( HAL ): Gendering im Web

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Hallo Woodfighter

So wie ich die Sache sehe, sollten Gedanken die Sprache formen, und nicht umgekehrt.

aber es funktioniert nicht nur in eine sondern beide Richtungen.

Das ist richtig und im Kern ja auch der Anstoß, der überhaupt erst zu dieser Debatte geführt hat.

Ich empfinde es nur als fragwürdige Praxis und - verallgemeinert betrachtet - sogar als gefährliche Tendenz, zu versuchen, organisch gewachsene, dokumentierte und standardisierte Sprache quasi von oben herab mit dem Ziel zu manipulieren, die individuellen Einstellungen der Menschen zu verändern, und sei der damit verbundene Zweck auch noch so ehrenhaft.

Das geht meiner Ansicht nach erstens am eigentlichen Problem vorbei und zweitens beschreitet man damit einen Pfad, von dem man sich vielleicht später wünschen würde, man hätte ihn nicht beschritten.

Wenn ich sage: „Alle Lehrer dieser Schule“ und nicht aus dem Kontext hervorgeht, dass mit dieser Formulierung tatsächlich nur die männlichen Vertreter dieser Gruppe gemeint sind, dann sollte jeder vernunftbegabte Mensch davon ausgehen, dass hiermit sowohl die männlichen, als auch die weiblichen Kollegen gemeint sind.

Sollte, aber in der Realität scheint es nunmal nicht so zu sein: Angefangen beim nicht-wissenschaftlichen; ich denke bei Arzt, Informatiker, Bauarbeiter u.ä. nicht an zuerst an weibliche Personen. [...]

Wir assoziieren, was wir täglich sehen.

Wenn ich an „Bauarbeiter“ denke, stelle ich mir sicherlich ein männliches Exemplar vor, da ich kaum je eine Bauarbeiterin gesehen habe, oder ich mich jedenfalls nicht daran erinnern kann. Andererseits denke ich beispielsweise bei dem Begriff „Arzt“ durchaus zuerst an eine Ärztin, nämlich meine Hausärztin, und bei „Anwälten“ geht es mir ähnlich.

Das ist schlicht subjektiv, und wenn man möchte, dass es hier nicht zu potentiell für die Gesellschaft schädlichen Entwicklungen kommt, dann wäre mein Ansatz eher der, gesellschaftspolitisch dahingehend tätig zu werden, dass man Anreize schafft, damit in möglichst vielen Berufen und sonstigen sozialen Funktionen ein ausgeglichenes Verhältnis der Geschlechter herrscht, welches sich dann auch in der Vorstellungswelt der Menschen widerspiegeln würde.

Und wenn wissenschaftliche Untersuchungen nun zeigen, dass hier ein Ungleichgewicht in der Wahrnehmung herrscht, dann spiegeln diese Ergebnisse das Ungleichgewicht der Gesellschaft wider, und das verschwindet nicht, indem man bloß an der Oberfläche sprachliche Korrekturen vornimmt, sondern dadurch wird die zugrundeliegende Problematik höchstens verschleiert.

Die verschiedenen Versuche, durch schlimme sprachliche Verunstaltungen

Was soll bitte eine sprachliche Verunstaltung sein?

Diese Formulierung ist nur meinem persönlichen ästhetischen Empfinden geschuldet, es soll ja Menschen geben, die über einen solchen Sinn verfügen. Aber wie gesagt, nur meine subjektive Empfindung...

dem generischen Maskulinum (oder Femininum) seine ihm eigentlich innewohnende Neutralität abzusprechen, sehe ich nur als unbrauchbaren Versuch an, Syptome gesellschaftlicher Probleme zu lindern, statt sich deren Ursachen anzunehmen, und dies mit der möglichen Nebenwirkung, dass unangebrachte gedankliche Unterscheidungen unter Umständen gerade dadurch zementiert werden, beziehungsweise sie erst dadruch (wieder) entstehen.

Ich würde davon ausgehen, dass die Ächtung verächtlicher Sprache für Randgruppen mit dazu geführt hat, dass deren Akzeptanz steigt; wir benutzen Sprache also schon, um das Denken zu ändern. Warum sollte man das im Falle von anderen Gruppen nicht auch tun?

Wenn du so argumentierst, muss ich fragen: Was ist verächtliche Sprache?

Wenn wir zum Beispiel, wie du es bei der Erwähnung von „Randgruppen“ wohl angedacht hattest, Begriffe wie „Neger“, „Schlitzauge“ oder „Schwuchtel“ betrachten, ist die Bewertung leicht, denn es handelt sich eindeutig um Schimpfworte, die praktisch ausschließlich in herabwürdigender Absicht geäußert werden.

Aber diese Intension, durch die Sprache auszugrenzen und herabzuwürdigen, ist bei den Verwendern generisch maskuliner oder femininer Begriffe in aller Regel eben nicht gegeben, das heißt, die Beurteilung solcher Formulierungen als „verächtlich“ beruht hier einzig und allein auf subjektiven Empfindungen des Empfängers, um nicht zu sagen, einer Teilmenge der Empfänger, und kann also meiner Ansicht nach keinesfalls verallgemeinert werden.

