Hallo Martin,
ich lasse die Teile, in denen ich dir diametral entgegen stehe, mal aussen vor. Nur so viel: wenn dich das Thema interessiert beschäftige dich mal mit der Indieweb-Bewegung.
Der normale Nutzer schreibt keine mehr oder kaum noch E-Mails.
Dann benutzt er Whatsapp stattdessen.
Ja.
Ist im Prinzip dasselbe, [...]
Defintiv und in aller Vehemenz nein. Leider nein.
Please explain. Sowohl e-Mail als auch Whatsapp sind Dienste primär zur gezielten Übermittlung von Textnachrichten an einen oder mehrere Empfänger.
Abgesehen davon, dass die Whatsapp-Nachrichten deutlich häufiger Video- oder Audio-Schnipsel beinhalten und keinen Text (und das bezieht sich auf fast alle der neueren Messanger) ist Whatsapp ein in sich geschlossener Dienst, der keinerlei Nutzung von aussen zulässt. Whatsapp steht hier stellvertretend für alle modernen Messanger-Systeme. Es gibt keine Möglichkeit, selber einen Server aufzubauen oder ähnliches.
Also das genaue Gegenteil von E-Mail.
Und da ich vor allem Facebook für einen Angriff auf das freie und offene Web halte, würde ich dir auch nicht zustimmen, dass Facebook ein Web-Dienst ist.
Das verstehe ich jetzt wohl nur zum Teil. Klar, facebook ist in etwa das, was man vor zwanzig Jahren Microsoft vorgeworfen hat: Ein Monopolist, der ein bestimmtes Marktsegment mehr oder weniger beherrscht und seine Marktmacht hemmungslos ausnutzt.
Nein, es ist deutlich schlimmer.
Aber warum du dann von einem Angriff auf das Web sprichst, erschließt sich mir nicht.
Weil Facebook nicht nur aktiv daran arbeitet, dass die User Facebook nicht verlassen (das Recht gestehe ich jedem Unternehmen zu, auch wenn ich es nicht gutheisse), sondern sie arbeiten ganz aktiv daran, dass Inhalte nur auf Facebook verfügbar sind und das offene und freie Netz kleiner wird. Zuletzt mit Instant Articles, bei dem sie sich ein Exklusiv-Recht rausnehmen: veröffentlichst du einen Artikel über Instant Articles bei Facebook, kannst du den Artikel eine gewisse Zeit ausschliesslich über Facebook abrufen. Und die Zeitungs-Unternehmen machen das mit.
Jeder facebook-Nutzer hat doch immer noch die Freiheit, sich auch außerhalb dieser Welt zu bewegen.
Das mit der Freiheit ist so eine Sache. Theoretisch haben wir die Freiheit, alle Maschinen abzustellen und wieder wie in der Steinzeit als Nomaden zu leben. Aber ist die Wahl praktikabel? Haben alle den notwendigen Kenntnisstand? Was passiert, wenn wir das auch tun?
Die theoretische Freiheit zu haben etwas zu tun heisst nicht, dass man auch die praktische Freiheit hat. Und das Bindungs-Programm von Facebook funktioniert schon ziemlich effektiv.
Das ist auch unfair.
Das sehe ich nicht so, aber...
So breit gefächerte Angebote müsste man fairerweise mit der Gesamtheit des restlichen Web vergleichen.
Facebook gibt an, im Jahre 2014 etwa 24,3% des gesamten Internet-Traffics zu verzeichnen. Nur Facebook.
Ich denke, das trifft nur zu, wenn die betrachteten Personen so intensiven Kontakt haben, [...]
Das denke ich nicht. Einfaches Beispiel: man neigt dazu, sich mit etwa Gleichaltrigen zu beschäftigen. Denk mal drüber nach: mit wievielen Leuten jünger als 25 Jahren hast du viel zu tun?
dass sie sich gegenseitig beeinflussen. Der Kreis, den ich betrachte, umfasst aber überwiegend Personen, die sich untereinander nicht einmal kennen und ist durchaus inhomogen und kontrovers. Deswegen ist es ja so schwer, so etwas wie "normal" zu definieren. Nicht nur bei einem Personenkreis von ein paar Dutzend, sondern auch bei Millionen.
Deine Einschätzung von Whatsapp zeigt, dass du mit einer echo chamber zu tun hast. Und das ist prinzipiell ja auch nichts schlimmes, das ist ein Mechanismus, der einem die geistige Gesundheit bewahrt und zu grosse kognitive Dissonanzen verhindert. Man muss sich nur dessen bewusst sein und auch mal über den Tellerrand schauen.
LG,
CK