woodfighter: Gendering im Web

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Tach,

Ich empfinde es nur als fragwürdige Praxis und - verallgemeinert betrachtet - sogar als gefährliche Tendenz, zu versuchen, organisch gewachsene, dokumentierte und standardisierte Sprache quasi von oben herab mit dem Ziel zu manipulieren, die individuellen Einstellungen der Menschen zu verändern, und sei der damit verbundene Zweck auch noch so ehrenhaft.

ich würde es ganz sicher nicht als von oben herab betrachten, wenn es darum geht, dass eine unterpriviligierte Menschengruppe hier Änderungen umsetzen möchte. Von oben herab wäre es hier den maskulinen Status Quo zu verteidigen.

Wenn ich an „Bauarbeiter“ denke, stelle ich mir sicherlich ein männliches Exemplar vor, da ich kaum je eine Bauarbeiterin gesehen habe, oder ich mich jedenfalls nicht daran erinnern kann. Andererseits denke ich beispielsweise bei dem Begriff „Arzt“ durchaus zuerst an eine Ärztin, nämlich meine Hausärztin, und bei „Anwälten“ geht es mir ähnlich.

Passt auch noch nicht ganz, ich kenne nur weibliche Anwälte persönlich, trotzdem denke ich bei Anwalt an eine männliche Person.

Das ist schlicht subjektiv, und wenn man möchte, dass es hier nicht zu potentiell für die Gesellschaft schädlichen Entwicklungen kommt, dann wäre mein Ansatz eher der, gesellschaftspolitisch dahingehend tätig zu werden, dass man Anreize schafft, damit in möglichst vielen Berufen und sonstigen sozialen Funktionen ein ausgeglichenes Verhältnis der Geschlechter herrscht, welches sich dann auch in der Vorstellungswelt der Menschen widerspiegeln würde.

Und Sprache ist ein Mittel dass man gesellschaftspolitisch nicht verwenden darf?

Und wenn wissenschaftliche Untersuchungen nun zeigen, dass hier ein Ungleichgewicht in der Wahrnehmung herrscht, dann spiegeln diese Ergebnisse das Ungleichgewicht der Gesellschaft wider, und das verschwindet nicht, indem man bloß an der Oberfläche sprachliche Korrekturen vornimmt, sondern dadurch wird die zugrundeliegende Problematik höchstens verschleiert.

Man kann durch Sprache aber die Wahrnehmung verändern und die ist zum Teil so schräg, dass ich nicht weiß wie das sonst passieren soll.

Was soll bitte eine sprachliche Verunstaltung sein?

Diese Formulierung ist nur meinem persönlichen ästhetischen Empfinden geschuldet, es soll ja Menschen geben, die über einen solchen Sinn verfügen. Aber wie gesagt, nur meine subjektive Empfindung...

Ok, ich dachte du wolltest auf etwas objektives hinaus.

Wenn wir zum Beispiel, wie du es bei der Erwähnung von „Randgruppen“ wohl angedacht hattest, Begriffe wie „Neger“, „Schlitzauge“ oder „Schwuchtel“ betrachten, ist die Bewertung leicht, denn es handelt sich eindeutig um Schimpfworte, die praktisch ausschließlich in herabwürdigender Absicht geäußert werden.

Nein, das waren im letzten Jahrhundert noch die ganz normalen Alltagsbegriffe; siehe die Diskussion um die Änderung der Übersetzung der Pipi Langstrumpf Romane.

Aber diese Intension, durch die Sprache auszugrenzen und herabzuwürdigen, ist bei den Verwendern generisch maskuliner oder femininer Begriffe in aller Regel eben nicht gegeben,

Ich sage auch nicht, dass das Absicht ist; wer das generische Masulinum verwendet möchte nicht (unbedingt) ausgrenzen, aber die Wirkung verschwindet deshalb ja trotzdem nicht.

das heißt, die Beurteilung solcher Formulierungen als „verächtlich“ beruht hier einzig und allein auf subjektiven Empfindungen des Empfängers, um nicht zu sagen, einer Teilmenge der Empfänger, und kann also meiner Ansicht nach keinesfalls verallgemeinert werden.

