Camping_RIDER: eine abweichende Meinung

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Aloha ;)

Vorweg: Erstens schön mal wieder was von dir zu lesen und zweitens schön, auch mal noch eine Gegenstimme zu hören.

Es wurde hier oft kritisiert, dass Windows zu oft nach Hause telefoniert. Das mag sicherlich bedenklich sein, aber man darf nicht vergessen, dass wir in einer "always on"-Gesellschaft leben. Wir produzieren heute Daten wie Sand am Meer, bei gleichzeitig kleinerer Hardware. Notebooks werden heute schon oft mit nur einer integrierten 128GB SSD ausgeliefert, hätte man da keinen Clouddienst im Betriebssystem integriert, hätte man wenig Spaß mit seiner Hardware. Und überhaupt, wer möchte denn noch manuell seine Daten synchronisieren?

Das entspricht in etwa dem, was ich auch schon von anderer Seite gehört habe. Meine Meinung dazu:

Natürlich möchte niemand (auch ich nicht) meine Daten manuell synchronisieren. Das habe ich sehr lange getan und es war definitiv auf PITA-Level. Trotzdem möchte ich meine Dateien keinem Unternehmen anvertrauen, auf dessen Umgang mit meinen Dateien ich keinen Einfluss habe. Meine Lösung heist hier "owncloud" (in Gänsefüßchen deshalb, weil Owncloud eine absolut schrottige Implementierung hat, tatsächlich setze ich das sehr viel performantere SeaFile ein). Meine Cloud ist ein Raspberry Pi, an dem eine 2TB-Festplatte hängt.

Aber klar, ich gehe mit - das ist keine Lösung für den Standardverbraucher. Der hat sich allerdings auch bisher nicht so viele Gedanken über Backups oder Synchronisierung zwischen verschiedenen Geräten gemacht (ist zumindest bei sehr vielen Otto-Normalverbrauchern in meinem Umfeld der Fall), also ist der Cloud-Datendienst doch eher enhancement, das teils ohne Bedarf daherkommt - und eben genutzt wird, weil "man hats ja".

Das Problem ist für mich auch nicht mal so sehr, dass nach Hause telefoniert wird. Du hast natürlich Recht damit, dass die Entwicklung in Richtung Betriebssystem "as a service" ein stetiges Telefonieren impliziert und die Hardware-Entwicklung das auch teilweise bedingt.

Nun ist es aber so, dass ich genau bei "as a service" meine Zuckungen bekomme. Das ist für mich keine gute Entwicklung. Früher habe ich auf meiner Hardware unter meiner Kontrolle zu meinen Bedingungen gearbeitet - jetzt avanciert meine Hardware zum reinen Terminal, das Befehle an den Server verschickt, der dann für mich auf meinen Daten arbeitet - und über den ich keinerlei Kontrolle mehr habe. Dieses Stadium haben wir noch nicht erreicht, aber das ist die anvisierte Richtung. Und davor grausts mich.

Ich vergleiche das gerne damit, dass die Kleider, die wir in Deutschland kaufen, meist auch nicht mehr in Deutschland hergestellt werden, sondern oft irgendwo unter widrigsten Bedingungen zustande kommen. So ein "outsourcen" von Produktionsprozessen steht uns, nach Meinung der marktbeherrschenden Unternehmen, auch im PC-Sektor bevor. Und ich finde das weder gut noch möchte ich das unterstützen.

Die einzige 'auswärtige' Cloud die ich benutze ist die Dropbox - und das auch nur in geringem Umfang und sehr bedacht mit Dingen, bei denen ich tatsächlich einen Vorteil durch die online-Vorhaltung habe.

Und man sehe es, wie man es sehen will, aber datenschutzrechtlich ist es ein Supergau, seine (möglicherweise sensiblen) Daten oder Daten Dritter durch einen Clouddienst in die USA und unter amerikanische Rechtssprechung zu stellen. Erst neulich gab es in Baden-Württemberg einen Erlass des Kultusministeriums, der Lehrern (vollkommen zurecht) die Nutzung sozialer Netzwerke und Clouddienste, die ihre Server außerhalb Deutschlands betreiben, für dienstliche Zwecke ausdrücklich untersagt.

Mit zunehmender Verbreitung von Clouddiensten sinkt auch die Hemmschwelle - und auf einmal landen Dinge in der Cloud, die dort nie und nimmer hingehören.

Kurzum: Ich sehe die Entwicklung zum massenhaften Outsourcen sehr, sehr kritisch.

