Sven Rautenberg: Was will man eigentlich erreichen?

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Moin!

Man kann dieses Thema sicherlich intensiv in allen möglichen Schattierungen diskutieren.

Ich glaube allerdings, dass eine Diskussion, die sich eher technisch orientiert an vorhandenen oder abwesenden Features, oder irgendeiner konfigurierbaren, unübersichtlichen, schaltbaren Darstellungsweise, am Kern zunächst vorbei geht.

Die eigentliche Frage ist: Was soll in dem Raum, der derzeit "SELFHTML Forum" heißt, und in dem irgendwelche Dinge passieren, die mit dem Schreiben und Veröffentlichen von Texten zu tun hat, eigentlich passieren?

Ins Feld geführt wurden im Prinzip drei Varianten von Struktur, in der man Texte einzelner Diskussionsteilnehmer zueinander in Beziehung setzen kann:

1. Die lineare Struktur.
2. Die Baumstruktur.
3. Mischformen. <- Darauf komme ich zurück...

Nach überwiegend unwidersprochener Meinung ist eine lineare Struktur sehr geeignet, eine lineare Entwicklung in einem Frage-Antwort-Spiel abzubilden. Mein persönliches Gedankenmodell wäre da eigentlich immer das Support- & Hilfeboard irgendeines Herstellers, in dem sich Kunden initial zu Wort melden und irgendeine Frage oder ein Problem haben, und Supportmitarbeiter kümmern sich dann um jede einzelne Wortmeldung, stellen Rückfragen, geben Lösungsmöglichkeiten, und im Dialog mit dem Kunden entwickelt sich das Problem weiter, man gewinnt neue Erkenntnisse, und am Ende steht hoffentlich ein glücklicher Kunde, dem abschließend geholfen werden konnte.

Jeder einzelne Supportmitarbeiter, der Threads mit neuen Kundenreaktionen beantworten soll, kann sich durch simples lineares Durchlesen, ggf. auch nur durch kurzes Zurückgehen durch die letzten paar Postings, ein Bild über die aktuelle Lage machen, und die Hilfe weiter fortführen. Das Ziel hierbei ist in jedem Fall, jeden einzelnen Kunden mit einer zufriedenstellenden Lösung zu versorgen.

Dieses lineare Konzept lässt sich insbesondere recht universell auf verschiedenen Kommunikationskanälen anwenden, sofern sich die Kommunikationspartner auf die Einhaltung von grundsätzlichen formalen Regeln verständigen können: "Bitte antworten Sie oben über dieser Mail und belassen Sie den Rest des Mailtextes intakt." - mit sowas spielt man dann Mail-Pingpong.

Problematisch wird das lineare Konzept dann, wenn es mehr als zwei Kommunikationsteilnehmer gibt, und/oder einige von denen "zu spät" dazukommen. Die lineare Struktur gibt unabänderlich den genau EINEN Stand der Diskussion wider, und das ist immer das letzte Posting. Jemand, der an dieser Stelle neu einsteigt und eine Antwort auf einen viele Beiträge vorher geschriebenen Text verfassen möchte, ist genau wie in einer Podiumsdiskussion gezwungen, die Fahrt der Diskussion abzustoppen und in die neue Richtung zu lenken: "Darf ich nochmal auf den Punkt von vorher zurückkommen..." Im Gegensatz zur Podiumsdiskussion, bei der optimalerweise nur jeweils eine Person das Wort hat und deshalb bei entsprechender Eloquenz oder Autorität diesen Schwenk schafft, wird in einem Online-Board solch ein Versuch problemlos ignoriert werden können, indem man im Folgeposting einfach nicht darauf eingeht. Die anderswo in diesem Thread beschriebenen technischen Probleme mit der Verkettung und Bezugnahme der einzelnen Postings sind die Folge, und eine daraus resultierende Unübersichtlichkeit der Diskussion.

Die vieler Board-Software innewohnende Unzulänglichkeit, ein Thema erst dann read-only zu setzen, wenn der Admin oder Moderator dies so vorsieht, so dass vorher problemlos ein uraltes Thema, welches über Google gefunden wurde, wieder aufgewärmt und insbesondere dadurch wieder ganz oben auf den Start-Index gehoben wird, oder dass es Diskussionsteilnehmern durch die global gültige Sortierung und "Pushen" gelingt, einem Thema ein Übermaß an Start-Index-Aufmerksamkeit zukommen zu lassen, will ich an dieser Stelle eigentlich nur erwähnen, aber nicht weiter vertiefen.

Ich möchte zusammenfassen: Lineare Diskussionen sind für das Szenario einer vorzugsweise 1:1-Kommunikation gut geeignet, insbesondere für Support bei voranschreitender Problemlösung.

Baumstrukturen eröffnen dagegen erst die Möglichkeiten, innerhalb eines initial vorgegebenen Themas beliebige Unterdiskussionen zu führen. Diese fraktale Struktur kann man nach oben wie unten beliebig fortsetzen: Nach unten in der Menge an Unter-Diskussionen und Unter-Unter-Diskussionen, nach oben hingegen in der Form von gruppierenden Klammern wie Threads, Kategorien, Kategoriegruppen, Foren,...

