt nicht möglich. Die Oberflächentemperatur der Haut wird daher zwangsläufig stark ansteigen, es kommt unweigerlich zu Verbrennungen. Ob es zwingend zu Verbrennungen dritten Grades kommen muß, kann ich als medizinischer Laie nicht beantworten. Die genannten Zeiten sind in Berichten über diesen Kaffee-Prozess genannt worden, und es dürfte wohl auch unstrittig sein, dass Verbrennungen dritten Grades bei der Klägerin aufgetreten sind.
Und die Wärmeableitung im Mund dürfte im Mund noch wesentlich schlechter sein als an außenliegenden Körperteilen, selbst wenn aufliegende feuchte Textilien das Gewebe weiter aufheizen.
Du hast dir also noch nie den Mund verbrannt an zu heißem Kaffee? Wie heiß ist der übrigens tatsächlich, wenn du ihn genießt? Hast du beispielsweise die Temperatur des Kaffees auf der Warmhalteplatte gemessen? Ich werd' um diese Zeit allerdings keinen Kaffee mehr kochen, um das mal nachzumessen.
- Sven Rautenberg