Hallo Sven,
Ich unterstelle Frau v.d.Leyen nicht, dass sie eine bundesweite Zensur-Infrastruktur will. Sie will vermutlich zum einen Teil einfach nur ihre von guten Beweggründen motivierte Initiative zum von ihr inhaltlich klar definierten erfolgreichen Ende bringen (also: die Sperre muss kommen), und mit Sicherheit denkt sie auch an den Machterhalt für sich und ihre Partei, denn die nächste Wahl steht ja bevor.
Ich unterstelle ihr, dass sie als Mutter einiger Kinder "das beste" wirklich will. Vielleicht sieht sie in ihrem Amt die Detailfragen und die Problematik nicht. Immerhin wirst du als Politiker aber fast _immer_ Leute treffen, die bei einer Entscheidung schreien "immer auf die Falschen", "immer auf die Kleinen", "immer gegen die Freiheit", egal, ob sie selbst die Richtigen, Großen oder es nur im die Ego-Freiheit geht.
Und meine Abwägung der einzelnen Interessen und Rechte kommt halt zu dem Ergebnis, dass solch eine Sperr-Infrastruktur gegen Kinderpornos ein zu großer Eingriff in die Freiheit der Allgemeinheit ist, weil das damit zu erzielende Ergebnis viel zu gering ist, und obendrein auf einfachere Weise mit alternativen Mitteln viel besser erreicht werden könnte.
Dies kann ich so gut nachvollziehen. Es ist ja auch jedermenschs gutes Recht, bei solch einer fraglichen Angelegenheit sein gefühltes Rechtsempfinden zum Ausdruck zu bringen. Nicht unwahrscheinlich scheint ja, dass selbst Rechtsexperten da geteilter Auffassung sein dürften, zumal die Kenntnis der dahinterliegenden Technik ja noch nicht zur Allgemeinbildung zählt.
Frau v.d.Leyen ist solchen Alternativargumenten gegenüber aber anscheinend nicht aufgeschlossen. Mir ist jedenfalls noch nicht aufgefallen, dass irgendjemand, aus Ministerium, BKA oder sonstiger Polizeibehörde, die Alternativforderung aufgestellt hätte, endlich für eine personelle und technische Ausstattung zu sorgen, die die Strafverfolgung von Internetkriminalität effektiver macht.
Naja, von Seite der Polizei wäre ich mir da nicht so sicher. Die Diskussion gabs leztlich wegen jugendlichen Gewalttätern bei Anne Will und der Fachmann von der Polizei als Extragast war da recht deutlich: Prävention = Personal!
»» Auch Stefans Begeisterung legt nahe, dass es hier eher um eine Art (fundamentalen) "Glaubens"krieg geht.
Da hast du vollkommen recht. Es geht um den Glauben an die Demokratie, und welches Bild der Staat von seinen Bürgern haben soll. Soll der Staat ausstrahlen "Alle Bürger sind unmündig, der Staat filtert schon mal vor, was gesehen werden darf", oder doch eher "Alle Bürger sind mündig, der Staat filtert nichts, sondern sorgt durch Bildung und gesellschaftlichen Diskurs für einen Konsens über akzeptable Wertvorstellungen, und verfolgt Normübertretungen im Einzelfall."
Naja, und da tappt man glaube ich in eine Fall. Es geht hier um Abwägung, nicht ums allumfassende Prinzip. Denn weder soll der Staat alles regeln (=Diktatur, dann ist "der Staat" ja in der Regel auch nur ein Clique), noch helfen diese angeblichen "freiwilligen Selbsverpflichtung", denn dann greift die Ego-Psychologie jedes einzelnen: "wieso, wenn der sich nicht dran hält, warum muss ich". Schiedsrichter muss schon sein. Ist beim Fussball auch so. Und das heißt nicht, dass die Spieler dann nicht spielen dürften. Insofern finde ich das Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes auch wirklich sinnbringend und würde für eine Verfassungsbeschwerde plädieren.
Gruß
jobo