Kalle_: Prozess gegen Saddam Hussein

Hallöle,

aus Anlass des Prozessbeginns titelte gestern das Darmstädter Echo:
"Massenmorde an Kurden und Schiiten, Angriffskriege und systematische Folter"

Im ersten Moment habe ich gedacht, George W. Bush sei gemeint, unter dessen Verantwortung ja wohl auch diese Verbrechen in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft begangen wurden / werden.

Wann beginnt eine Masse? Ist der Abschuss von 40 Zivilisten und Kindern bereits Massenmord? Ich denke ja, wenn ICH 40 Leute umbringen würde, könnte man mich wohl straffrei als Massenmörder bezeichnen.

Warum ich das HIER einbringe? Irgendwie seid ihr meine Kollegen, und normalerweise bespricht man so etwas wohl auch am Arbeitsplatz. Außerdem interessiert mich die Meinung von gescheiten Leuten.

Da stehen sich zwei Banditen gegenüber: Saddam und George. Warum wird dem einen der Prozess gemacht und der andere hat den Freifahrschein zum Weitermorden und -foltern?

Siegerjustiz?

Fragt Kalle

  1. Hiho

    wenn ICH 40 Leute umbringen würde, könnte man mich wohl straffrei als Massenmörder bezeichnen.

    Auf jeden Fall. Nur hat George (nach allem was wir wissen) die 40 Leute weder persönlich umgebracht noch einen entsprechenden _direkten_ Befehl erteilt.
    Zumindest letzteres kann Saddam beim Giftgaseinsatz gegen die Kurden vorgeworfen werden.

    Gruß
    Wurf

    1. ... Nur hat George (nach allem was wir wissen) die 40 Leute weder persönlich umgebracht noch einen entsprechenden _direkten_ Befehl erteilt.

      Auch hier wieder Parallelen zwischen beiden Beschuldigten.

      In diesem Prozess geht um die Vergeltungsaktion in Dudschail im Juli 1982. Saddam wurde (von Terroristen) angegriffen,

      "... soll zugesagt haben, auf Vergeltung zu verzichten. Wenige Tage später schlug aber der Geheimdienst zu. Die Obstplantagen der Stadt wurden zerstört und fast 150 Menschen getötet. ..."

      Wieso konstruierst du da einen Unterschied?

      Kalle

      1. Hi

        "... soll zugesagt haben, auf Vergeltung zu verzichten. Wenige Tage später schlug aber der Geheimdienst zu. Die Obstplantagen der Stadt wurden zerstört und fast 150 Menschen getötet. ..."
        Wieso konstruierst du da einen Unterschied?

        aufgrund der Umstände. Vergiss nicht, dass es dir ja um die persönliche Schuld von G.W. ging.
        Die einzige Parallele ist die große Anzahl von Opfern.

        Wurf

        1. Hallo.

          aufgrund der Umstände. Vergiss nicht, dass es dir ja um die persönliche Schuld von G.W. ging.
          Die einzige Parallele ist die große Anzahl von Opfern.

          Wenn ich den (mir etwas unklaren) Hintergrund der vorherigen Postings z.B. auf den Einsatz
          kriegserprobter Soldaten gegen "Plünderer" während des Hochwassers beziehe, stellt sich mir
          die Frage warum der amerikanische Präsident als Oberbefehlshaber nicht für das System der
          systematischen Folter, der Menschenrechtsverletzungen, und der daraus folgenden Entwicklung
          verantwortlich sein soll.

          Wie der Rückschritt ins Mittelalter bzw. der Verzicht auf Aufklärung von ihm unterstützt wird,
          ist z.B. hier erkennbar: http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,379334-2,00.html

          Grüsse

          Cyx23

  2. Lustig ist ja auch, dass die USA Saddam Hussein gar nicht richtig anklagen können. So werden Hussein nur Kleinigkeiten wie der Mord an 143 Personen vorgeworfen statt seinen wirklichen Greultaten unter denen Tausende starben.

