Luc(as von Gwinner): "Neuordnung der Märkte durch das Internet"

Hallo liebe Forumsler,
ich habe eine Frage an Euch. Und zwar arbeite ich gerade an einem Referat
zum Thema "Neuordnung der Märkte durch das Internet" und mich würde brennend
interessieren, was Euch zu diesem Thema einfällt.

Fragen die sich mir stellen sind z.B.:

Ist Eurer Meinung nach durch das Internet eine Veränderung auf dem Gebiet der
Wirtschaft zu erwarten? Wenn ja, welche? Wenn nein, warum nicht?
Werden die Kunden den Unternehmen und ihren Produkten/Dienstleistungen durch
das Internet mächtiger und/oder kritischer, weil sie nun vernetzt sind und sich
organisieren können?
Wird sich die Individualität von Produkten, z.B. durch "on demand"-Produktionsverfahren
(Beispiel http://www.bod.de) verbessern?
Wird der Einzelhandel schwere Umsatzeinbußen aufgrund von e-Commerce-Angeboten
(Beispiel http://www.amazon.de oder http://www.boo.com) hinehmen müssen?
Wenn ja, welche Branchen wird es besonders treffen? Wenn nein, warum nicht?
Haben gut funktionierende Online-Communities Einfluß auf wirtschaftlichen Erfolg (Beispiel
http://www.consors.de => Community)?
etc. etc.

Vielleicht fällt Euch dazu ja etwas ein. Es würde mich auf jeden Fall sehr freuen, denn die
Möglichkeit so eine Frage einfach mal so in den Raum zu stellen, die habe ich nur im Internet.
Bin mal was für Reaktionen kommen.

Vielen Dank im vorraus, Luc

  1. Hallo Lucas,

    Werden die Kunden den Unternehmen und ihren Produkten/Dienstleistungen durch
    das Internet mächtiger und/oder kritischer, weil sie nun vernetzt sind und sich
    organisieren können?

    Ich denke, da muß man b2c und b2c unterscheiden.
    Im Fall b2c: Die Kunden werden in Zukunft (teilweise auch schon jetzt) die Preise durch Agenten sehr viel besser vergleichen können, was zuerst mal einen sehr viel größeren Preisdruck auf die Verkäufer als im gewöhnlichen Handel ausübt. Das sieht man in Amerika ja auch an vielen dotcoms - sie unterbieten sich in den Preisen so lange, bis keiner mehr eine reale Profitmarge hat, und nur darauf hoffen kann, entweder den anderen über kurz oder lang aus dem Markt zu werfen, oder durch Zusatzleistungen Geld zu verdienen. Alles andere als Preise spielt im b2c meiner Meinung nach eine relativ geringe Rolle, s.u. zu 'on demand'. (ok, es madet mich, wenn irgendwer drei Tage länger braucht, um ein Buch zu liefern, aber ich kann mir ehrlich gesagt nicht vorstellen, wegen einem Buch vorher z.B.bei http://ciao.com zu recherchieren, wer jetzt besser ist, und das ist wohl bei den meisten so.)
    Im b2c wird der Kunde meiner Meinung nach nicht insofern mächtiger, weil er alles im Endeffekt billiger kriegen kann, daß ist ein rein epistemischer Vorteil, der einfach das normale Wirken des Marktes beschleunigt. Der Kunde erhält aber neue Möglichkeiten, bisher nicht direkt im Marktgeschehen wiedergespiegelten Elementen Einfluß zu verschaffen (also 'kritischer') - so war es bisher nur in recht begrenztem Maße möglich, Firmen oder z.B. Rechtsanwaltskanzleien (*bg*) dadurch in ihren Geschäftsmöglichkeiten zu beschränken, daß man bekanntmacht, daß betreffende Organisation ihren Gewinn durch zwar nicht rechtswidrige, aber moralisch zu verwerfende Mittel erzielt - posten in öffentlichen Foren ist für sowas wie z.B. das Verhindern von Kinderarbeit oder Ausbeutung in der dritten Welt dann doch sehr viel wirkungsvoller als der Anschlag am Brett des Studentenheims.

