Moin!
»» Wer gegen die Internetsperren der Zensursula ist, sollte auf jeden Fall die Petition gegen Internetsperren im Bundestag mit zeichnen. Die Möglichkeit dazu besteht mittlerweile bei den öffentlichen e-Petitionen des deutschen Bundestags. Nehmt bitte die Registrierungshürde in Kauf. Vielleicht ist eure Registrierung ja zugleich der Beginn von mehr eigener politischer Mitgestaltung jenseits der Wahlkreuze!
Mir entgeht die Sinnhaftigkeit dahinter. Kann es sein, dass gewisse Seiten unkontrolliert besucht werden dürften? Ein Schritt dagegen, ist den Zugang zu erschweren. Die mir untergekommenen Argumente in der öffentlichen Diskussion dagegen erscheinen mir zu pauschal. Die Behauptung, wie einfach das alles zu umgehen sein zum Beispiel.
Es geht darum, dass hier mit einem Totschlagargument "Kinderpornographie" der erste Schritt zu einer bundesweiten Zensur-Infrastruktur getan werden soll.
Das Argument der Unwirksamkeit ist in der Tat schlecht, sogar kontraproduktiv - denn dann kann man sich leicht auf den Standpunkt zurückziehen "Wenn's nicht wirkt, dann können sie es ruhig machen - dann umgehe ich die Sperre leicht." Das Problem ist die Formulierung des Gesetzestextes - und dort wird eben gerade nicht die derzeit ins Auge gefaßte DNS-Sperre vorgeschrieben, sondern abstrakt eine wirksame Sperre gefordert. Das bedeutet: Wenn die DNS-Sperre nicht funktioniert, werden die Daumenschrauben fester angezogen werden.
Die Diskussion sollte sich eigentlich nicht um Kinderpornos drehen, sondern eine Grundsatzdiskussion über die vom Volk gewünschte Art der Demokratie sein. Der gesamte bisherige Prozess läuft nach meiner Auffassung nämlich extrem neben dem Grundgesetz. Es kann einfach nicht angehen, dass privatwirtschaftliche Provider per Vertrag mit irgendeinem Ministerium dazu verpflichtet werden, die grundgesetzlich garantierten Rechte der Informationsfreiheit einzuschränken. Dabei ist vollkommen egal, um welche Informationen es zunächst einmal geht.
Selbstverständlich haben auch Kinder ein Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit, und dieses Grundrecht steht im Konflikt zur Informationsfreiheit von zunächst einmal den Konsumenten derartiger Pornos. Klar ist: Müsste man nur diese beiden Grundrechte gegeneinander abwägen, würde die Entscheidung eindeutig zugunsten der Kinder ausfallen.
Aber die Einschränkung der Grundrechte betrifft ja pauschal ALLE Internetnutzer. Das darf nicht ohne Einfluß auf das Ergebnis der Abwägung bleiben.
Denn es kommt noch ein weiterer Aspekt hinzu: Die Sperrliste ist nach jetzigem Informationsstand ein höchst undemokratisches Element, welches keinerlei Gewaltenteilung unterliegt. Das BKA allein verwaltet die Liste, hält sie geheim, und entscheidet aufgrund von unbekannten Kriterien, welche Webseiten gesperrt werden sollen. Mit einem automatisierten Prozess wird die Sperrliste dann an alle Provider verteilt und wirksam gemacht.
Die Erfahrung zeigt einfach: Solche konzentrierte Macht zieht den Mißbrauch förmlich an. Ich halte es nicht nur für "nicht ganz ausgeschlossen", sondern für nahezu sicher, dass dieses Instrument früher oder später missbraucht werden wird.
Nur weil das BKA eine Polizeibehörde ist, und staatlich, heißt das noch lange nicht, dass dort kein Mist gebaut werden kann. Man denke nur mal an die diversen Datenschutzskandale der letzten Zeit in der Privatwirtschaft. Leidtragende waren Arbeitnehmer und Kunden, verantwortlich die Chefs an den Schalthebeln - und wirklich zur Verantwortung gezogen wurde von denen keiner. Naja, hier und da mal eine Entschuldigung, bestenfalls ein Rücktritt - vergoldet. Wer glaubt, dass das bei BKA-Beamten nicht vorkommt? Mit ähnlich "harten" Konsequenzen?
Ist ein Sperrmechanismus erst einmal überall integriert, stehen die nächsten Interessenten schon Schlange: "Illegale" Glücksspielseiten im Ausland werden dann auch gleich gesperrt, ebenso die bösen Seiten der Filesharer. Warum nicht auch Seiten sozialer, religiöser oder sexueller Randgruppen, wenn sie den Moralvorstellungen der herrschenden Machtgruppe zuwiderlaufen? Gewiss wird man vermeiden, durch das Sperren einer bekannten Kritikerseite die Gültigkeit dieser Mißbrauchsvorwürfe direkt zu bestätigen - es gibt aber genug Webseiten, die sich mangels Besuchermasse einfach nicht wirksam gegen eine ungerechtfertigte Sperrung wehren können.
Es läuft eben auf eine Grundsatzfrage hinaus: Was erwarte ich und jeder von euch von der Demokratie dieses Landes?
Meine Meinung dazu: Ich will die grundsätzliche Möglichkeit haben, mich auch mal grenzwertig oder illegal verhalten zu können. In der realen Welt hätte ich dazu problemlos die Gelegenheit - und es wird von der Gesellschaft ja auch ausgiebig genutzt: Rauchen trotz Rauchverbot, Geschwindigkeitsübertretungen, Falschparken, Alkohol und Drogen (legale und illegale) mißbrauchen... wer würde ernsthaft erwägen wollen, derartige Aktivitäten durch irgendwelche Sperren schon vor der Begehung zu verhindern? Dann müsste Tabak sofort verboten werden, Autos mit elektronischen Begrenzern und Parkverhinderern ausgestattet werden, etc. Solch ein heftiger Eingriff in die individuelle persönliche Freiheit würde niemals durchgehen.
Warum aber soll die Situation jetzt eine andere sein, nur weil es hier um das Sperren von Kinderpornos geht? Warum wird gegen Kinderpornos nicht mit den ganz normalen Mitteln der Strafverfolgung vorgegangen, wie bei jedem anderen illegalen Verhalten auch?
In keinem Land der Welt geht man für solche Verbrechen straffrei aus. Kein Provider wird solche Inhalte online belassen, wenn er darauf hingewiesen wird. Keine Strafverfolgungsbehörde wird untätig bleiben, wenn sie mit entsprechenden Hinweisen beliefert wird. Interessanterweise lagern die meisten einschlägigen Webseiten ja auf recht leicht erreichbaren Servern der westlichen Welt - also dürfte die Befürchtung, dass Strafverfolgung aufgrund von Korruption irgendwelcher Drittwelt-Polizisten unterbleibt, unbegründet sein.
Statt einer vernünftigen Strafverfolgung der Täter und Konsumenten soll ein Filter mit sehr zweifelhafter demokratischer Legitimation und Kontrolle den Job erledigen. Was man nicht mehr sieht, das existiert dann auch nicht mehr.
Ich glaube kaum, dass damit auch nur einem einzigen Kind wirklich geholfen wird.
- Sven Rautenberg