Felix Riesterer: Schulmathematik vs. Universitätsmathematik

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Lieber Rolf,

Man mag mir jetzt elitäres Denken vorwerfen. Es mag auch ein NRW-typisches Problem sein.

nein und nein.

Mein anderer Sohn (derzeit 9. Klasse), studiert derzeit Wirtschaftsinformatik im ichhabsnichtgezählten Semester (müsste das 6. sein) als Schülerstudent. Er hat in der 4. Klasse begonnen, Mathe auf der Überholspur zu betreiben,

In unserem Landkreis gibt es dafür das LGH. Der Begriff "Hochbegabung" ist allerdings alles andere als eine ganzheitliche Betrachtung. Das, was Du beschreibst würde ich als in Sachen Hochbegabung uninformierter Pädagoge als "Inselbegabung" bezeichnen, also einen Bereich unter allen möglichen, in dem sich Dein Kind als besonders begabt hervor tut. Und da ist diese Förderung natürlich unbedingt wichtig. Und mir gefällt sehr, dass der Knabe ansonsten im Klassenverband verbleibt und in allen anderen Disziplinen die reguläre Förderung erfährt.

Die Schülerschaft am oben erwähnten LGH scheint Erzählungen von dort Lehrenden zufolge zumeist aus "Fachidioten" zu bestehen. Also aus Kindern, die eine Sache besonders gut können, dafür in den meisten anderen Disziplinen aber mittelmäßig bis unterdurchschnittlich abschneiden. Wäre für mich kein angenehmes Unterrichten!

Wenn dieser Sohn in der Schule am Matheunterricht teilnimmt, muss er sich anstrengen, nicht einzuschlafen. Er beklagt sich zu Hause, dass der Stoff unglaublich langsam erklärt würde - und IMMER noch einige nicht mitkämen.

Es fördert vielleicht seine sozialen Kompetenzen, wenn er sieht, wie heterogen seine Lerngruppe ist und er sich nun entscheiden muss, wie er sich innerhalb dieser verhält. Anstatt sich zu langweilen (einfachste und vielleicht bequemste Lösung aus Sicht eines Neuntklässlers) könnte er ja produktive Beiträge im Unterricht einbringen, indem er den schwächeren "Nixblickern" vielleicht in irgend einer geeigneten Weise unter die Arme greift. Aus dieser Sicht hat seine Teilnahme durchaus einen Sinn. Denn Schüler lernen nicht nur "Stoff", sondern auch soziales Verhalten und Miteinander.

Dass er teilnehmen "muss", ist sicherlich nicht nur eine pädagogische Frage, sondern vor allem auch eine organisatorische. Die Aufsicht über ihn muss die Schule ja gewährleisten und kann ihm nicht einfach eine Freistunde geben. Daher wäre zu überlegen, wenn das mit dem sich-einbringen nicht gelingen will, ob er in der Mathe-Stunde vielleicht andere Tätigkeiten wie z.B. Hausaufgaben in anderen Fächern erledigen darf - oder ob er den Matheunterricht in einer anderen Klassenstufe besucht, die zeitgleich stattfindet.

Zuletzt bleibt natürlich das Problem, dass ihm sein Mathe-Lehrer am Ende des Schuljahres eine Note erteilen muss. Und auf welcher Grundlage soll er das tun? Sicherlich kann das Kind die Klassenarbeiten mitschreiben. Aber was ist mir der sogenannten Unterrichts- oder Eindrucksnote (bei uns heißt das "mündliche" Note)? Und wie soll das Betragen in diesem Unterricht gewertet werden, das insgesamt in allen Fächern beobachtet wird und in irgendeiner Form ins Zeugnis einfließt? Es gilt ja den Grundsatz der Gleichbehandlung/Gleichberechtigung zu wahren! Oder ist das in NRW anders?

Man will unbedingt mehr Akademiker haben, aber die Anzahl an Menschen, die das Zeug dafür haben, ist dafür nicht hinreichend.

Das ist ein offenes Geheimnis. Aber leider wird hier von politischer Seite gesteuert, die sich an Wählerstimmen und Forderungen aus der Wirtschaft orientiert, aber leider nicht an Expertenmeinungen. Das weißt Du doch auch.

Also senkt man die Voraussetzungen, lässt Kinder auf das Gymnasium, die eher für andere Schulformen geeignet wären, und damit werden diejenigen, die zu mehr im Stande sind, ausgebremst und am Lernen gehindert. Gleichzeitig verlieren Absolventen anderer Schulformen an Ansehen.

Das ist wie mit Währungen. Die verlieren auch an Wert, bis es zu einer Reform kommt. Im Bildungswesen sehe ich das ähnlich. Es kommt zu einer Niveau-Verflachung (denke nur an die Einführung von Bachelor- und Master-Abschlüssen an den Unis im Vergleich zu Magister und Staatsexamen vorher - einer "Verschulung" des Studiums), bis mit Aktionen wie der Exzellenz-Initiative in Baden-Württemberg zu kontern versucht wird, was selbstverständlich nur eine Reorganisation des Vorhandenen ist. Die Politik kann sich auf die Schultern klopfen, "dass etwas getan wurde", Eltern suchen nach neuen Spitzenmöglichkeiten für ihre Kinder und das Umbenennen der untersten Bildungsstufe nützt genau so viel wie die Sukzession von "Negro" → "Black" → "Colored" → "African American".

Abgesehen davon ist es heute auch nicht mehr in Mode, von Kindern etwas zu fordern. Wer es trotzdem tut, sieht sich einem Schwarm von Helikopter-Eltern gegenüber, die sich um den Stress ihres armen Nachwuchses sorgen.

stöhn tell me about it

Und wer doch etwas fordert, fällt den Kollegen in der jeweiligen Fachschaft in den Rücken und muss sich vor der Schulleitung rechtfertigen. Ist mir schon passiert. Schließlich braucht die Schule auch ausreichende Schülerzahlen, um die Menge an Lehrkräften behalten zu können, mit denen sie ihr Angebot realisiert. Also: Im Zweifelsfalle Traumnoten geben, dann hat man als Lehrkraft keine Scherereien. Und mit Traumnoten steigen die Schnitte, die Schule hat bessere Erfolgsquoten, und das Problem wird nach oben weitergereicht.

Aber das ist doch alles nichts neues!

Sicher gibt es auch Kinder und Jugendliche, die leistungsbereit sind. Aber nicht wegen des Schulsystems, sondern trotzdem.

Das sollte der einzige Grund sein, warum sie die gewählte Schulart besuchen. Aber aus politischen Gründen... das Peter-Prinzip, nur eben auf das Bildungswesen übertragen.

Liebe Grüße,

Felix Riesterer.

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