Lude#: die absolute Wahrheit

Hi,

wir befinden uns im Jahr 500 vor Christus, OK, das wusste man damals noch nicht, bestenfalls ahnte man es, darum auch nur diese geschaetzte Angabe. Der, ueber den wir hier berichten, wanderte gerade durch Pinienwaelder seiner Heimat und erfreute sich des gerade beginnenden Sommertags, der dankenswerterweise nicht zu heiss zu werden schien. Er, sein Name war Peter, hatte sich in den letzten 50 Jahren einen Namen gemacht, sogar in Athen, aber das war weit weg und er hatte lange nichts mehr gehoert von der gerade herrschenden politischen Klasse. Peter war Philosoph, was ihm zu seiner Zeit ein sorgenfreies Leben bescherte. Seine Kinder waren schon gross, die vielen Enkel ebenfalls und sein Rat war weiterhin gefragt. Seine letzte persoenlich kritische Situation hatte er vor genau 21 Jahren zu bestehen, als er einen Schueler, der von der Lehre abgefallen war, ertraenken lassen musste; so meinte er zumindest. Aber das war schon lange her, genauso wie der letzte Krieg. Er summte sich ein Lied als er sein Heimatdorf erreichte. Das Leben war schoen.

Dort traf er auf eine Menschenmenge, die sich angesammelt hatte, so wie immer, wenn ein Bote des Despoten sein Dorf aufsuchte. Er gesellte sich dazu und wartete mit den anderen auf dem Marktplatz auf die Worte, die bestimmt verlesen werden wuerden. Boten lesen immer nur ab, aergerte er sich. Dieer Bote war auch keine Ausnahme und nach einigen Sekunden des Wartens, in denen er die Wichtigkeit seiner Botschaft durch Mimik und Gestik vorzubereiten schien, begann er zu sprechen und hielt seinen erwartungsgemaess langen Vortrag. Dieser endete mit den Worten "Und derjenige Weise unter Euch, den Ihr als Peter den Philosophen kennt, moege schnellstmoeglich unserem Herrn und Fuehrer ueber seine Arbeit, seine Vorhaben und seine Fortschritte berichten."

Peter fuhr zusammen, denn das konnte nichts Gutes bedeuten. Er wusste, dass der "Herr und Fuehrer" einen schlechten Ruf besass. Der wolle Krieg, munkelte man. Und warum hat man gerade ihn bestellt?

In Athen wurde Peter dann auf das allerbeste empfangen. Eine Schar junger Kinder begruesste ihn und er wurde von einem Beamten begleitet, der ihm Unterbringung im Palast und eine wunderbare Zeit in Athen versprach. Genauer gesagt, sang dieser Beamte fast. Dieser Gesang enthielt auch eine Einladung zu einer Audienz beim Despoten, die bereits morgen frueh stattfinden sollte. Peter war sehr gespannt und nach einer unruhigen Nacht (er hatte schlecht geschlafen) wurde er abgeholt und, nach der ueblichen Wartezeit, in ein Gemach gefuehrt, in dem der Despot gerade seine Fruehstuecksoliven ass.

"Peter, komm zu mir!" rief der Despot. "Ich habe schon viel von Dir gehoert, Du bist ein grosser Philosoph!". Peter wies dieses Lob, wie es seinerzeit ueblich war, nicht zurueck und wollte gerade zu einem Reisebericht ansetzen, wie es seinerzeit ueblich war, da sprach der Despot: "Peter, ich muss schnell zur Sache kommen. Ich habe letzte Woche mit einem auslaendischen Koenig um zwei Kriegsschiffe gewettet, dass wir Athener die weiseren Maenner haben. Ich befehle Dir mir die absolute Wahrheit zu bringen. Teile mir mit, was Du in Deinem langen Leben als wahr erkannt hast und ich werde in der Lage sein die Wette zu gewinnen!".