Aber wie wäre es denn heute ohne zentrale Anlaufstelle für Software? Auch hier hat sich der Markt geändert, es gibt eine neue Small-App-Welle: Programme sollen schmal sein und nur noch wenige Aufgaben erfüllen, der Traum von der eierlegenden Wollmilchsau ist ausgeträumt. Die angestrebte Produktivität von monolithischen Software-Kollossen, wie es Outlook früher mal war, konnte nur selten erreicht werden, nicht mal von Powerusern. Und in dieser neuen Zeit möchte man wirklich nicht mehr auf den Entwickler-Seiten nach den richtigen Binaries oder Installationsprogrammen suchen und auch noch manuell installieren. Ein Software-Center ist hier unbedingt notwenig und das können wir auch bei allen anderen Betriebssystemen beobachten, Apple hat bekanntermaßen seinen AppStore und Linux hat Paketmanager für jeden Geschmack dabei. Für mich eine der elementarsten Komponenten eines Betriebssystems.

Ja. Unbedingt. Microsoft hätte schon längst eine Art Paketmanager gebrauchen können. Und was kommt? Ein AppStore. Der Vergleich mit dem Linux-Paketmanager hinkt auf ganzer Linie. Der Linux-Paketmanager bietet vollwertige Programme und nimmt dem User das Gefahrenpotential, das daraus resultiert, wenn er sich seine Programmquellen selbst im Internet suchen muss. Kann man das auch von einem AppStore behaupten? Ich finde nicht (und ja, dabei ist es mir auch egal, ob da Windows oder Apple drauf steht). Im AppStore bekomme ich Apps. Keine Applications. Auf deutsch wäre das dann der Progrämmchenladen. Wo ich hingehen kann, um mir Progrämmchen zu kaufen. Progrämmchen statt Programm einfach deshalb, weil Apps ja heutzutage in sind. Nenn es App und die Leute fahren darauf ab - dass das Progrämmchen hinsichtlich Funktionalität und Vielseitigkeit ein Downgrade zum Programm darstellt, nehmen viele nicht wahr.

Tatsächlich bin ich überzeugt davon, dass gerade diese elementarste Komponente eines Betriebssystems unter Windows (im Gegensatz zu Linux) immer noch nicht implementiert wurde - implementiert wurde stattdessen eine Institution, wo sich viel Geld für wenig Funktion verkaufen lässt.

Natürlich findet der Standard-Smartphonebenutzer das cool. Also derjenige, der schon früher seinen PC nur zum Surfen genutzt hat (und sich jetzt darüber freut, dass er auch den Laptop mit "Touch" bedienen kann). Aber für diejenigen, die einen Computer schon mal als Computer benutzt haben (also zum Arbeiten oder anderweitig die verbesserten Möglichkeiten eines Computers gegenüber einem Handy nutzen) ist das alles ein Schritt in die genau falsche Richtung.

Es ist der Wille, Smartphone und PC auf Biegen und Brechen aneinander anzunähern, anstatt zu akzeptieren, dass manche einen PC benötigen und andere nur ein Smartphone (denn das wären ja enorme Umsatzeinbrüche, wenn das eine auf einmal wegfällt).

Cortana mag man sich auch drüber streiten, aber man darf auch nicht die positiven Eigenschaften verleumden. Cortana stellt auch eine wunderbare assistive Technologie für Menschen da, die darauf angewiesen sind. Die nette Dame, die man aus Halo kennt, setzt einen neuen Maßstab, sowie es Siri ihrerzeit schon mal getan hat.

Ich meinerseits habe tatsächlich noch relativ wenig Probleme mit Cortana - im Wohnzimmer "abgehört" zu werden ist für Android-Nutzer ja nichts neues mehr. Ich will damit nicht sagen, dass das nicht schlimm sei - ich sage nur, dass es wenig Unterschied macht, ob dein Handybetriebssystem lauscht oder dein Computerbetriebssystem.

Das führt mich zu meinem nächsten Punkt: Windows 10 hat das mit Abstand am weitesten entwickelte User Interface, das mir je unter die Augen gekommen ist. Es ist nicht das Klicki-Bunti-Betriebsystem, zu dem es gerade hier im Forum, von einigen Windows-Klassik-Nostalgikern, immer gerne diffarmiert wird. [...] Vor Windows 10 habe ich viele, wirklich viele Linux-Oberflächen getestet, und selbst in der modernstern Linux-Oberfläche, hat man das Gefühl als habe die Welt vor 15 Jahren aufgehört sich zu drehen.

