Hi Siechfred,
So, dritter Versuch und Versuch einer Beschränkung auf das Wesentliche :)
Das ist bei dem Thema allerdings wirklich schwierig!
Erst Honecker hat die Planwirtschaft eingeführt?
Es ist unbestritten, dass in den ersten Jahren nach der Machtergreifung von Honecker die DDR-Wirtschaft boomte (Zuwachs in den Jahren 1971-1974 rund 30%).
Die Weltwirtschaft boomte in dieser Zeit. Ich warne aber davor, DDR-Publikationen zu Honecker für bare Münze zu nehmen. Ich habe oft Urlaubsreisen gemacht, zu denen auch Jugendfunktionäre aus dem Ostblock eingeladen wurden, und die Sentenz, "dass Erich Honecker so ungeheuer viel für die Jugend getan hat" war offizielle Propaganda der FDJ. Natürlich war die Honecker-Regierung anfangs ein Fortschritt, vor allem nach der bitteren Phase des Einmarsches in die CSSR 1968, die den Menschen im Osten alle Hoffnung auf einschneidende Reformen genommen und eine Riesenangst vor dem Rückfall in den übelsten Stalinismus produziert hatte. Vor allem die Öffnung zum Westen, die Verhandlungen mit Willy Brandt usw., haben neue Hoffnungen geweckt und der DDR auch neue Perspektiven eröffnet.
Im übrigen finde ich den Ausdruck "Machtergreifung" in diesem Zusammenhang äußerst problematisch, auch bei Hitler dient er ja nur der Verschleierung der wirklichen Wege zur Macht. Ein paar Infos zu Honeckers Weg zur Macht:
http://www.bpb.de/wissen/02719385013696199976205685733069,3,0,DDR_�_Geschichte.html
Das Konsumniveau der DDR-Bürger lag immer weit hinter dem in der Bundesrepublik zurück.
Was verstehst du unter Konsumniveau?
Die Möglichkeit, attraktive Konsumgüter zu erwerben.
Kernprobleme sozialistischer Wirtschaftspolitik
- Es ist nie gelungen, die arbeitende Bevölkerung durch Konsumanreize ausreichend zu motivieren.
Nein, es ist nicht _dauerhaft_ gelungen.
Vielleicht gab es da wirklich verschiedene Phasen.
- Die Konstruktion internationaler Abhängigkeiten, um den Warschauer Pakt auch wirtschaftlich zusammenzuschweißen, führte zu undurchschaubaren, unzureichend kontrollierenden Großsystemen.
Dann frage ich dich, wo denn der Unterschied (abgesehen vom Wirtschaftssystem) zwischen NATO und Warschauer Pakt bzw. EWG und RGW ist?
Ich rede aber hier nur vom Wirtschaftssystem, und hier wurde politisch eine Verflechtung der Volkswirtschaften angeordnet, die vor allem von einer Abhängigkeit zur Sowjetunion führten. Diese Orientierung war ja auch einer der Gründe für den Zusammenbruch der industriellen Produktion in Osteuropa nach der Wende.
- Es gab keine wirksame Qualitätskontrolle, vor allem bei Lieferungen innerhalb der Großbetrieb.
Das ist mir offen gestanden zu schwammig. Natürlich gab es eine Qualitätskontrolle, über deren Wirksamkeit man sicher trefflich streiten kann.
Es geht hier tatsächlich um eine grundsätzliche Frage, die auch westliche Großkonzerne beschäftigt: Wie geht man damit um, wenn eine Abteilung einer großen Firma einer anderen ein minderwertiges Produkt zur Weiterverarbeitung liefert? Angesichts des stetigen Materialmangels in der DDR-Wirtschaft wurde das viel zu oft geschluckt, ein tödlicher Aspekt für die Qualität der Endprodukte.
- Es gab keine wirksamen Innovationsmechanismen.
Oh doch, die gab es. Es gab die so genannte Neuererbewegung, deren Ergebnisse alljährlich auf verschiedenen Messen zu bestaunen war. Nicht umsonst war die Leipziger Messe ein Magnet nicht nur für die Wirtschaftsfunktionäre der RGW-Staaten.
