Lieber Stefan!
Der Vergleich nimmt eine stille Wasseroberflaeche und einen Schwimmenden darauf an:
Das Wasser ist die Gewalt...Er schwimmt wunderbar dahin, weil die Wasseroberflaeche ruhig ist (die Gewalt hat ihren eindeutigen Ort, sie ist "normal"). Diesen Zustand will ich mal "Frieden" nennen.
Ich soll die Gewalt als etwas empfinden, in welchem ich tagein, tagaus ganz ruhig dahinschwimme? Ich schwimme im Alltag; ist der Gewalt? Meine Arbeit, meine Kollegen, meine Mitmenschen: Beinhalten sie Gewalt? Die Nachbarn, die Wohnung, meine Familie, meine Wünsche, meine Ziele, die Gesellschaft: Ich schwimme da so drin. Sollte das etwa alles potentielle Gewalt "unter" mir sein? Das Leben plätschert dahin, als ein Fluß, der ganz ruhig dahinfließt. Oder als muntere Quelle. Oder als reißender Bach. Mit Wasserfall. Er mündet in jedem Fall im Meer, das unergründlich und unendich und gefährlich und tröstlich und tief und flach und ruhig und kabbelig ist.
Wenn sich die Wasseroberflaeche zu unkalkulierbaren, grossen Wellen auftuermt. Das kann fuer den Schwimmer gefaehrlich werden, er koennte ertrinken (in Gewalt versinken und daran zugrunde gehen, Opfer der Gewalt werden). Die Wassermenge nimmt nicht zu dabei, aber durch seine Unruhe wird das Wasser gefaehrlich fuer den Schwimmer.
Jawoll, auf die Urgrewalten habe ich gar keinen Einfluß. Mobbing am Arbeitsplatz, Streit in der Familie, die Miete, die ich nicht mehr bezahlen kann, Ziele, die nicht zu erreichen sind, weil die Gesellschaft andere Normen vorgibt: Schon schlagen die Wellen hoch und ich kann mich kaum über Wasser halten.
Schlimm wird es nur, wenn immer groesser werdende Gruppen von Schwimmern einheitliche Bewegungen machen. Die Idee dahinter klingt plausibel: indem man die feindlichen Wellen mit eigenen, ebensolchen Wellen zerstoert, beseitigt man die Ursache des Sterbens.
Der Gegensatz dazu: Alleine in dem kabbeligen Wasser zu überleben, ist schwer, man braucht Mitschwimmer, die einem bei Bedarf unter die Arme greifen. Was feindlich ist und was nicht, wird dann je nach Sichtweise interpretiert. In einem Meer, in dem man schwimmt, ist es schwer, solche Kräfte zu erzeugen, die andere zum Untergang bringen, es sei denn, sie sind mutterseelenallein. Die Riesenwellen werden durch äußere Kräfte verursacht: Erdbeben, Sturmfluten, Hurricanes, aber niemals durch die Schwimmer selbst. Dazu sind sie viel zu schwach. Wenn das Wasser, auf dem sie schwimmen, wirklich die Gewalt verkörpert, dann ist es eben die Gewalt, die die Schwimmer trägt, was aber wenig tröstich ist. Ich finde, der Vergleich Wasser und Gewalt hinkt, denn es ist das Leben, das die Schwimmer trägt, nicht die Gewalt, die nur ein Teil davon ist. Wasser ist ja auch ein Lebensspender und Lebensraum. Das kann gar nicht die Gewalt verkörpern. Aber die Umstände können es.
Ich weiß, worauf Du hinauswillst: Einige Schwimmer tun sich zusammen und erzeugen mit ihren Bewegungen Gewalt, die wiederum Gegengewalt erzeugt, was sich aufhebt. Oder auch nicht. Das kann aber höchstens in einem Teich oder See funktionieren. Dieser See ist aber kein Fluß, und er mündet nicht im Meer. Die Gewalt kann sich behaupten, wenn kein Abfluß da ist. Der Abluß ist in unseren Gehirnen, genau wie die Mauern und die Drahtzäune, an denen wir rütteln. Oder sie akzeptieren.
Tja, und an dieser Stelle moechte ich dann fieserweise abbrechen.
Achwas, fies ist was anderes.
Wird das gelingen mit den Wellen? Oder koennten sich die aufeinandertreffenden Wellen nicht zu noch gewaltigeren Wellen vereinigen (die Heimtuecke des Wassers) mit noch fataleren Folgen? Ist Gewalt als solche gefaehrlich? Oder ist es nur die Eskalation der Gewalt?
Es ist die Eskalation des Lebens, die in Gewalt enden kann. Das Wasser, das ich hier im Gegensatz zu Stefan mit Leben und nicht mit Gewalt definiere, kann sich in gewaltige Wellen auftürmen, ohne die Gestalt der Gewalt anzunehmen. Es kann im Gegensatz dazu ganz ruhig als Tümpel im Wald dahindümpeln und unter seinen Bewohnern die schlimmsten Revierkämpfe um die besten Futterplätze auslösen.
Und dann moechte ich noch eine Frage in den Raum werfen: wie kommt es ueberhaupt dazu, dass Schwimmer so gerne ihre Bewegungen vereinheitlichen (die einheitliche Form suchen, sich in "Uniform" schmeissen)?
Das Mit-dem-Strom-Schwimmen habe ich schon gelesen in dem Thread. Wenn für mich das Wasser das Leben ist, sehe ich das Vereinheitlichen der Bewegungen darin, daß sie sich zusammentun und gegenseitig unterstützen. Um zu überleben. Die Uniform ist nur ein Ableger davon. Im Falle der Gewalt.
Viele Grüße,
Kirsten