Christoph Schnauß: Gestern vor 10 Jahren

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hallo Stefan,

in den Thread "heute vor 10 Jahren" weiter unten moechte ich mich nicht einmischen.

Ich habe ihn zwar mit Sympathie, aber auch zu spät erst bemerkt und gelesen und keinen Punkt mehr gefunden, an dem ich mich hätte "einmischen" können. Andrerseits finde ich die Idee von Henryk schon "lustig mit ernsthaftem Hintergrund".

Lieber mache ich diesen neuen auf, um diejenigen einzuladen, die einfach nur mal Lust haben, sich zu erinnern, was sie Anfang Juni 1995 gemacht haben, und mal dazu zu ermuntern, dass mal ein paar Geschichten aufgetischt werden, wann und wie _ihr_ zum Web kamt, welche Gedanken, Vorstellungen, Erwartungen ihr damit verknuepft habt

Hm. Anfang 1995 habe ich klopfenden Herzens eine ISDN-Leitung bestellt und bekommen. Dann brauchte ich unbedingt noch ein Modem oder so ein Dings, von dem ich auch nicht recht wußte, wozu es gut sein könnte. Das "Dings" war dann erstmal ein an den parallelen port meines 486er Rechners anzuschließender grauer kleiner Kasten. Ich hab ihn konkret im Februar 1995, zu meinem 43. Geburtstag, angestöpselt  -  und bekam prompt gar nichts zu sehen. Das fand ich ziemlich doof, verbuchte das Ganze unter "Fehlinvestition" und ließ es bleiben.

Aber das Zauberwort "Internet" begegnete mir immer häufiger. Und im Herbst 1995 gab es dann auch bei den Händlern etwas, was "Windows95" hieß, und in meiner damaligen Dienststelle beim Bezirksamt Mitte galt ich bereits als Computerexperte, also mußte eben ganz schnell auch dieses ominöse Windows95 her. Das Problem war nur, daß es das auf solchen neuartigen Scheiben gab, die "CD" hießen, und mit denen konnte mein Rechner nix anfangen. Also mußte, für sehr viel Geld, auch noch ein CDROM her. Das geschah aber erst zu Weihnachten 1995 (alle guten Dinge wollen ja zum rechten Zeitpunkt erworben werden), und kaum hatte ich das, wollte dieses doofe "Windows95" sich auch schon ins Internet einwählen. Ich erinnerte mich an den grauen Kasten, den ich an den Parallelport anstöpseln sollte, stöpselte ihn wieder an  -  und es passierte trotzdem nix, windows95 sagte mir immer bloß, daß es irgendwelche Verbindungsdaten haben wollte.
"Verbindungsdaten"??? Huch  -  ich habe tatsächlich bis zum Februar 1996 gebraucht, um mitzukriegen, daß damit gemeint war, ich müsse mir einen Provider besorgen, der mir sowas zur Verfügung stellt. Ich bin halt ein intellektueller Spätmerker. Aber nach diverser Lektüre hatte ich das auch begriffen und meldete mich bei t-online an. Die schickten mir schon wieder so eine doofe Silberscheibe, obwohl ich eigentlich beschlossen hatte, derlei kurzlebige Fehlentwicklung nicht weiter zu beachten, und vor allem funktionierte diese Scheibe mit meinem CDROM nicht. Sie hatten mir aber auch einen Brief geschrieben, in dem die nötigen "Zugangsdaten" nochmal schwarz auf weiß nachzulesen waren, also dachte ich mir, es müsse doch klappen, wenn ich diese "Daten" dann eingebe, wenn ich danach gefragt werde. Ich wurde auch danach gefragt, tippte alle ein - und: es war kaum zu glauben: da ging in einem Ding, das "Internet Explorer" hieß (und von dem ich sonst nichts weiter wußte), tatsächlich eine Seite auf, die ich garantiert nicht auf meinem Rechner haben konnte. Ich fands klasse. Bloß: als ich vor Aufregung und völlig ohne Absicht auf eine Maustaste drückte, war diese Seite wieder weg, und es kam eine neue Seite, die mich bat, mich beim MSN-Chat anzumelden. Das fand ich nun aufregend, und meldete mich an, und danach wurde mein Bildschirm blau.

Tja ... soll ich noch weitererzählen?

und welche Tendenzen im heutigen Web aus euerer Sicht am ehesten noch den Ur-Gedanken des Web entsprechen.

Ich schrieb eben schon, daß ich wohl in dieser Hinsicht ein "Spätmerker" gewesen sei, und vielleicht sogar geblieben bin. Mich interessierte, als ich denn endlich online gehen konnte, überhaupt nicht, ob es da irgendwelche "Ur-Gedanken" geben würde oder könnte. Mich interessierte, ob ich etwas auf meinem Bildschirm würde angezeigt bekommen, wovon ich sicher war, daß es auf meinem Rechner bestimmt nicht existierte. Und da ich zuerst in einem MSN-Chat gelandet war, interessierten mich dann auch eine Weile die Leute, die ich dort getroffen hatte (ein paar davon sind mir gute Freunde geworden, obwohl sie nie verstanden haben, warum ich anfing, mich von MSN zu "entfernen").