Und weil nur eine Teilmenge der Empfänger sich ausgeschlossen fühlt und eine Mehrheit der Emnpfänger ausschließt, wenn die Studien die Wahrheit berichten, ist es nicht wert das zu ändern?

Tatsächlich beleidigende Begriffe und Formulierungen, die lediglich fehlinterpretiert werden können in einen Topf zu werfen, halte ich für keine gute Idee.

Die vom Sprachlog zitierte Stuide sagt, dass es von einer Mehrheit fehlinterprettiert wird, wenn ich mit der Verwendung des generischen Maskulinums also etwas anderes aussagen würde, als ich möchte, muss ich meine verwendete Sprache ändern.

Nochmal, nicht die generisch festgelegten Begriffe sind das Problem, sondern die gesellschaftlichen Umstände in denen sie verwendet werden:

Würde es keine signifikanten geschlechtsspezifischen Ungleichgewichte in der Gesellschaft geben, würden auch diese Formulierungen anders bewertet werden, nämlich so, wie sie eigentlich gedacht sind, als neutral und inklusiv, und die ganze Debatte hätte sich erledigt, wozu es, eine positive soziale Entwicklung vorausgesetzt, in Zukunft auch zwangsläufig kommen würde, sofern man keine künstlichen Hürden errichtet, die dieser Zweckbestimmung im Wege stehen.

Du hast gelesen, dass laut der Studie auch nicht stereotype Gruppenbezeichnungen als maskulin wahrgenommen werden?

Und wenn man diese Dynamik der gesellschaftlichen Entwicklung berücksichtigt, so werden auch neue Bezeichnungen für soziale Funktionen oder Berufe Eingang in unsere Sprache finden, und ob diese dann als generisches Maskulinum oder Femininum geprägt werden, hängt dann eben von den tatsächlichen sozialen Umständen ab, so wie es seit jeher geschehen ist, und wenn wir davon ausgehen, dass auf das Geschlecht bezogene Unterschiede nach und nach angeglichen werden, dann wird dies langfristig und gewissermaßen automatisch auch die sprachlichen Ungleichgewichte einebnen.

Ich würde das Problem aber gerne noch zu meiner Lebzeit weiter in den Griff bekommen und nicht erst, wenn meine Generation ausgestorben ist.

Es ist keine eigenwillige oder beliebige Definition, darauf hinzuweisen, dass beispielsweise mit einem generisch maskulinen Ausdruck wie „Lehrer“ beide Geschlechter gemeint sind, sondern dies lediglich ist eine Präzisierung der tatsächlichen Bedeutung.

Nein, es ist nicht die tatsächliche Bedeutung, es ist die eigentlich geplante Bedeutung und wenn die beim Rezipienten nicht ankommt, hilft die Definition nicht.

Aber ja, grundsätzlich stimme ich dem Argument zu, und es bestärkt mich umso mehr in meiner Überzeugung, dass die ganze Diskussion vollkommen kontraproduktiv ist, denn die Verwendung generisch maskuliner oder femininer Ausdrücke als neutrale und inklusive Oberbegriffe ist ja gerade die praktische Antwort der Menschen auf das Erfordernis, im täglichen Sprachgebrauch die allgegenwärtige Unterscheidung des Genus in einer Sprache, die über diese Eigenschaft verfügt, zu überbrücken, und dass dabei Ungleichgewichte zugunsten des Maskulinums entstanden sind, ist eben schlicht historisch bedingt.

Wie schon erwähnt das ganze passiert auch in Sprachen ohne Genus (vermutlich aufgrund der Stereotypisierung); in diesem Falle haben wir sogar einen Vorteil weil wir eben dieses Konzept unserer Sprache verwenden können, um eindeutig zu inkludieren.

mfg
Woodfighter