Felix Riesterer: Aufenthaltsdauer auf Webseite ermitteln

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Lieber Linuchs,

die Devise: "Das haben wir noch nie so gemacht".
[...]
Sie träumen von der Zeit, als sie noch mit Frau und Kindern zu eigenen Veranstaltungen erschienen sind [...]
Dann klagen sie, dass ihre Sänger wegsterben [...]
EDIT: Könnte es sein, dass Webseiten antiquiert sind und beim jungen Publikum keine Chance haben gegen soziale Netzwerke? Sind Webseiten für die Alten?

ja, das alte Lied/Leid. Meine Sicht der Dinge ist, dass jede Generation "ihre Lieder" hat. Unsere im Vergleich zu anderen Ländern einmalige Dichte an Amateur-Chören ist etwas ganz spezifisch deutsches. Es ist aus einer Zeit (19. Jh.), als das Sammeln von traditionellem Liedgut ("Volkslied") zur Bildung einer nationalen Identität beigetragen hat. Nicht alle heute sogenannten Volkslieder sind tatsächlich aus dem Volk gewachsenes Liedgut. Viele sind in diesem Stil komponiert worden (z.B. Ännchen von Tharau, Bunt sind schon die Wälder etc.), um zu der Fülle beizutragen, da der Lebensalltag der Menschen genügend Geselligkeit kannte, um dieses Liedgut mangels medialer Abwechslung (kein Radio/Fernsehen/Internet) tatsächlich zu praktizieren. Man kann dies schön in Kein schöner Land nachhören (oder -lesen).

Wenn man jetzt begreift, dass unsere Chorlandschaft aus dieser Tradition hervorgegangen ist, dann muss man einsehen, dass sich unsere Gesellschaft sehr stark in eine Richtung verändert hat, in die diese Tradition als Lebensweise nicht mehr passt. Kein Junger Mensch möchte sich mehr an einen Verein binden, da das Leben so unüberschaubare Entwicklungsmöglichkeiten hat. Dass Traditionschöre deswegen sprichwörtlich wegsterben, ist deshalb nicht verwunderlich, wenn auch bedauerlich.

Anekdote aus meiner Zeit als Zivieldienstleistender (Mitte der 90er Jahre):
Als ich eine Altersheimbewohnerin zum Volksliedersingen aus dem Speisesaal abholte, konnte sie mir nicht sagen, was sie zum Mittagessen hatte, obwohl der leere Teller noch vor ihr stand. Während des Singens aber sang sie ausnahmslos jedes Lied mit allen seinen Strophen auswendig mit. Wenn ich jetzt sagen sollte, welche Lieder ich einmal an ihrer Stelle auswendig mitsingen sollte... ?

Was ich aber erlebt habe, ist die Bereitschaft, sich für ein Projekt zu binden. Ein Projekt hat ein definiertes Ende, das schon zu Beginn klar und unverrückbar vor Augen steht. Daher kann man auf diese im Vergleich zu einem ganzen Leben (80 Jahre Chormitgliedschaft) nur sehr kurze Phase zusagen, um im Anschluss wieder frei und ungebunden zu sein. Auch wenn nach einem solchen Projekt die Teilnehmer sich eine Kontinuität des Ensembles wünschen (sehr natürliche Reaktion), so muss sie doch an unserer modernen Lebensweise regelmäßig scheitern. Das soll jetzt natürlich nicht heißen, dass ein Folgeprojekt nicht möglich oder wenig erfolgreich sein muss, ganz im Gegenteil, aber es soll heißen, dass ein mögliches Folgeprojekt niemals von einer identischen Besetzung ausgehen darf.

Ich sehe für Traditionschöre nur eine Chance in Projektarbeit. Der hinter dem Chor stehende Verein als Körperschaft bietet den rechtlichen und finanziellen Rückhalt für die Projekte, hat die notwendigen Erfahrungswerte und findet für jeweils ein Projekt sangeswillige Menschen, die sich nach einem erfolgreichen Projekt jederzeit wieder neu binden können, wenn sie sich denn dazu entschließen.

Was das jetzt für Dein Webangebot, seinen Sinn und seine Zukunft bedeutet, weiß ich nicht.

Liebe Grüße

Felix Riesterer