    Warum? Weil die USA den Massenmord damals voll unterstützten, Hussein finanziell unterstützen und ihm im Weltsicherheitsrat vor jeglichen Sanktionen schützten. Um dieses Thema nicht neu aufzurollen wird Hussein  für keines seiner großen Verbrechen angeklagt.

    Ob der weltweite Unruhestifter Bush jr. jedoch jemals für die ungerechtfertigten Invasionen in anderen Ländern, den Massenmord an Zivilisten und die Verleumdnung vor der UNO angeklagt wird ist zweifelhaft. Amerikanische Präsidenten genießen nicht nur die normale UNO-garantierte Immunität der US-Soldaten, sondern dürfen generell machen was sie wollen.

    Es ist einfach nur traurig, was aus den USA geworden ist. Einst ein fast vorbildlicher demokratischer Staat und nun ein fundamentalistischer Polizeistaat. Oder wie wollt ihr die USA heute bezeichnen... mit ihrem "Heimatschutz". Wer dem religiösen Idealbild der USA nicht entspricht wird einfach politisch isoliert und fertiggemacht.

    Die USA scheren sich um ihre eigenen Regeln übrigens gar nicht. Guantanmo ist nur ein veraltetes Beispiel. Schaut nach Afrika, wo die USA ihre Ressourcen herbekommen, indem sie Diktaturen und regionale Clans unterstützen anstatt, wie die EU, die Bürgerbewegungen zu stärken. Das ist Demokratie a la USA eben...

    Bleibt nur zu hoffen, dass der nächste Präsident der USA vernünftiger wird und einiges kräftig umkrempelt...

  3. Hi Kalle_,

    "Massenmorde an Kurden und Schiiten, Angriffskriege und systematische Folter"

    Die Vorwürfe gegen Saddam Hussein ersacheinen mir als berechtigt. Zweifelst Du an den Anschuldigungen?

    Im ersten Moment habe ich gedacht, George W. Bush sei gemeint, unter dessen Verantwortung ja wohl auch diese Verbrechen in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft begangen wurden / werden.

    Nimmst Du wirklich an, dass George Bush Massenmorde an Kurden plant, oder hattest Du andere Gründe für Deine Verwechslung?

    Wann beginnt eine Masse? Ist der Abschuss von 40 Zivilisten und Kindern bereits Massenmord? Ich denke ja, wenn ICH 40 Leute umbringen würde, könnte man mich wohl straffrei als Massenmörder bezeichnen.

    Ja - und verurteilen.

    Siegerjustiz?

    Der erste große Musterprozess gegen einen besiegten Gegner waren die Nürnberger Verfahren gegen die Hauptkriegsverbrecher. Hier wurde im Namen der Menschheit einige Verantwortliche für die NS-Morde im Namen der Menschheit abgeurteilt.

    Seitdem gibt es viele Fälle, in denen so etwas versucht wurde. Wie das völkerrechtlich aussieht, weiß ich nicht, ich bin kein Jurist, würde mich aber dafür interessieren, wie genau das Recht begründet wird, gegen Regierungen (ehemals) souveräner Staaten vorzugehen.

    Ich halte dennoch auch ohne diese Kenntnis das Verfahren gegen Saddam Hussein für berechtigt und hoffe, dass es gut geführt wird.

    Nun setzt Du George Bush mit Saddam Hussein gleich und tatsächlich stellt sich die Regierung der USA vielfach außerhalb des Völkerrechts, das sie ansonsten gern bemüht. Dass Du Bush als "Banditen" bezeichnest, klingt recht flott, ist in der Sache aber irreführend, weil er genau das nicht ist, sondern der gewählte Präsident des mächtigsten Landes der Welt. Um die Probleme der amerikanischen Politik zu verstehen, muss man die Realitäten wahrnehmen, sonst hat man seine Emotionen geäußert und sonst nichts.