Peter war wieder in seinem Gemach. Er hatte dem Herrn und Fuehrer wortreich geantwortet und sich, "um alles niederzuschreiben", noch eine Nacht erbeten. Er schwitzte, hier in Athen schien es viel heisser zu sein, als in seinem Heimatdorf, das direkt am Meer lag. Er blickte zurueck auf sein Leben, er hatte keine einzige Wahrheit erkannt, eigentlich war er nur ein Scheatzer, sagte er sich und goss sich noch ein Glaesschen ein. Aber die anderen sind auch nicht besser, dachte er dann und er uebrlegte also, was er dem Despoten sagen koenne. Angst hatte er nicht, aber der Druck zwang ihn zu allerhoechsten Denkleistungen. So gegen 11 Uhr abends fuehlte er, dass er etwas gefunden haben koennte, nein musste. Er hatte die absolute Wahrheit erkannt. Lachend und betrunken schaute er auf die Stadt und fragte sich warum die eigentlich so gross geworden war. Aber gut, dem Despoten wuerde er etwas Werthaltiges ueberbringen koennen.

Der Despot fruehstueckte wieder, als Peter zu ihm gerufen wurde, "Peter, so berichte mir schon! Ich bin so ungeduldig.". Der gesamte Hofstaat schien anwesend zu sein, bemerkte Peter, als er ansetzte zu seiner Rede. "...und wenn wir auch diesen Krieg gewinnen werden, dann wird Athen noch groesser, staerker und selbstbewusster den Herausforderungen der modernen Zeit entsprechen koennen und darum..." hoerte er sich sagen. Nach den ueblichen 10 Minuten Geschwatz stieg dann der Druck und Peter steuerte langsam, ganz langsam, auf den absoluten Hoehepunkt seiner Rede zu.

"Und nun die absolute Wahrheit: ETWAS IST", Peter blickte triumphierend in die Runde, "ETWAS IST" wiederholte er.

Verschwitzt und gluecklich wurde er dann zu seinem Gemach geleitet. Er hielt seinen Mittagsschlaf und fuehlte sich sehr ausgeruht und entspannt, als er aufwachte. OK, man wird sagen koennen, dass jemand schon die absolute Unwahrheit gefunden hat, dachte er. Aber dieser Jemand hat einfach eine Aussage getroffen, die ueber sich selbst eine Aussage getroffen hat und zu einem Widerspruch fuehrte. Baeeh, das kann doch jeder, dazu muss man nicht Philosophie studieren. "Ein Kreter sagt, alle Kreter luegen" - wie hoert sich das denn an?

Der Beamte, der ihn auch in Athen empfangen hat, kam herein. Er bat Peter noch einmal "zu einer kleinen Zeremonie" zum Despoten und sang wieder fast dabei. Peter stand auf und folgte ihm bis auf den zentralen Platz von Athen, auf dem der Despot schon wartete.

"Peter, wir haben die Wette verloren." sagte der Despot. "Ich habe Deine These, die auch mir so zentral schien, eingesetzt, aber wir haben verloren.". Es folgten lange Erklaerungen, warum die Gegenseite beim Mittagessen (die Wette mit dem Gast-Despoten sollte beim Mittagessen entschieden werden, denn der musste schnellstmoeglich nach Persien weiterreisen) argumentatorisch besser ausgestattet schien und dann sagte der Despot "Nimm ein Schluck Wein, Peter, dann vergessen wir diese unruehmiche Geschichte.".

Und waehrend Peter den Becher ueberreicht bekam und ihn waermend in der Hand hielt, dachte er wieder nach und fragte sich: "WAS HABEN DIE ANDEREN GESAGT?", "Was habe ich falsch gemacht, was haette ich sagen muessen?" und "Was ist die absolute Wahrheit?"

Und waehrend das Gift langsam seine Wirkung entfaltete, kam ihm die entscheidende Idee. Er laechelte, seine 77 Jahre gaben ihm die dazu erforderliche Gelassenheit, als er starb.

Gruss,
Lude

  1. Hallo Herr Ober,

    ich möchte auch etwas von dem, was der Herr am Nachbartisch hatte!

    :-)

    Gruß
    Reiner

    1. Hallo,

      ich möchte auch etwas von dem, was der Herr am Nachbartisch hatte!

      Erst wenn du 77 bist! ;-)

      Grüße
      Thomas