Mathias Bigge: Hurrah Deutschland

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Hi Siechfred,

Es stimmt, die DDR hatte einen schlechteren Start. Aber ob das über das wahre die Problem, die völlige Ineffizienz der DDR-Wirtschaft, hinwegtäuschen kann?
Die DDR-Wirtschaft war eine der effizientesten der Welt.

Ich hatte mal während der DDR-Zeit auf einem Kongress  ein Gespräch mit einem führenden DDR-Wirtschaftshistoriker und habe ihn gefragt, warum er nicht mal etwas zur Wirtschaftsgeschichte der DDR verfassse. Darauf hat der mich nur mitleidig angelächelt und leise gesagt, alle aktuellen Wirtschaftsdaten der DDR seien eine einzige Lüge. Ich hatte Gelegenheit, mit in der DDR Betriebe anzusehen, etwa in Berlin, Thüringen und Brandenburg, und bin der Auffassung, dass diese schon lange vor dem Zusammenbruch völlig veraltet und marode waren.

Und bis zur Machtübernahme durch Honecker 1971 und die damit verbundene Einführung der Planwirtschaft hat das der Durchschnittsbürger in der DDR durchaus zu spüren bekommen.

  • Erst Honecker  hat die Planwirtschaft eingeführt?
  • Das Konsumniveau der DDR-Bürger lag immer weit hinter dem in der Bundesrepublik zurück.

Ja, man mag es kaum glauben, die Mehrheit war in den Jahren des wirtschaftlichen Aufschwungs zufrieden und glücklich und froh, in der DDR zu leben.

Da kenne ich einige andere, auch wenn natürlich das individuelle Glück oder Unglück nicht nur vom politischen und ökonomischen System eines Landes abhängt.

Denn woran sonst ist das System gescheitert?
Die DDR war pleite, ganz einfach. Das lag aber nicht an der Wirtschaft, sondern am falsch verstandenem Sozialdenken der Führung unter Honecker. Man mag es kaum glauben, aber z.B. Mieten und Preise für Grundnahrungsmittel blieben über Jahrzehnte hinweg gleich. Das wurde durch staatliche Preisstützungen finanziert.

Tatsächlich blieb der zur Verfügung stehende Wohnraum immer weit hinter den Bedürfnissen der Bevölkerung zurück. Auch die Renten waren oft so gering, dass die Leute oft sehr lange weitergearbeitet haben. Die irrationale Preisgestaltung in Gesellschaften sowjetischen Typs sind Grundprinzip und Ausdruck politischen und damit betriebswirtschaftlich irrationalen Wirtschaftens.

Kernprobleme sozialistischer Wirtschaftspolitik waren andere:
1. Es ist nie gelungen, die arbeitende Bevölkerung durch Konsumanreize ausreichend zu motivieren.
2. Die Konstruktion internationaler Abhängigkeiten, um den Warschauer Pakt auch wirtschaftlich zusammenzuschweißen, führte zu undurchschaubaren, unzureichend kontrollierenden Großsystemen.
3. Es gab keine wirksame Qualitätskontrolle, vor allem bei Lieferungen innerhalb der Großbetrieb.
4. Es gab keine wirksamen Innovationsmechanismen.
5. Es gelang den sozialistischen Ländern nur selten, Produkte herzustellen, die auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig waren.
6. Die sozialistischen Gesellschaften haben es nicht geschafft, auf den Gebieten der Informationstechnologie und der Elektronik mit dem Westen Schritt zu halten.
7. Das sozialistische Währungssystem war politisch und nicht nach ökonomischen Prinzipien gesteuert, so dass eine devisenbasierte Schattenwirtschaft ins Leben gerufen werden musste.
8. Die Produkte für den Konsumbereich entsprachen nicht den Qualitätsvorstellungen, weder denen der eigenen Konsumenten noch denen des Weltmarktes.

Was nicht beeinflussbar war, waren die Produktionskosten, die selbstredend unaufhörlich gestiegen sind, ...

Nenne doch einmal Gründe, warum die Produktionskosten quasi naturnotwendig steigen mussten.

... es fehlte das Geld für den Einkauf von Rohstoffen oder für staatliche Investitionen. Also wurde immer mehr exportiert, idealerweise ins so genannte NSW, um Geld in die Kassen zu spülen. Tja, so ging alles, was gut war, nicht in die Läden der DDR, sondern ins Ausland (Quelle war einer der größten Abnehmer von Konsumgütern, insbesondere Textilwaren, Spielkarten aus Altenburg haben DDR-Spielwarenläden nie gesehen usw. usf.).

Du bewegst Dich jetzt im Bereich der devisenbasierten Schattenwirtschaft, denn nur um Devisen ging es bei diesen Exporten. Dabei fällt auf, dass es fast kaum hochwertige Industrieprodukte waren, die exportiert werden konnten, sondern fast ausschließlich billige Massenprodukte, bei deren Herstellung man vor allem in Konkurrenz zu Billiglohnländern trat. Ein nicht zu vernachlässigendes Exportprodukt war dabei politisches Wohlverhalten, etwa Einnahmen für Transitstrecken, Freikauf von Gefangenen, partielle Grenzöffnungen usw.

Und in der DDR wuchs die Unzufriedenheit, die Menschen hatten Unmengen von Geld, weil sie es nicht verkonsumieren konnten. Die Industriebetriebe wurden dazu verdonnert, Konsumgüter für die DDR-Bevölkerung herzustellen (z.B. wurden in der Warnow-Werft in Rostock keine Schiffe mehr gebaut, sondern Pkw-Anhänger) mit der Folge, dass sie weniger Exportgüter herstellen konnten. Tja, und so kam es wie es kommen musste, irgendwann drehte sich die Spirale nicht mehr weiter und es kam zum wirtschaftlichen Kollaps.

Du kritisierst die DDR-Wirtschaft hier aus der orthodox sozialistischen Perspektive: In der Tat war gerade der Mangel an hochwertigen Konsumgütern gerade ein Kernproblem der DDR-Wirtschaft, nicht der Überfluss, wie Du meinst. Warum war die DDR-Wirtschaft denn nicht in der Lage, in ausreichendem Umfang hochwertige und attraktive Konsumprodukte herzustellen wie jede westliche Wirtschaft? Warum gab es keinen Anreiz zu Mehrleistung in Form von modernen PKWs, komfortablen Wohnungen und Unterhaltungselektronik?

Aus meiner Sicht ist das Experiment der Planwirtschaft in den Staaten sowjetischen Typs an prinzipielleren Problemen gescheitert als an den Missverhältnissen, die Du ansprichst. An einigen Stellen klingt Dein Text so, als habe es nur an einigen zufälligen Fehlentscheidungen der DDR-Führung unter Honecker gewesen, nicht am am Prinzip der Wirtschaftsorganisation.

Der Kapitalismus verfügt mit dem Markt über einen äußerst flexiblen Steuerungsmechanismus für die Wirtschaft, das politisch nur ergänzt, erhalten und kontrolliert werden muss. Ein Steuerungsmechanismus vergleichbarer Qualität fehlte dem Sowjetsozialismus jedoch.

Zudem führte die Planwirtschaft, die gerade als Entfesselung der Produktivkräfte im Interesse der Menschen konzipiert war, im Sowjetsystem zu einer "Diktatur über die Bedürfnisse" (Agnes Heller), war also nicht Ausgangspunkt einer schnelleren wirtschaftlichen Entwicklung, sondern Legitimation für diktatorische Formen der Kontrolle des gesamten Lebens der Menschen.

Viele Grüße
Mathias Bigge

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Hurrah Deutschland

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