    Viele Grüße
    Mathias Bigge

    1. Hallo Mathias,

      zum Thema Kurden erinnere ich mich u.a. an merkwürdige Natoübungen in der Türkei,
      leider habe ich dazu keine Quellen gefunden, aber vielleicht erinnerst du dich
      ja selbst an solche und andere Ereignisse.

      Seitdem gibt es viele Fälle, in denen so etwas versucht wurde. Wie das völkerrechtlich aussieht, weiß ich nicht, ich bin kein Jurist, würde mich aber dafür interessieren, wie genau das Recht begründet wird, gegen Regierungen (ehemals) souveräner Staaten vorzugehen.

      Hier findest du vielleicht etwas zum Thema:
      http://www.heise.de/tp/r4/artikel/21/21059/1.html

      Grüsse

      Cyx23

    2. Moin,

      Der erste große Musterprozess gegen einen besiegten Gegner waren die Nürnberger Verfahren gegen die Hauptkriegsverbrecher. Hier wurde im Namen der Menschheit einige Verantwortliche für die NS-Morde im Namen der Menschheit abgeurteilt.

      Seitdem gibt es viele Fälle, in denen so etwas versucht wurde. Wie das völkerrechtlich aussieht, weiß ich nicht, ich bin kein Jurist, würde mich aber dafür interessieren, wie genau das Recht begründet wird, gegen Regierungen (ehemals) souveräner Staaten vorzugehen.

      Wofür Radiohören manchmal gut ist. Da habe ich doch neulich was zu gehört :-)
      Aus der Erinnerung: Nach Nürnberg und Tokio war das erst mal lange nicht mehr. Erst mit den Tribunalen nach den Kriegen und Völkermorden in Jugoslawien und Ruanda, also 50(!) Jahre später, hat das Internationale Recht wieder etwas zugelegt. Die Kriegsverbrecherprozesse nach dem II. Weltkrieg waren IIRC noch Militärgerichte; es kann sein - ich bin da aber nicht sicher - dass der Völkerbund keine Rechtsgrundlage hierfür bot. Die Charta der Vereinten Nationen beschäftigt sich mit der Bedrohung des Friedens und der Ahndung von Krieg und Gewalt. Der UN-Sicherheitsrat kann wohl so ziemlich alles mögliche beschließen. Aufgrund von Resolutionen des UN-Sicherheitsrates wurden die Tribunale eingerichtet (Google ist dein Freund - im Gegensatz zum deutschen Recht tragen internationale oder europäische Rechtsakte ihre Begründung als Einleitung mit sich rum, da steht bestimmt was drin über Rechtsgrundlage und so). In Folge dieser Tribunale (und sicherlich wegen des Endes des kalten Krieges, der eine internationales Strafgericht angesichts waffenstarrender Muskelspiele in weite Ferne rücken ließ) kam man weiter voran und gründete des internationalen Gerichtshof in Den Haag.

      Warum der Schlächter Hussein (ich habe dieser Bilder von den Giftgasangriffen gegen Kurden immer im Kopf behalten - schon allein deshalb war ihm der Prozess zu machen, von den meisten Greueltaten wissen wir wahrscheinlich nicht mal was) nun nicht in Den Haag vor Gericht steht? Ich nehme mal an, dass da eine Mischung aus Diplomatie und US-Repressalien eine Rolle spielt. Zum einen mag es das irakische Volk beruhigen, wenn sie ihren Tyrannen selbst richten dürfen und nicht "fremde Mächte" das tun (was genau genommen kein wirklich nettes Bild auf das Ansehen der Jugoslawischen Völker wirft - denen man das anscheinend nicht zutraut). Und zu anderen war da in Echt eh kein UN-sanktionierter Feldzug sondern ein BushBlair-krieg, garniert mit ein paar speichelleckenden Hinterbänkler-Staatschefs als Eskorte. Aber egal, der Mann gehört vor Gericht und gut ist.

      Viele Grüße

      Swen Wacker