Christian Seiler: Implikation

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Hallo Martin,

Du erkennst den Unterschied zwischen „die Seiten eines Dreiecks erfüllen die Bedingung a² + b² = c²“ und „es gilt a² + b² = c²“?

nein, ehrlich gesagt nicht. Selbst wenn die Seitenlängen eines Dreiecks negativ wären (was man durch eine Spiegelung oder eine Umkehrung des Umlaufsinns veranschaulichen kann), gilt die Äquivalenz immer noch.

Zum einen: Negative Seiten eines Dreiecks sind nicht möglich. Wenn ich ein Dreieck spiegele, ist die Seitenlänge immer noch positiv.

Zum anderen: Betrachte doch mal eine andere Aussage: a < c. Das ist erst einmal eine simple Ungleichung, die besagt, dass ein Objekt "a" kleiner ist als ein Objekt "c". Man könnte diesem Objekt "a" die Bedeutung einer Kathete eines rechtwinkligen Dreiecks geben und "c" die Bedeutung der Hypotenuse. Man könnte "a" aber auch eine völlig andere Bedeutung geben. Vielleicht ist an Hand dieser Ungleichung klarer, warum "a < c" eben eine andere Aussage ist als "Sei a die Kathete und c die Hypotenuse eines rechtwinkligen Dreiecks, es gilt a < c".

Bei a² + b² = c² ist noch lange nicht gesagt, dass es sich bei "a", "b" und "c" überhaupt um positive reelle Zahlen handeln muss, es könnten zum Beispiel auch Matrizen sein. Stell Dir vor, Du hast folgendes:

[latex]\left(\begin{array}{cc}0 & 1 \ 1 & 0\end{array}\right)^2 + \left(\begin{array}{cc}1 & 0 \ 0 & -1\end{array}\right)^2 = \left(\begin{array}{cc}\sqrt{2} & 0 \ 0 & \sqrt{2}\end{array}\right)^2[/latex]

Hier wäre:

[latex]a = \left(\begin{array}{cc}0 & 1 \ 1 & 0\end{array}\right)[/latex]
[latex]b = \left(\begin{array}{cc}1 & 0 \ 0 & -1\end{array}\right)[/latex]
[latex]c = \left(\begin{array}{cc}\sqrt{2} & 0 \ 0 & \sqrt{2}\end{array}\right)[/latex]

Das wäre mathematisch genau so möglich. Die Aussage "a² + b² = c²" ist eben nur eine allgemeine algebraische Aussage in der Mathematik - und ob a, b und c eben Seitenlängen sind oder nicht, kann man aus der Gleichung alleine nicht auslesen.

Mag sein, dass viele Menschen bei a² + b² = c² sofort an Pythagoras denken (tue ich ja auch) - aber das heißt noch lange nicht, dass diese Gleichung nur für Dreiecke anwendbar ist.

„Wenn a² + b² = c² gilt, dann ist ein Dreieck mit den Seitenlängen a, b, c rechtwinklig“ gilt für gewisse Belegungen a, b, c; für andere nicht.
(-1)² + i² = 0²

Sorry - mit komplexen Zahlen habe ich zuletzt im zweiten oder dritten Semester meines Studiums zu tun gehabt (so um 1990/91), seither nie wieder. Ich neige deswegen dazu, ihre Existenz für den Alltag zu vernachlässigen und denke ausschließlich im Bereich der reellen Zahlen.

Ich dachte Du wärst Elektrotechniker? Wie kommt man da bitteschön ohne komplexe Zahlen aus? Wenn Du irgendwelche Schaltungen berechnen willst, dann nehmen einem komplexe Zahlen doch alleine schon für die Impedanzberechnung extrem viel Arbeit ab. Und wenn Du andere Charakteristiken bestimmen willst, dann gibt's doch Laplace- oder Z-Transformation, die in der Elektrotechnik oft angewendet werden - da spielen komplexe Zahlen doch auch eine große Rolle...

Und unabhängig davon: Nur, weil Du nicht mit komplexen Zahlen rechnest, muss das ja noch gar nichts heißen. Wir sind hier schließlich in einem Thread, wo es um Aussagelogik und damit einem der formalsten Teile der Mathematik geht. Ich stelle mich da auf den Standpunkt, dass man da andere Maßstäbe ansetzen muss, als beim simplen Ausrechnen von Dingen.

Um Gunnars Beispiel nochmal etwas anders zu beleuchten (vielleicht ist Dir dann klarer, was er gemeint hat):

Deine Äquivalenzaussage ist:

Gegeben seien a, b, c.
  Wenn ein Dreieck mit Seiten a, b, c (c > a und c > b) rechtwinklig ist,
  dann erfüllen die Seiten des Dreiecks die Bedingung a² + b² = c².

Drehen wir diese um:

Gegeben seien a, b, c.
  Wenn die Seiten eines Dreiecks die Bedingung a² + b² = c² erfüllen,
  so ist das Dreieck mit eben diesen Seiten rechtwinklig und es gilt
  c > a und c > b.

Gunnars Implikation (etwas deutlicher formuliert):

Gegeben seien a, b, c.
  Wenn ein Dreieck mit Seiten a, b, c (c > a und c > b) rechtwinklig ist,
  dann gilt a² + b² = c².

Stellen wir Gunnars Implikation mal um:

Gegeben seien a, b, c.
  Wenn gilt a² + b² = c², dann sind dies Seiten eines Dreiecks, das
  rechtwinklig ist und die die zusätzlichen Bedingungen c > a und c > b
  erfüllen.

Letzteres ist offensichtlich falsch (siehe Gunnars Beispiel mit komplexen Zahlen und mein Beispiel mit Matrizen).

Viele Grüße,
Christian