Tim Tepaße: Video Tutorials oder Text?

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Hallo,

Wenn man im Internet so stöbert, stolpert man immer wieder über diese immer mehr verbreitenden Video Tutorials. Dort wird ja einfach mit einem Programm den Bildschirm aufgenommen und man kann genau den Handlungsverlauf verfolgen, meistens noch von einer Stimme begleitet

Screencast nennt man die auch.

Video Tutorials     oder      einfach klassische Text Tutorials
Mit was kommt ihr besser klar? Was bevorzugt ihr? etc. ...

Ich bevorzuge beides, wenn ich stark an einem Thema interessiert bin und möglichst viele Informationen möchte. Wenn man mich dagegen für ein Thema interessieren will oder ich auf der Suche nach der schnellen Antwort bin, präferiere ich immer, ohne Ausnahme, Text.

In statischer Präsentation - Text mit eventuellen Bildern – habe ich viel mehr Möglichkeiten zur Auseinandersetzung. Querlesen nach Stichworten um relevante Textteile oder Bilder zu finden, Skimming ist der Fachbegriff. Lesend nehme ich sehr viel schneller Inhalt auf als Video guckend oder Audio hörend. Ein Video, ein Audiodingsbums (was ist die akustische Parallele zu „das Video“?), eine Präsentation braucht immer etwas mehr Aufmerksamkeit von mir, es ist ein höheres Investment an Zeit und vor allem Aufmerksamkeit von mir. Bei einem Text reicht ein Querlesen, um zu beurteilen, ob es sich lohnt, sich näher damit zu beschäftigen. Bei einem Video kann ich das nicht; im schlimmstens Fall merke ich erst an der Marke -00:10, dass es sich nicht gelohnt hat, Zeit dafür zu investieren. Im Sinne der Eigenwerbung dafür, dass sich der Besucher damit beschäftigen soll, ist ein reines Video- oder Audio-Ding ohne Kontext Antiwerbung für sich selbst.

Was mich persönlich besonders stört ist der Geschwindigkeitsaspekt. Ich lese je nach geistiger Fitheit und Tiefe des Inhaltes mal schneller, mal langsamer, mal lese ich den Absatz noch mal, oder nochmal unter anderem Blickwinkel, mal springe ich vor, mal springe ich zurück, mal springe ich ganz woanders hin, mal stoppe ich ganz und lasse den Gedanken sacken. All diese Möglichkeiten habe ich im Medium Video oder Audio nicht oder nur kaum. Sämtliche Navigationsmöglichkeiten entfallen, weil man in der Zeitlinie des abspielenden Mediums sich nicht die im Menschen eingebaute Mustererkennung zunutze machen kann. Ich kann mich also nur unter Schwierigkeiten nonlinear und in eigener Geschwindigkeit mich mit dem Inhalt auseinander setzen; ich bin Geisel der Geschwindigkeit des Ersteller des Videos. Mein eigener Erkenntnisprozess wird dabei ausgehebelt.

Das soll nicht heissen, dass Video oder sonstige nicht-textuelle Vermittlungen automatisch schlecht sind. Im Gegensatz. Tautologie: Video und Audio sind perfekt für Inhalte, die sich anders schlecht vermitteln lassen. Aber man sollte sie mit Bedacht einsetzen und mit Kontext umgeben, damit man evaluieren kann, ob es das Investment an Zeit und Aufmerksamkeit wert ist. Und im Idealfall findet man all die Informationen noch in einer anderen, statischen Form zum schnellen Nachschlagen, zum Kopieren, Zitieren, Im-Detail-Verlinken, zum aktiven Auseinandersetzen mit dem Inhalt.

Mal ein Beispiel aus meiner aktuellen Realität: Ich habe mich am Wochenende für eine neue, noch randspartige Programmiersprache namens Clojure interessiert. Ich habe also dessen Webseite besucht, diese quergelesen, dann etwas tiefer gelesen und habe dann erst die dort verlinkten Screencasts (eigentlich mitgeschnittene Präsentationen) geguckt. Ich hätte die Präsentationen garantiert nicht geguckt, hätte ich nicht vorher Texte gelesen, die mich neugieriger gemacht hätten, schließlich sind das jeweils 2 h fette Videos bei denen ich nicht wusste, ob es sich lohnt. Der Präsentator könnte ja auch einfach irgendwas vom Pferd erzählen. Beim Nebenbei-Gucken der Präsentationen habe ich intensiv davon profitiert, dass ich auf der Webseite das jeweilig angesprochene nachlesen  und damit gleichzeitig alternativ nachvollziehen konnte, anstatt einfach nur passiv vom Bildschirm zu sitzen.

Letztendlich kannst nur Du sagen, was das dann für Deine Video-Tutorial-Seite bedeutet. Ich würde immer Kontext dazu packen, damit man weiß, was einen erwartet. Auch wenn man schon denkt, dass die Leute instrinsisch motiviert sind, das Video „So benutzen sie Photoshop“ zu gucken, weil sie Photoshop kennen lernen, sollte mindestens ein kleiner Absatz an Erläuterung darum sein. Der zusätzliche Inhalt in Text- oder Screenshotform ist nicht verpflichtend aber nett. Ein Transkript ist meiner Meinung nach aber schlechter als ein eigenständiger Artikel. Aber letztendlich ist die Form der alternativen Text-Informationen stark vom Inhalt abhängig. Ein Minimalbeispiel für alternativen Inhalt: Der Podcast Chaosradio z.B. hat auf der jeweiligen Webseite eine Liste von Verweisen auf behandelte Themen, wie z.B. zu der Folge zum Qualitätsmanagement in der Wikipedia. Finde ich sehr nett.

(Dies bezieht sich natürlich nur auf eher sachlich Inhalt vermittelnde Formate. In Kunst wie Literatur, Kinofilme, TV-Serien oder the show with zefrank beurteile ich nach anderen Gesichtspunkten; dort gehört das Nicht-Erfüllen der Erwartungshaltung durchaus mit zum Programm.)

Tim