Christoph Schnauß: 40 Jahre Beatclub

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hallo Mathias,

Damals hatte das Fernsehen noch einen "Erziehungsauftrag" und es war massiv umstritten, ob so etwas wie die Stones oder Hendrix etwas in diesem pädagogischen Konzept verloren hatten. So war dann der Beatclub der einzige Sendeplatz auf allen Sendern, die neben Disco-Hits die Musik der Jugend repräsentierte.

Nein, nicht ganz der einzige, wenn auch wahrscheinlich im Fernsehen. Im Radio gabs aber noch samstags nachmittags im RIAS eine zweistündige Sendung - jetzt fällt mir bloß der Name der Sendung nicht ein. 1968 gabs an unserer Schule mal ein "moralisches Erdbeben", weil ein Mädchen aus meinr Klasse es gewagt hatte, an den RIAS zu schreiben und Grüße an uns auszurichten.

Neulich habe ich einen Beitrag zur Geschichte der Beatmusik in der DDR gehört, hochinteressant. Da hagelte es Verbote, aber es gab auch Versuche per FDJ Beatmusik zu integrieren, weil es gar nicht mehr ging

Die FDJ war mir völlig egal, die diversen Verbote allerdings nicht ganz. Wir haben alle gewußt, daß es etwas "Verbotenes" war, aber schließlich wurde in allen Familien, die ich kannte, grundsätzlich nur "Westfernsehen" gesachaut, das DDR-Fernsehen existierte lediglich in Form des Sandmännchens, alles andere war irrelevant und interessierte einfach nicht. Erst im Sommer 1989 wurden plötzlich wenigstens die Nachrichtensendungen des DDR-Fernsehens interessant und sogar so brisant, daß man ohne gar nicht mehr auskam.
In der Musikszene gab es etwa 1970 - 1980 ein Pendant: die Jazzszene der DDR erreichte international höchstes Niveau. Und zugleich kamen einige wenige Rock-/Popgruppen auf, die sich tatsächlich einprägten: die Puhdys etwa, Nena (jaja, ihre alten Leider von damals waren wenigstens wiedererkennbar), die Sterncombo Meißen. Da wurde endlich stellenweise richtig guter Rock gespielt. Und zeitgleich gab es Gruppen wie Bayon, die ihren Stil vor allem durch die Einflüsse südostasiatischer Emigranten ausprägen konnten (bei Bayon gab es zum erstenmal eine elektronisch verstärkte Violine). Und in Polen entstanden plötzlich solche Musikphänomene wie Njemen.

es gibt ihn nämlich nicht mehr, den Tonbrei, der die gesamte Jugend anspricht

Möglich, daß nicht die "gesamte Jugend" angesprochen wird. Was mich erstaunt, ist eher, daß es so gut wie nichts zu geben scheint, was sich durch Wiedererkennbarkeit auszeichnet. Es muß mir ja nicht  einmal gefallen.

Und das Gefühl, in der eigenen Jugend sei es niveauvoller zugegangen, dürfte wohl alle Generationen der Menschheitsgeschichte irgendwann einmal beschleichen.

Ich hüte mich davor, von "niveauvoller" zu sprechen, auch wenn ich selber mittlerweile der Großelterngeneration angehöre. Vielleicht aber war es tatsächlich alles deutlicher differenziert als heute.

Hier mal die westdeutschen Charts von Januar 1970:
[...]
Ein paar interessante Titel aus dem Ausland, der gesamte deutsche Teil ein unsäglicher Kitsch.

Roy Black war tatsächlich nicht auszuhalten, und Heintje ebensowenig. Aber bei "Annuschka" von Udo Jürgens brauchte man nicht unbedingt das Radio abzustellen. Ein paar Zeilen seines Textes kann ich immer noch auswendig, auch wenn das niemals auf einem meiner Bänder konserviert wurde.

Die DDR-DJs waren gezwungen, zu 60% sozialisitsche Titel zu spieln

Glücklicherweise hielten sich die wenigsten wirklich daran. Oft funktionierte das so, daß bei einer Veranstaltung angesagt wurde: "Leute, wir müssen erstmal ne Stunde lang was spielen, was ihr eh nicht mögt. Also eßt und trinkt erstmal was und hampelt nicht gleich auf der Tanzfläche rum, in einer Stunde gehts dann richtig los".

Grüße aus Berlin

Christoph S.