    Zu b2b: Genauso wie bei b2c ist hier eine stark erhöhter Preisdruck auf Zulieferfirmen zu erwarten, da die Marketplaces wie z.B. der von DaimlerCrysler und anderer Autofirmen einen schnellen, direkten Preisvergleich ermöglichen. Allerdings sind hier zusätzliche Dinge wie Erfahrungen mit der Qualität der gelieferten Produkte, der Zuverlässigkeit, evtl. ISO-Zertifizierung des Zulieferes, usw. wichtiger als bei b2c, wo man eher einen fest definierten Markenartikel erwirbt, so daß der Preisvergleich komplizierter wird (oder, umgekehrt: der Preisdruck bei b2c herrscht im Moment ja direkt auch nur zwischen sehr einfach zu vergleichenden Produkten wie Büchern und CD's).

    Wird sich die Individualität von Produkten, z.B. durch "on demand"-Produktionsverfahren
    (Beispiel http://www.bod.de) verbessern?

    Ich denke die Individualisierung durch 'on demand' beschränkt sich aufgrund der Herstellungsverfahren auf relativ wenige Branchen, denn wennn Du z.B. dein Auto weiter individualisieren willst als in der Produktiosstraße des Herstellers vorgesehen, braucht der einen neuen Roboter, oder, anders gesagt: Wenn ich mir online ein neues Auto mit bestimmten Optionen zusammenstelle, bringt das an Individualität zuerst mal nicht mehr, als wenn ich den entsprechenden Fragebogen im realen Leben mit Kugelschreiber ausfülle - und für alles mehr braucht der Hersteller ein paar neue Roboter (z.B. für 'gravier' mir meine Homepageadresse statt des Namens meines Hifiherstellers in die Heckscheibe ein'). Mit Ausnahme natürlich von einigen leicht individual-standartisierbaren Produkten wie Büchern oder CD's, die nur aus einfachen Komponenten bestehen.

    Wird der Einzelhandel schwere Umsatzeinbußen aufgrund von e-Commerce-Angeboten
    (Beispiel http://www.amazon.de oder http://www.boo.com) hinehmen müssen?
    Wenn ja, welche Branchen wird es besonders treffen? Wenn nein, warum nicht?

    Treffen wird es die Händler von stark standartisierten Produkten, die nichts mit dem Lebensgefühl eines konsumorientierten Menschen zu tun haben - ich würde z.B. in den nächsten Jahren meine Rolle nicht gern mit einem Einzelhändler für Büroartikel tauschen. Gegen sowas wie boo.com würde ich (etwas sarkastisch) einwenden, daß schließlich die einzige Befriedigung in unserer Gesellschaft anscheinend das Konsumieren geblieben ist, und es bringt einfach mehr 'Spaßmehrwert', viele Dinge real einzukaufen, als sie online zu bestellen, von recht realen Problemen wie Kleideranprobe mal abgesehen. Oder, anders formuliert: wenn ich bei boo meine Kleidung in 15min kaufen kann, während ich sonst 3h brauche - was mache ich dann mit den 2.45h - Nachdenken? (über was? Was ich sonst noch bei boo kaufen könnte? Den Sinn des Lebens, der in Konsum besteht, also: unendliche Schleife?). Auf jeden Fall wird durch ecommerce in vielen Bereichen dem modernen Konsumenten der letzte Bereich zeitlich sehr eingeschränkt, in dem er sich glücklich fühlt, was meiner Meinung nach nicht gutgehen kann. Oder, noch sarkastischer:
    A: Was hast'n gestern gemacht.
    B: 'ging mir nicht gut, war shoppen, zum Ausgleich.
    A: Geht mir genauso, wo warst Du?
    B: In der neuen Einkaufspassage, hab' einen D&G Anzug für 1500,- gekauft, hat mich total beruhigt.
    A: Krass, ich war surfen bei boo und hab' mir auch einen gekauft, aber ich wußte nicht, was ich danach machen sollte.
    B: Hey, ja weißt, reales Einkaufen, ich hab' drei Stunden in Geschäften gewühlt, ein paar mal meine platin-supermegawichtig-american-express gezückt, das hat mich echt total relaxed - irgendwie muß man den peoples ja kommunzieren, daß man ein Held ist, und das geht halt nicht per boo (sieht ja keiner die Einkaufstüten...). Und das Shopping hat den Abend gut rumgebracht...