Auf welchem Produktionsfeld waren die RGW-Staaten technisch führend?
Ich habe mir mal produzierende Stahlwerke in der DDR ansehen dürfen, das geniale daran war nicht die innovative Produktionsorganisation, sondern dass trotz eines katastrophalen Zustandes der Anlagen überhaupt etwas Vernünftiges ausgeliefert werden konnte.
- Es gelang den sozialistischen Ländern nur selten, Produkte herzustellen, die auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig waren.
Auch hier Einspruch. Ich darf beispielhaft auf die Schwermaschinenindustrie (SKET, TAKRAF), den Schiffbau (VEB Schiffsmotorenwerk Rostock), die Optische Industrie (VEB Carl Zeiss Jena) oder den Maschinenbau (Druckmaschinen, Textilmaschinen) verweisen. Diese Betriebe haben zu einem nicht uneheblichen Teil Aufträge aus dem so genannten NSW erledigt, nicht etwa, weil sie nur billig waren.
Jetzt müsste man ins Detail gehen. Ich nehme mal willkürlich den optischen Bereich heraus. Zunächst mal etwas DDR:
http://www.thur.de/org/eule/zeiss.html
Die Werksentwicklung ist insofern besonders interessant, weil hier ein kapitalistischer und ein DDR-Betrieb mit den exakt gleichen Produkten gestartet sind. Tatsächlich hatte die DDR-Kameratechnik einen ordentlichen Start, konnte dann aber immer weniger auf dem Weltmarkt mithalten und lieferte bis zum Schluss Objektive aus, die im Grundsatz auf Vorkriegsberechnungen beruhten. Hier machte sich vor allem die fehlenden modernen Rechenanlagen bemerkbar.
- Die sozialistischen Gesellschaften haben es nicht geschafft, auf den Gebieten der Informationstechnologie und der Elektronik mit dem Westen Schritt zu halten.
Auch dies ist ein Argument, welches so nicht zieht. Es mag andere Prioritäten gegeben haben,
Sonst wird in Legitimationsdiskursen der DDR gern behauptet, gerade die vergebliche Prioritätssetzung auf diesem Gebiet sei einer der zentralen wirtschaftspolitischen Fehler Honeckers gewesen. Natürlich hat die Elektronik Priorität in der modernen Industrieentwicklung und es war für den gesamten Ostblock ein Riesenproblem, hier nichts auf die Beine stellen zu können.
das ist wahr, aber die Aussage so stehen zu lassen bedeutet, tausende Mikroelektroniker und Informatiker, die zu DDR-Zeiten aus Scheiße Gold machen mussten, herabzuwürdigen.
Ganz im Gegenteil. Ich habe mit einem Schachfreund aus der DDR in einem Verein gespielt, der umfangreiche Daten für eine DDR-Krankenkasse verwalten musste - auf einem 486 mit einer schwarzkopierten Version von dBase 3+ ....
- Das sozialistische Währungssystem war politisch und nicht nach ökonomischen Prinzipien gesteuert...
Die Wirtschaft wurde von Ideologen ohne jeglichen Sachverstand gelenkt, Stimmen von Sachverständigen (z.B. aus der Preisfindungskommission) verhallten ungehört. Das ist das eigentliche Problem gewesen: die Instrumentalisierung der Wirtschaft als politischen Faktor.
full ack
- Die Produkte für den Konsumbereich entsprachen nicht den Qualitätsvorstellungen, weder denen der eigenen Konsumenten noch denen des Weltmarktes.
Das ist schlicht und ergreifend unwahr. Ja, Konsumgüter waren Mangelware, und ja, sie waren überteuert. Aber deswegen waren sie weder mangelhaft noch nicht konkurrenzfähig. Wenn ich könnte, würde ich dich auf eine Zeitreise in die Mitte der 80er mitnehmen, um diesen Irrglauben auszuräumen, doch so steht hier "Aussage gegen Aussage", und keiner kann beweisen, dass seine Aussage die richtige ist.
