Hi Christoph,
Der NDR bringt aus Anlaß des 40. Jahrestages der Erstausstrahlung des Beatclub eine "lange Nacht".
Damals hatte das Fernsehen noch einen "Erziehungsauftrag" und es war massiv umstritten, ob so etwas wie die Stones oder Hendrix etwas in diesem pädagogischen Konzept verloren hatten. So war dann der Beatclub der einzige Sendeplatz auf allen Sendern, die neben Disco-Hits die Musik der Jugend repräsentierte. Rockmusik hat die Kriegsgeneration provoziert, hat ihnen massiv Angst gemacht, wurde von ihnen als feindselige Lebensäußerung von Jugendlichen interpretiert. Hier im Ruhrgebiet war es der Radiosender der englischen Truppen, der die aktuellen Hits dennoch zu Gehör brachte, im Süden der Republik wahrscheinlich der entsprechende Ami-Funk. 30 Minuten Jugendprogramm pro WOche im gesamten Fernsehprogramm, interessant, oder?
Kinks, Bee Gees, Small Faces, Procol Harum, Rolling Stones, Beatles, Lords - achje, was es damals alles gab. Donovan, Jimi Hendrix ... In meiner Biogrsphie macht es jedoch allenfalls ein "Zeitfenster" von vielleicht 5 Jahren aus, in denen ich dafür empfänglich war, allerdings waren das die Jahre zwischen 14 und 19. Und die sind sicher für jeden irgendwie "prägend".
Neulich habe ich einen Beitrag zur Geschichte der Beatmusik in der DDR gehört, hochinteressant. Da hagelte es Verbote, aber es gab auch Versuche per FDJ Beatmusik zu integrieren, weil es gar nicht mehr ging, das Ganze komplett zu unterdrücken. Die Äußerungen von Honecker damals und anderen führenden Genossen waren wirklich treffende Beispiele für die unerträgliche kulturpolitische Spießigkeit des Systems.
Meine Eltern haben den "Tonbrei", den ich unbedingt hören wollte, nie verstanden, obwohl sich mein Vater sogar Mühe gab und wirklich verstehen wollte, was mich denn daran so sehr anzog. Und heute geht es mir ähnlich: ich kann den "Tonbrei", den heutige Kids unbedingt hören müssen, nicht differenzieren, selbst wenn ich mir mal Mühe geben möchte.
"Mal Mühe" reicht da einfach nicht, es gibt ihn nämlich nicht mehr, den Tonbrei, der die gesamte Jugend anspricht, es gibt jetzt dutzende von Musikszenen mit eigener Geschichte, eigenen Regeln, eigenen Stilen.
Die Frage ist: gibts da tatsächlich sowas wie ein "Generationenproblem" oder ist das, was heute die Charts füllt, nicht wirklich wesentlich einfacher und undifferenzierter als das, was "wir" damals vor vierzig Jahren gehört haben?
Es gab so um 1970 eine kulturelle Lebendigkeit, aus der immer wieder zitiert und geklaut wird, aber auch danach gab und gibt es spannende Entwicklungen in allen Musikstilen. Es ist einfach eine Frage der Motivation, sich damit auseinanderzusetzen.
Und das Gefühl, in der eigenen Jugend sei es niveauvoller zugegangen, dürfte wohl alle Generationen der Menschheitsgeschichte irgendwann einmal beschleichen. Hier mal die westdeutschen Charts von Januar 1970:
1. Dein schönstes Geschenk Roy Black
2. Sugar Sugar Archies
3. Come Together / Something Beatles
4. Call Me Number One Tremeloes
5. Mendocino Michael Holm
6. Venus Shocking Blue
7. Down On The Corner Creedence Clearwater Revival
8. Geh nicht vorbei Christian Anders
9. Dynamite Woman Sir Douglas Quintet
10. Oh Well Fleetwood Mac
11. Anuschka Udo Jürgens
12. Suspicious Minds Elvis Presley
13. Was damals war Karel Gott
14. Heya Jeronimo
15. Mademoiselle Ninette Soulful Dynamics
16. In der Carnaby Street Peggy March
17. Sweet Dream Jethro Tull
18. Scheiden tut so weh Heintje
19. Zucker im Kaffee Erik Silvester
Ein paar interessante Titel aus dem Ausland, der gesamte deutsche Teil ein unsäglicher Kitsch.
Die DDR-DJs waren gezwungen, zu 60% sozialisitsche Titel zu spieln, die sie um Titel aus einer bestimmten Musiksendung ergänzen durften, also staatlich ausgewähltes Zeug(http://www.studio89.de/ddr.htm#Technik). Die Titel dürften vielen heute nichts mehr sagen, aber Hendrix kam nicht zufällig weder aus der BRD noch aus der DDR.
Viele Grüße
Mathias Bigge