Hallo,
Generell sollte man sich vor Augen führen: »the web has grown from a document retrieval system into an application delivery system« (Crockford). Die Entwicklung verlief halt in Bahnen und Frames waren so eine Übergangserscheinung dieser Entwicklung. Das betraf m.M.n. nicht bloß die spezifische Situation des öffentlichen Webs.
Ich habe einst viel zu Thema Popups gearbeitet. Da war die Argumentation ähnlich, wie du sie für Frames beschreibst: Im offenen Web in freier Wildbahn sei das etwas ganz anderes als im Intranet oder bei geschlossenen Sites.
Konkret sah das dann so aus, dass es Webanwendungen gab (mit Web meine ich jetzt nicht nur das öffentliche, sondern halt jegliche Anwendungen auf Basis von HTTP, HTML / CSS / JavaScript, Browser und Co.), die wie die üblichen Desktop-Programme mehrere verschachtelte Dialoge in Form von Popup-Fenstern öffneten. Das war damals - neben Frames - DIE zeitgemäße Übertragung von bekannten UI-Konzepten auf Webanwendungen. Das war nicht ganz dumm, aber das Fensterchaos und die übrigen Nachteile blieben. (Die ähneln denen von Frames, weil eine Site plötzlich auch in mehrere autonome Browsing-Kontexte gespalten wird, über die der Anwender trotzdem nicht die volle Kontrolle hat).
Und dann kam Ajax mit voller Wucht und die ganzen integrativen Lösungen wie Lightbox und Konsorten sprachen sich herum. Heute ordnet man Webanwendungen zum Glück ganz anders an und nutzt das klassische Dokumentmodell durchaus.
Natürlich könnte man all die tollen neuen Web-2.0-artigen Anwendungen auch mit Frames und Popups umsetzen. Aber es hat seinen Grund, dass man trotz der Ajax-Revolution bei vielen Webanwendungen zum klassischen Dokumentenmodell zurückkehrt, um sich bei ihm soweit zu bedienen, wie es einem nützlich erscheint. Da wird immer nur ein Dokument im Browser angezeigt, das die gesamte UI bereitstellt, oft eine definierte URI hat und eine konventionelle »Navigation« bietet. Dabei haben wir es mit einer hochinteraktiven Webanwendung zu tun, auch das Dokument selbst ist durch Ajax hochinteraktiv.
Das alles ginge natürlich auch anders, unter anderem mit Frames, Popups usw., aber man entscheidet sich bewusst dazu, sich an die Konventionen des »alten« Webs anzupassen. Man mischt das eine mit dem anderen, tut so, als wäre die UI, die man da vor sich hat, auch irgendwie wie ein Dokument aufgebaut. Meiner Interpretation nach ist das Ziel dieser Mischung die optimale, intuitive Bedienbarkeit.
Das heißt natürlich nicht, dass diese Webanwendungen wirklich nach dem alten Modell des »document retrieval system« funktionieren, im Gegenteil. Da kann man keinen Crawler oder Screenreader durchschicken, nur rudimentär Informationen adressieren und mit Hypertext-Netzwerken hat das wenig zu tun.
Diese Trends sagen natürlich wenig über die tatsächlichen Vor- und Nachteile der einen oder der anderen Umsetzung aus. Es geht zwar auch um handfeste Vorteile, aber nicht weniger um bekannte, vertraute Bedienkonzepte, Gewohnheiten und Erwartungen.
Mathias