    Grüße aus der schönen neuen vernetzten Welt ;-)
    Stephan

  2. Hi,

    Ist Eurer Meinung nach

    Meinung? Subjektiv? Prima - bin dabei. ;-)

    durch das Internet eine Veränderung auf dem Gebiet der
    Wirtschaft zu erwarten? Wenn ja, welche? Wenn nein, warum nicht?

    Puh - ich denke, die Frage ist in dieser Form zu allgemein gestellt.
    Um darauf einzugehen, müßte ich sie in viele Teilfragen zerlegen.

    Spontan fällt mir z. B. ein, daß die weltweite Erreichbarkeit via WWW wahrscheinlich bewirken wird, daß auf internationale (und damit fremdsprachliche) Kunden gezielter eingegangen werden muß. (Schönes Beispiel dafür: Die IBM-eCommerce-Werbung mit der "Thom KG", welche irgendwelche Schrauben preisgünstig nach Japan liefert - der Trick hier ist nicht zuletzt das "Gefunden werden" auch über Kultur- und Schriftgrenzen hinweg.)
    Aber ob das wie bisher durch nationale Tochtergesellschaften oder durch einen eher zentralistischen Ansatz erledigt werden wird (siehe auch http://www.teamone.de/selfaktuell/artikel/schroepl04.htm), ist vermutlich schwer vorherzusagen (beides wird es geben).

    Werden die Kunden den Unternehmen und ihren Produkten/Dienstleistungen durch
    das Internet mächtiger und/oder kritischer, weil sie nun vernetzt sind und sich
    organisieren können?

    Das wird darauf ankommen, inwiefern sich die Interessen der Kunden bündeln lassen *wollen*. Klar, es wird technisch einfacher - aber nur, wenn man die Faulheit zu überwinden bereit ist.
    Vernetzt zu sein kostet Zeit und (noch) Geld - ich denke, es wird viele Benutzer geben, die auch hier das Preis/Leistungs-Verhältnis sehr genau betrachten werden.

    Wird sich die Individualität von Produkten, z.B. durch "on demand"-Produktionsverfahren
    (Beispiel http://www.bod.de) verbessern?

    Ich denke nicht, daß Produktion on demand allzuviel mit dem Internet zu tun hat. Eher mit dem Willen, entsprechende Betriebsabläufe einzuführen und konsequent durchzuziehen.
    Der Erfolg von Dell Computer basiert m. E. nicht auf dem Internet, und Intranets gab es - für entsprechend viel Geld - auch schon zu Zeiten von X.25 und Co.
    Ich halte es für blauäugig, zu denken, daß eine Vernetzung ohne entsprechende Änderung der Arbeitsmethodik irgendwelche betriebsinterne Probleme löst. (Eine intransparente Firma wird durch ein inhaltlich weder akzeptiertes noch gepflegtes Intranet um keine 5 Pfennige transparenter.)

    Wird der Einzelhandel schwere Umsatzeinbußen aufgrund von e-Commerce-Angeboten
    (Beispiel http://www.amazon.de oder http://www.boo.com) hinehmen müssen?

    "Schwere" Einbußen würde bedeuten, einen signifikanten Teil des Umsatzes umzuleiten; dies aber scheint mir heute eher ein logistisches Problem zu sein (wie lasse ich als werktätiger Single mir etwas schicken, wenn ich von der Hauptpost weit entfernt wohne?) als eines der eigentlichen Web-Präsenz.
    Die Aktivitäten der existierenden (großen) Händler (Wal-Mart etc.) gehen m. E. in die Richtung, mit einer Web-Präsenz zu verhindern, Marktanteile zu *verlieren*. Wenn alle "mit denselben Waffen kämpfen", wird sich wahrscheinlich nicht viel ändern.
    Und es wird immer auch Nischenanbieter geben; konkret fand ich z. B. die Idee, im Web etwas zu ordern und es dann beim Tante-Emma-Laden um die Ecke abzuholen (was das obige Problem meiner Nicht-Anwesenheit gegenüber dem Postboten löst), genial.

    Wenn ja, welche Branchen wird es besonders treffen? Wenn nein, warum nicht?

