Erwin: Wozu noch ein Denkmal ...

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Hallo Raik,

... wenn keiner daran denken will?
Wieviele von unseren heutigen Jugendlichen waren schon mal in einem KZ?
Wieviele wissen überhaupt mehr darüber, als der Lehrplan vorsieht?
Wozu noch ein weiteres Betongebilde in die Landschaft stellen, wenn doch alle achtlos daran vorübergehen?
Gedenken, die Erinnerung wachhalten, das passiert nicht durch Denkmäler. Es passiert in den Köpfen. Wenn es passiert.
Man muss nicht mal nach Buchenwald fahren, oder nach Oswince. Die Stufen der alten Häuser erzählen von den eisenbeschlagenen Stiefeln, die dort hinaufgetrampelt sind, um Leute abzuholen. Juden, Sinti, Roma, Sozialdemokraten, Homosexuelle, Komunisten, sowohl Opfer der Ideologie als auch politische Gegner. Es gibt viele Bücher, die von dieser Zeit erzählen, aber keiner liest sie. Wenn das Geld nicht gleich für die neuesten PC-Games oder Marken-Klamotten über den Ladentisch geht, dann für Bohlens Klatsch und Tratsch.
Die Frage "Wer bin ich und wo komm ich her?" wird heute ersetzt durch "Ich bin wer und keiner kann mir!".
Ich glaube nicht, das ein weiteres Denkmal daran etwas ändert. In einer Gesellschaft, in der jeder Individuum ist und in erster Linie in Konkurenz zu anderen steht, lässt sich "Gemeinschafts"-denken nur schwer vermitteln.

Da ist eine ganze Menge Wahres dran!

Noch ein paar Worte zu Buchenwald, ich bin da in der Nähe aufgewachsen und zur Schule gegangen. Wandertag, Klassenausflüge ... die gingen meistens nach Buchenwald. Und uns wurde eine Geschichte erzählt die nur zum Teil der Wahrheit entspricht. Die Geschichte des Lagers von 1945 - 1950 jedoch wurde uns verschwiegen, das war ein absolutes Tabu in der DDR.

Dann, mit der Grenzöffnung, öffneten sich auch Wege um die andere Geschichte von Buchenwald zu erfahren und darüber zu reden.

Es gab in meiner Verwandschaft einen Onkel, der wurde damals denunziert und in das Lager verschleppt. Offiziell und auch im Kreise meiner Familie hieß es: er ist in russischer Gefangenschaft verstorben.

In Wirklichkeit ist er nach 1945 in Buchenwald gestorben.

Weitere Fälle dieser Art sind mir auch nach 1989 bekannt geworden: Verwandte und Bekannte begannen so nach und nach, darüber zu reden.

Was für eine Last, die diese Angehörigen und Betroffenen 40 Jahre lang mit sich rumtragen mussten!

Für mich, in der 1. Generation nach dem Krieg ist das Geschichte, wir haben das Glück, in Frieden aufzuwachsen - ohne diese Last. Und ich für meinen Teil lasse mir da auch nicht ins Gewissen reden, auch wenn das heute immer noch versucht wird von bestimmten Kreisen im und vom Ausland.

Pompöse Denkmäler sind mir zuwider, auch wenn ich mütterlichenseits von Juden abstamme und väterlichenseits von einer sozialen Minderheit die aus dem französischen Sprachraum stammt (Hugenotten). Und seit über 20 Jahren habe ich nun auch Zigeunerblut in der Verwandschaft ;-)

Ausnahmen wie dieses Forum bestätigen die Regel.

Jow! Weiter gehts im Tagesgeschäft.

Viele Grüße, Erwin

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