Da hast du Recht. Ich bin aber ziemlich überzeugt davon, dass die Klicki-Bunti-Argumentierer (zu denen ich mich nicht zähle) darunter nicht das verstehen, was du hier annimmst. Ich bin ziemlich sicher, dass es eben darum geht, dass für viele (und da zähle ich mich wieder dazu) die Funktionalität bei einem Arbeitsgerät (!) vor dem Design kommt. Ich habe mich beispielsweise sehr über die Aero-Oberfläche von Windows 7 gefreut, ich fand den frischen Wind damals gut und fand und finde es auch nicht "Klickibunti"

Im Moment ist es aber eher so, dass ich das Gefühl habe, dass extrem am Design / Aussehen gefeilt wird, während die Funktionalität abnimmt (siehe Progrämmchen). Und das ist schon etwas, was ich bedenklich finde - und auch irgendwie ein Kerngedanke von Klickibunti. Okay, das Klickibunti von damals ist ganz anders als das Klickibunti von heute. Und trotzdem ist es Klickibunti, wenn das vordergründige Aussehen vorangetrieben wird und die Funktionalität abnimmt.

So für sich allein betrachtet finde ich den neuen Stil auch schick.

Was die Zwangsupdates angeht, kann ich die hier genannte Kritik nicht nachvollziehen. Ich feier Continues Integration. Aus Sicht eines Entwicklers liegen die Vorteile auf der Hand, für uns Webentwickler ist CI ohnehin schon jahrelange Praxis, andererseits kennen wir auch die Auswirkungen, die konservative Update-Zyklen mit sich bringen (IE8 anybody?). Mit CI gibt man IT-Abteilungen endlich eine Update-Strategie, die einfach durchzuführen ist, so dass alle Mitarbeiter von aktueller Software profitieren können.

FACK, kein Widerspruch von mir in diesem Punkt.

Ich möchte aber noch einen weiteren Punkt einbringen, der bisher nicht so zur Sprache kam. Vor einiger Zeit hatten wir es hier von Spyware 2.0 und davon, dass bei Google und Facebook genau deshalb davon ausgegangen werden muss, dass sie Daten miss-/gebrauchen, weil sie die Gelegenheit dazu haben und keine anderweitige offensichtliche Monetarisierung betreiben. Apple (und Microsoft) hingegen sei da eher zu vertrauen, da sie ja Produkte verkaufen und die Datensicherheit mehr ein Feature ihrer Leistungen sei.

Inzwischen entwickelt sich Microsoft (Apples Entwicklung verfolge ich nicht) immer mehr und mehr zum Abodienst. Sie verkaufen in Zukunft Abolizenzen für Office und sogar für Solitär. Und weitaus prekärer: Sie werden kein weiteres Betriebssystem mehr verkaufen - und verschenken es momentan auch an Upgrader, d.h. sie betreiben (im Moment und vergleichsweise) keine nennenswerte Monetarisierung durch den Verkauf des Betriebssystems - was bisher ein Hauptstandbein war.

Was ich damit sagen will: Microsoft beginnt auf die dunkle Seite der Macht zu wechseln, was die intrinsische Integrität angeht.

Welchem Zweck dient es wohl, Benutzer zum schnellen, kostenlosen Umstieg auf ein neues Betriebssystem zu bringen? Man möchte möglichst schnell viele Nutzer unter seinem neuen Geschäftsmodell vereinen und damit einen großen Marktanteil erhalten. Dieses Verhalten kommt mir von den gängigen Datenkraken sehr bekannt vor. Wenn das Geld, das man mit dem Verkauf des Betriebssystems verdienen kann, ein geringerer Anreiz ist als die Usermassen, die man durch eine quasi kostenlose Veröffentlichung erhalten kann, dann läuten bei mir die Warnglocken Sturm.

Und ja - eigentlich ist das nichts besonderes. Wir sind es gewohnt, bespitzelt und verkauft zu werden (absichtlich überspitzt ausgedrückt). Das bemerkenswerte daran ist einfach, dass wir das bisher nicht unbedingt von Microsoft annehmen mussten. So entwickelt sich ein Verkäufer zum Seelenverkäufer - und alle strömen weiterhin bereitwillig dorthin. Ist ja auch nicht schlimm - Google und Facebook haben die Daten ja schon, da kommts auf Microsoft nicht mehr an.

Grüße,

RIDER

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