Man könnte konkret die Produkte vergleichen, die damals "der Hit" waren. Für mich etwa mein erstes Auto (Ford), mein erstes Motorrad (Yamaha), Musikanlage (DUAL-Magnetsystem) und vor allem meine Gibson mit der Marshall-Röhre... Ach ja, als Student habe ich dann mit der Fotografiererei angefangen....
Nenne doch einmal Gründe, warum die Produktionskosten quasi naturnotwendig steigen mussten.
- Energie wurde stetig teurer
wieder das Devisenproblem
- die Löhne stiegen
- die Produktivität sank
Warum?
- Material wurde stetig teurer
Während die Rohstoffpreise auf dem Weltmarkt sanken.
Mangel an hochwertigen Konsumgütern
Fest steht, dass die so produzierten Konsumgüter genauso zur Bückware wurden, wie so viele andere auch.
Ja.
Warum war die DDR-Wirtschaft denn nicht in der Lage, in ausreichendem Umfang hochwertige und attraktive Konsumprodukte herzustellen wie jede westliche Wirtschaft?
Weil sich ein derartiges Konsumverhalten nicht mit dem Idealbild des sozialistischen Menschen vertrug.
Das halte ich für eine Notlüge der Politbüros, denn gerade der Sozialismus ist ja unter dem Slogan angetreten, die Lebensverhältnisse der "Massen" zu verbessern.
... schließlich ist der Sozialismus im Gegensatz zum Kapitalismus gescheitert, nur leider entsteht sehr oft der Eindruck, dass plakative allgemein gehaltene Gründe ins Feld geführt werden, die die Wahrheit nach meinem Empfinden aber nur tangieren.
Ja, und auch bei uns interessiert sich die "Elite" immer weniger für die Bedürfnisse der kleinen Leute. Meine Aggressionen gegen DDR-Legitimation beruhen auf konkreten Erfahrungen aus Reisen in die DDR, aus Begegnungen mit DDR-Wissenschaftlern und Funktionären, aus Ärger über die Verlogenheit der Sprache, aus Lektüre diverser Bücher zur Geschichte des Stalinismus.
Weißt Du, wo ich die ersten FDJ-Funktionäre aus Ost-Berlin kennengelernt habe? Beim Skilaufen - in Oberstorf... Übrigens wirklich nette Menschen, die sich vorkamen wie im Schlaraffenland, als wir mal zum Shoppen nach Kempten gefahren sind. Wenn man unter sich war, konnte man einiges bereden, aber sobald nur ein weiterer Zuhörer dabei war, gab's wieder die volle Breitseite Legitimationsdiskurs.
Vielleicht bin ich da überempfindlich, aber mir war die Sprache immer wichtig und ideologische Lügendiskurse waren mir immer besonders ekelhaft. Zum Beispiel, dass sich die Verfechter der DDR in der Friedensbewegung in Kontrast zu uns anderen immer "Demokraten" genannt habe, dass die Mauer "antifaschistischer Schutzwall" hieß, das ganze Gerede von Sozialismus, wo die Arbeitnehmer nirgendwo so wenig Einfluss auf die Produktion hatten wie in den "sozialistischen" Ländern.
Ich finde es schade, dass die gesamte kompetente Kritik am Sowjetsystem völlig vergessen ist, die Kritik der Insider und Dissidenten, nicht nur die Kritik an den krassesten Auswüchsen wie etwa am sowjetischen Lagersystem, das ganz Osteuropa durchzog, sondern auch die Kritik am sozialistischen Alltag, Bulgakows "Meister und Margeritha", in einer DDR-Version von Stefan Heym unter dem Titel "Ahasver" verarbeitet, die Analysen von Agnes Heller und anderer ungarischer Systemkritiker aus der Lukacs-Schule oder die Innovationen in der CSSR. Na Kundera, den liest man immerhin noch manchmal...
Insofern freue ich mich, solche Themen hier diskutieren zu können!
Viele Grüße
Mathias Bigge