Ralph: KriT-Journal offline - Warum?!

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Hallo,

ich hab gerade gesehen das das KriT-Journal bis auf weiteres
die Arbeit eingestellt hat. Die Informationen auf der Seite
sind etwas dürftig. Weiss zufällig jemand genaueres?

Um es ganz kurz zu machen (ausfuehrliche Stellungnahme bald auf krit)

Ich habe eine Email mit der Aufforderung bekommen, 3780 DM Lizenzgebuehren fuer ein Bild zu zahlen (das ist keine von einem RA gemachte Abmahnung), welches ich im Oktober 1996 mit Erlaubnis der damaligen Aussteller (Emails sind vorhanden) als Illustration benutzt habe. In der Email wird mir klar gemacht: zahlen oder es koennte schlimmer kommen, naemlich bis zu Schmerzensgeldforderungen, da dass Bild in einem ehrverletztenden Zusammenhang gestellt sei. http://krit.de/diskus.htm

Meine Anwaeltin hat nach einer ausfuehrlichen Beratung empfohlen,  erst einmal abzuwarten. Wir haben gute Chance, auch wenn der Klaeger sein Geld und die "Ehrverletzung" einklagt. Im schlechtesten Fall bezahlen wir um 8000 DM, das waere eine schmerzhafte Summe, doch das kleinere Übel unwidersprochen hinzunehmen, davon haben mir bisher alle Freunde von KriT abgeraten. Bevor wir aber weiteres unternehmen, warten wir ab, was passiert.

Dass ich nun KriT spontan geschlossen habe, geschah nicht nur unter dem Eindruck, dass neue Kosten auf uns zukommen und eventuell auch noch irgendwo auf den Hunderten von Seiten ein copyrightverletzendes Bildchen sei. Hinzu kam: Die letzten 6 Wochen habe ich praktisch Tag und Nacht am Rechner gelebt, habe 3 Kilo abgenommen (was ich nicht bedauer ;-), habe Hunderte von Emails geschrieben und beantwortet, tausend Links vorgestellt und nebenbei die freiberuflichen Pflichten erfüllt. Diese Art der freiwilligen Deprivation, wie ich das heute nenne, war nicht gerade ein Urlaub der Seele. Im Gegenteil, die Ereignisse an diesem Tag und meine Empörung gegenüber der Kriegsbejahung und dem Zynimus der Kriegsparteien, der unfassbare Anschlag auf das WTC, die Erinnerung an und der Blick auf das Elend in der Welt haben an meinen Kräften und Nerven gezehrt, ohne dass ich das recht wahrhaben wollte.

In dieser Situation erschien mir die Beschimpfung ("Ich halte krit.de für verlogene Schmierereien mit niederen Absichten und lediglich vermeintlich höheren Zielen.") in der ML Netlife
als Verhoehnung meines Bemuehens und meines Grundmotivs, naemlich
jeden Krieg, der unschuldige Opfer geradezu einplant, die Legitimation abzusprechen und ein wenig fuer dieses Thema zu sensiblisieren.

Die Schliessung von KriT war dann wie eine Art Befreiung, was weiter wird, weiss ich noch nicht. Ich habe zahlreiche solidarische Emails, darunter auch von Leuten, die KriT erst kuerzlich kennengelernt haben, erhalten. In allen Emails, die mich seit 3 Tagen erreichen, ist die Schliessung KriTs bedauert worden. Fuer einige war das Journal in den letzten Wochen eine Anlaufstelle fuer "kritische Informationen" und weitere "Recherchen", für andere war das alte
und neue KriT eine Art "feuilleton fürs web", eine Website mit
vielen anregenden Texten und Links, die zu anderen Orten im Web
führten. Alle Schreiber bitten, dass ich meine Entscheidung noch einmal ueberdenke.

Und wie schrieb durchaus kritisch eine Leserin: Wo gehobelt wird, fallen auch Spaene, wer offen gegen Krieg ist und die Heuchler und Opportunisten beim Namen nennt, wer an politische Tabus kratzt,  muss damit rechnen, sich Feinde zu machen, die Angriffspunkte suchen. Dass die Worte nicht nett und gerecht sein werden, haette mir klar sein muessen. Dass ich zudem die ganze Zeit so gut verdraengt habe, dass in Deutschland politische Kultur ein Synomym fuer Grabenkämpfe ist, die jedes Denken und KriTik in den zwanghaften Denkschematas von Links und Rechts (die ich sicher hier und dort auch reproduziert habe, so tief sitzen sie) ersticken, macht meinen spontanen Rückzug vielleicht verstaendlicher, er wirft aber auch einen Blick auf mein Abgleiten in naive politische Vorstellungen, die demokratische Kultur vorausetzen. So komme ich mir im Nachhinein wie ein Narr vor, der aber kein Narr sein wollte, doch seine Rolle perfekt spielte.

Jetzt ist wichtig, mir eine Zeit ohne KriT zu goennen.
Danach werde ich schauen, ob es vielleicht nicht doch, aehnlich wie der KriT-Letter, fortgefuehrt werden kann, mit einem Mix aus nützlichen und politischen Links, garniert mit gelegentlichen Interviews und gespiegelten politischen Texten. Ich weiss es noch nicht. Vielleicht finde ich auch Netizens, die gemeinsam mit mir aus KriT ein politisch-kulturelles Magazin machen, denn das Beduerfnis, Texte und Links zu verbreiten, ist nachwievor stark ausgeprägt. Gestern erst lass ich Texte von Carl von Ossietzky, die soviel erklaeren und viel zu wenig verbreitet sind.

Ralph