Tatsächlich beleidigende Begriffe und Formulierungen, die lediglich fehlinterpretiert werden können in einen Topf zu werfen, halte ich für keine gute Idee.

Das ist aus meiner Sicht heraus ein qualitativer Unterschied und das zu vermischen finde ich nicht richtig, auch wenn die zugrunde liegenden gesellschaftlichen Emanzipationsbewegungen in vielerlei Hinsicht vergleichbar sein mögen.

Ich bin daher der Ansicht, dass man grundsätzlich davon ausgehen sollte, dass die Menschen hier zur Abstraktion fähig sind, und die generisch maskulinen oder femininen Begriffe so verwendet, wie es ihrer eigentlichen Bedeutung entspricht, und wenn an einer Stelle aus praktisch nachvollziehbaren Gründen betont werden soll, dass Personen beiderlei Geschlechts gemeint sind,

Ich gehe davon aus, dass das eine schöne Welt wäre, aber dass es nicht die ist, in der wir leben.

Nochmal, nicht die generisch festgelegten Begriffe sind das Problem, sondern die gesellschaftlichen Umstände in denen sie verwendet werden:

Würde es keine signifikanten geschlechtsspezifischen Ungleichgewichte in der Gesellschaft geben, würden auch diese Formulierungen anders bewertet werden, nämlich so, wie sie eigentlich gedacht sind, als neutral und inklusiv, und die ganze Debatte hätte sich erledigt, wozu es, eine positive soziale Entwicklung vorausgesetzt, in Zukunft auch zwangsläufig kommen würde, sofern man keine künstlichen Hürden errichtet, die dieser Zweckbestimmung im Wege stehen.

Und wenn man diese Dynamik der gesellschaftlichen Entwicklung berücksichtigt, so werden auch neue Bezeichnungen für soziale Funktionen oder Berufe Eingang in unsere Sprache finden, und ob diese dann als generisches Maskulinum oder Femininum geprägt werden, hängt dann eben von den tatsächlichen sozialen Umständen ab, so wie es seit jeher geschehen ist, und wenn wir davon ausgehen, dass auf das Geschlecht bezogene Unterschiede nach und nach angeglichen werden, dann wird dies langfristig und gewissermaßen automatisch auch die sprachlichen Ungleichgewichte einebnen.

dann sollte man dies entweder einleitend in einem kurzen Nebensatz definieren,

[...] „Aber sinnvoll ist diese Art eigenwilliger Umdefinition natürlich nicht, denn wenn wir alle anfingen, Wörtern beliebige Bedeutungen zu geben, wäre das kommunikative Chaos vorprogrammiert.“

Es ist keine eigenwillige oder beliebige Definition, darauf hinzuweisen, dass beispielsweise mit einem generisch maskulinen Ausdruck wie „Lehrer“ beide Geschlechter gemeint sind, sondern dies lediglich ist eine Präzisierung der tatsächlichen Bedeutung.

Aber ja, grundsätzlich stimme ich dem Argument zu, und es bestärkt mich umso mehr in meiner Überzeugung, dass die ganze Diskussion vollkommen kontraproduktiv ist, denn die Verwendung generisch maskuliner oder femininer Ausdrücke als neutrale und inklusive Oberbegriffe ist ja gerade die praktische Antwort der Menschen auf das Erfordernis, im täglichen Sprachgebrauch die allgegenwärtige Unterscheidung des Genus in einer Sprache, die über diese Eigenschaft verfügt, zu überbrücken, und dass dabei Ungleichgewichte zugunsten des Maskulinums entstanden sind, ist eben schlicht historisch bedingt.

Die praktisch völlig unrealistische, aber dafür absolut eindeutige und über jede Fehlinterpretation erhabene Alternative wäre, es so wie die Angelsachsen zu machen, aber ich denke, dadurch würde unserer Sprache mehr verloren gehen, als wir gewinnen würden.

oder man sollte sich die Mühe machen, es in richtigem Deutsch auszuschreiben: „Lehrerinnen und Lehrer“.

Da ich hier ja gerne weitergehe die Frage: Und was ist mit den Menschen, die sich davon nicht inkludiert (z.B. Transgender und Intersex) fühlen?

Mir ging es hier nur darum zu sagen, dass ich „Lehrerinnen und Lehrer“ besser finde als „LehrerInnen“ oder ähnliche Konstrukte, aber ansonsten ist das ein Punkt, auf den ich ohnehin zu sprechen kommen wollte, denn er stellt für mich ein weiteres Argument dar pro inklusive Semantik und kontra explizite Bezeichnung, denn das wäre, der Logik derjenigen folgend, die eine sprachliche Trennung fordern, ja der zwangsläufige nächste Schritt, und wie kompliziert soll unsere Sprache denn noch werden?

Naja, whatever, genug schwadroniert für heute! ;-)

Gruß,

HAL