Eine Baumstruktur kommuniziert auch Gleichrangigkeit von Antworten zu einer Frage, sowie Nachrangigkeit von Antwort-Antworten. Dass die Darstellungsweise der hier verfügbaren Forumssoftware kritikwürdig sein könnte, widerspricht den grundsätzlichen Fähigkeiten baumstrukturierter Diskussionen nicht. Das SELFHTML-Forum hat diese Baumstruktur in der Tat auch nicht erfunden, sondern sie hat sich schon in den allerersten elektronischen Diskussionssystemen so dargestellt, weil offenbar die damaligen Techniker die Natur menschlicher, asynchroner Diskussion als Baum erkannt hatten (siehe Usenet, siehe Compuserve-Foren).

Als Zusammenfassung hier: Baumstrukturen sind für das Szenario einer u.U. ausufernden, breiten, vielschichtigen Diskussion sehr gut geeignet.

Jetzt zu den Mischformen. Anderswo schon als Argument eingebracht wurde, dass sich linearer Diskussionsstil und baumartiger Diskussionsstil nicht gut mischen lassen. Man kann zwar einen Baum als lineare Diskussion darstellen und lesen, aber eine linear geführte Diskussion lässt sich nur mit größerem Aufwand zurückwandeln in einen Baum - insbesondere dürfte vor allem der Diskussionsstil der Postingtexte inkompatibel sein: Ein Baum-Text enthält u.U. zuwenig Kontext, wenn das Posting linearisiert wird und deshalb der räumliche Zusammenhang entfällt, hingegen enthält ein lineares Posting eventuell zuviele Antworten auf unterschiedliche vorangehende Postings, sodass das Auftrennen in einzelne Antworten im Baum gar nicht möglich ist.

Es gibt allerdings eine online beobachtbare Mischform, die augenscheinlich extrem erfolgreich ist: Das System von Stackoverflow. Wenn man mit den richtigen Suchworten, vor allem aber nach den richtigen Themen sucht, findet man bei Google mit Sicherheit mindestens einen Thread von Stackoverflow auf der ersten Ergebnisseite - und dieser Thread ist vermutlich auch noch zielführend.

Woran liegt das? Weil das Ziel von Stackoverflow ist, den Besucher mit guten Antworten zu versorgen. Wie kriegt man das hin? Indem man sich in der Struktur und der Interaktion vollkommen auf dieses Ziel einlässt:
1. Die Struktur eines "Threads" ist sehr eingeschränkt: Es gibt genau ein Frageposting, darunter parallel genau eine Ebene von möglichen Antworten, und auf diese Antworten sind dann nur noch untergeordnete kleine Kommentare möglich.
2. Die Reihenfolge der Antworten richtet sich nach den Bewertungen der späteren Besucher.
3. Die Antworten sind auch für Dritte, nicht nur für den Original-Ersteller, jederzeit bearbeitbar und werden nach Freischaltung öffentlich. Tippfehler, falsche Links, Logikfehler etc. sind ausbesserbar, so dass ein späterer Leser, der dasselbe Problem hat, nicht mit einer aus Versehen fehlerhaften Lösung, die niemand mehr in einem Posting korrigiert hat, genauso schlau wie vorher ist.
4. Die registrierten User sammeln Erfahrungspunkte und Badges basierend auf ihren Antworten und könnten sich durch dieses positive Feedback und den daraus ggf. resultierenden Spieltrieb herausgefordert fühlen, bessere Antworten zu geben. Umgekehrt werden blöde Antwortgeber ebenso gedisst und durch das negative Feedback, welches sich an ihrem Account sammelt, wird transparenter, wie wichtig man diese Antwort nehmen kann.
5. Das ganze Umfeld von Stackoverflow ist darauf ausgerichtet, dass man im Zweifel auch weitere Antworten findet. Threads bieten Tagging, die Suche kann auf alle Daten und Metadaten der Threads gehen, der Fragesteller kann eine Antwort "akzeptieren" und als für ihn richtige Lösung kennzeichnen, etc...

Zusammenfassend: Ein System wie Stackoverflow bietet ein Umfeld zur kollaborativen Lösungsfindung und -pflege.

Diese drei Systeme vergleichend kann man zu dem Ergebnis kommen, dass die zu wählende Struktur für den gegenseitigen Textaustausch ganz entscheidend davon abhängt, welches übergeordnete Ziel man verfolgen möchte.

Wenn dieses Ziel ist, dass eine Supportmannschaft im Dialog mit den Fragestellern zu Lösungen kommt, ist ein lineares Board die beste Lösung.

Wenn es darum geht, einen bunt gemischten Diskussions-Basar anzubieten, ist die Baum-Forumslösung die beste Lösung.

Geht es hingegen darum, dauerhaft "die besten Antworten zu HTML" im Web zu veröffentlichen, wäre ein System wie Stackoverflow überlegenswert.

Und selbstverständlich schließt kein System das andere wirklich aus - allerdings sollte man bedenken, dass Überschneidungen der Themengebiete von zwei parallel betriebenen Systemen letztendlich dazu führen, dass sich beide gegenseitig um die Menge der verfügbaren Nutzer, insbesondere um die Antwortgeber, streiten und diese knappe Ressource unnötig schwächen.

- Sven Rautenberg

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Die Zukunft des SELFHTML-Forums - Never change a working system?

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