    Ich würde das daran festmachen, wie austauschbar das konkrete Produkt ist.
    Eine CD ist zu nahezu 100% austauschbar zwischen zwei Anbietern - da werden Preis (Web-Präsenz spart Gehälter) und Bequemlichkeit (Ladenöffnungszeit) viel ausmachen.
    Aber wenn ich mir eine neue Hose kaufen soll, dann muß die mir auch passen, und das im WWW zu überprüfen, so weit sind wir wohl noch nicht.

    Haben gut funktionierende Online-Communities Einfluß auf wirtschaftlichen Erfolg (Beispiel
    http://www.consors.de => Community)?

    Ja (verstärkt die Kundentreue) - und zwar um so mehr, je austauschbarer das Produkt ist (genau deshalb ist Consors m. E. ein gutes Beispiel, denn allzu viele signifikante Unterschiede gibt es zwischen den Online-Brokern bald nicht mehr).

    Aber parallel dazu wird ein Anbieter auch gezielt in seine *besten* Kunden investieren: Es ist relativ trivial, aufgrund der Datenbasis einer Direktbank die Teilmenge der aktivsten Trader zu isolieren und diese mit zusätzlichen Vergünstigungen (keine Depotkosten, kostenloses Abo von Fachliteratur, separate Hotline außerhalb der normalen Handelszeiten, eventuell sogar Vorteile beim Zeichnen von Neuemissionen u.v.m.) dauerhaft an sich zu binden (bei mehreren tausend Mark Ordergebühren pro Kunde und Jahr rechnet sich das schnell).
    Letzteres ist kein Internet-basiertes Verfahren, aber durch die (kundengestützte!) Digitalisierung der Geschäftsabwicklung wird die Erfassung der Daten natürlich wesentlich leichter.

    Vielleicht fällt Euch dazu ja etwas ein.

    Was mir beim Thema eCommerce als Allererstes einfällt: Der Kunde übernimmt generell die Arbeit der genauen Beschreibung seiner Anforderung. Das Berufsbild des "Verkäufers" - in allen Branchen - wird sich m. E. dramatisch ändern, denn der niedrig qualifizierte Verkäufer wird durch die Web-Präsenz in vielen Fällen entbehrlich.
    Generell ist Hochqualifizierung heutzutage die wahrscheinlich sicherste Methode, morgen noch nicht überflüssig geworden zu sein - *das* ist durch das Internet m. E. erheblich beschleunigt worden.
    Und gerade wegen dieser Beschleunigung ist "Lernen lernen" heute viel wichtiger als vor 30 Jahren - die "Energie des Verstehens" hat in unserer Gesellschaft m. E. erheblich an Bedeutung gewonnen.

    Auch die derzeit so zeitgemäßen Call-Center werden wahrscheinlich schon in wenigen Jahren wieder an Bedeutung verlieren - und zwar in dem Maße, in dem die Web-Präsenz an künstlicher Intelligenz gewinnt. Die Online-Banken haben schon erste Prototypen in dieser Richtung.
    (Aktuelle Zahlen zu ComDirekt - habe ich neulich irgendwo gelesen, Zahlen aus dem Gedächtnis: 7% der Kunden nutzen das Call-Center, ebenfalls 7% tippen ihre Orders umständlich per Tonwahl-Telefon über einen geführten Dialog mit dem Service-Rechner ein, 3% nutzt Brief oder Fax, 83% nutzen das WWW.)

    Und wie oben bei den Direktbanken angemerkt: Es wird viel preisgünstiger, aussagefähige Zahlen über seine Kundschaft zu gewinnen (weil die öde und kostenintensive Arbeit der Erfassung einfach auf die Kunden verlagert wird!), so daß entsprechende Reaktionen gezielter vorgenommen werden können.
    Das geht in fast dieselbe Richtung wie Zielgruppenwerbung (inklusive Cookies, Referer-Analyse und was sonst noch alles) - diese wiederum hat allerdings mit dem WWW nicht ursächlich etwas zu tun, wie man in den letzten Jahren in den immer diversifizierteren Fernsehsendern gut beobachten konnte. (Inzwischen machen sie ja dort schon "Frames-Strukturen", beispielsweise unten ein Laufband mit aktuellen Börsenkursen und oben ein Frame mit Werbung, beobachtet z. B. in Bloomberg-TV.)

    mfg - Michael