Ich habe erst wesentlich später und auch erst, nachdem ich deine Darstellungen zu "Hypertext" mehrfach gelesen hatte, kapiert, daß dieses "Internet" eben auch sowas wie einen Ur-Gedanken gehabt haben müsse. Mir fehlt der Vergleich. Was ich heute dazu weiß (oder zu wissen meine) ist "angelesen", und du hast einen erheblichen Anteil daran. Ich wage es auch nicht, irgendwelche "Tendenzen" im Web danach zu untersuchen, wie weit sie einem "Urgedanken" noch entsprechen. Das "WWW", und auch das "Web", ist mehr, enthält mehr, kann mehr und tut mehr als ich erfassen kann. Ich freue mich darüber, daß es mir nahezu unbegrenzte Kommunikation mit Leuten in Japan oder Korea oder Australien ermöglicht (ich habe in diesen Regionen auch Kommunikationspartner gefunden), aber ich weiß inzwischen auch, daß ich immer nur einen winzigen Teil kennengelernt habe. Es ist immer wieder wie beim Tauchen im Pazifik: ich bin plötzlich umgeben von Milliarden gleichförmiger "Teilchen" (im Pazifik sinds Wassermoleküle, im "Web" sinds Quadrillionen bits und bytes), von denen ich grade mal die paar Millionen sehe, die sich unmittelbar vor meiner Brille aufhalten. Es ist insgesamt "terra incognita", und das wird es wohl in vielen Bereichen auch bleiben.

Ich wuerde dabei auch gerne Beitraege von Leuten lesen, die lieber feiern als Schluessel tauschen ;-)

Wärs nicht auch interessant, herauszufinden, wie der Weg zu SELFHTML ausgesehen hat? Ich erzähls mal aus meiner Sicht: ich hatte ursprünglich auf meinem ersten Rechner eine enorm große Festplatte von 200 MB. Beim Kauf (1993) war mir versprochen worden, diese Platte würde auch zur kommenden Jahrtausendwende noch allen Anforderungen gewachsen sein. Hm. War sie nicht, sie wurde mir bereits Ende 1995 zu klein, und ich ersetzte sie durch eine unglaublich riesige (und teure) Platte mit einem ganzen Gigabyte Speicherkapazität, wow. Eine Kollegin im "Amt" wollte ihren Rechnr zuhause ebenfalls aufrüsten und fragte, ob sie nicht meine alte Platte bekommen könnte. Klar, konnte sie, ich wollte auch gar nix dafür haben  -  und aus lauter Dankbarkeit gab mir ein paar Tage später der Sohn dieser Kollegin eine Kiste mit genau 100 Disketten voller Software. Toll. Aber er sagte nichts dazu, und ich wußte mit diesem Schatz auch erst nichts anzufangen, weil gleich die erste Diskette mir irgendwas von "isolinux ...." sagte und dann nichts weiter kam. Ich brauchte Wochen, um herauszufinden, daß ich eine vollständige Slackware-Distribution erhalten hatte. Es gab aber kein Handbuch, nicht Schriftliches, und als ich das neue "System" endlich fertig installiert hatte (nervig war, daß ich plötzlich alles in eglischer Sprache lesen können mußte), landete ich bei einer Anzeige
  login:
Hm. Was das bedeuten sollte, wußte ich nicht. Alles, was ich eintippte, führte bloß zu einer erneuten Meldung "login incorrect". Bis ich mich erinnerte, irgendwann mal was von "root" gelesen zu haben, und siehe da, da geschah etwas  -  ich wurde nach einem Paßwort gefragt. Na klasse. Ich wußte keins.

Rund zwei Jahre später fand ich dann bei einem Händler einen Pappkarton, auf dem "Linux" draufstand, und noch sowas wie "SUSE". Ich nahm das mit, um meine unguten Erinnerungen an die 100-Disketten-Sammlung psychologisch therapieren zu können. Gute Idee, das ging plötzlich, ich bekam sogar erklärt, wann warum und wie ich ein Paßwort definieren sollte. Großartig. Es gab sogar eine grafische Anzeige, die "FVWM2" hieß, und auf der CD, die ich inzwischen zähneknirschend als Medium akzeptiert hatte, gab es auch ein Paket mit dem Namen "SELFHTML". Das, was darin lag (ich weiß leider nicht mehr genau, welche Version das gewesen ist), habe ich wieder und wieder und wieder gelesen. Da gabs auch ein Formular für "Feedback". Da habe ich dann eines Tages im Herbst 1998 meinen ganzen Mut zusammengenommen und dir ein "Feedback" geschickt. Zwei Tage später hast du geantwortet und mir freundlich mitgeteilt, daß es ein "SELFHTML-Forum" gebe.

Der Rest ist im Forums-Archiv nachlesbar.

Grüße aus Berlin

Christoph S.

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Gestern vor 10 Jahren

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