Hallo Achim, hallo Stefan,
erstmal Danke für den interessanten Hinweis!
Diese Identitaetsbildung durch Ablehnung kann man - auch hier im Forum - bei manchen Linux- und Mozilla-Verfechtern sehr schoen beobachten. Da wird sich dann zu Behauptungen verstiegen wie der, Windows sei benutzerunfreundlich, oder der Internet Explorer koenne keine Webseite richtig anzeigen. Damit ist sich der so Redende des Beifalls seiner Streitgenossen sicher. Nur eines verkennt er: viele Menschen finden Windows durchaus sehr benutzerfreundlich, und viele surfen mit dem Internet Explorer, weil man damit prima durchs Web kommt. Was also gewinnt man mit solchen Pauschalverdammungen nach aussen hin?
Anscheinend produzieren Abschottungsdiskurse, so augenfällig ihre negativen Seiten auch sind, doch auch "Profite". Du nennst "Identitätsbildung" im Sinne von Gruppenidentität, vielleicht kommt auch die Verankerung des einzelnen in der Gruppe durch gemeinsame Grenzverteidigung hinzu.
Vielleicht befinden wir uns hier aber auch in einem Bereich sehr alter Mechanismen zur dikursiven Konstitution von Gemeinschaften, die unbewältigt auch in den modernsten Institutionen wirkungsmächtig bleiben.
Frei nach Foucault: Es kommt nicht darauf an, was gesagt wird, sondern darauf, wer es an welcher Stelle sagt. Es ensteht, wir sehen es jeden Tag im Forum, in den meisten Institutionen eine Tendenz zur Abbildung von Hierarchien in Diskursregeln, im Forum scheinen mir Hierarchien aufgrund fehlender Sanktionen und Festlegungen durch die "Obrigkeit", d.h. durch das weitgehende und sympathische Fehlen "realer" Hierarchien, mit den heimlichen und offenen Diskursregeln identisch zu sein.
Das so entstehende Feld dikursiver Regeln ermöglicht nicht nur Identität für die Gruppe, sondern bietet auch eine Auswahl von "Rollen" und Positionen an, die der einzelne übernehmen und sich so als Funktionsträger in die Gemeinschaft integrieren kann. Als Spezialist für Perl, als CSS-Kenner, als "guter Geist", der über den Wassern schwebt, als Purist der Open-source-Bewegung oder in Design-Fragen, als ruppiger, aber sympathischer Kritiker, ....
Eine andere Funktion könnte die Entlastung der Gruppe von inneren Konflikten sein. Das diskursive Feld integriert durchaus gegensätzliche Meinungen. Solange das Feld möglicher Äußerungen in seiner Grundstruktur erhalten bleibt, muss eine Äußerung, der durch die Position des Sprechers nur begrenzte Bedeutung zukommt, nicht unbedingt Widersprüche an einer anderen Stelle hervorrufen. Es entstehen ritualisierte Formen gegenseitiger "Spitzen", die aber durch die Abschottung der einzelnen Unterfelder akzeptabel sind und auch inhaltlich nicht aufgenommen werden müssen.
Organisationen produzieren selbstläufig Abschottung und Ineffizienz. Dies gilt für die Open-Source-Community ebenso wie für Firmen und andere Institutionen. Es bedarf immer wieder neuer, und ich denke für Stefan besonders ermüdender Interventionen, so etwas wie Offenheit wiederherzustellen. Aber gerade aufgrund der Diskursregeln sind nicht viele in der Lage, diese Position zu vertreten und einzunehmen. Vielleicht könnte man versuchen, direkt oder indirekt einige der Wortführer für Interventionen zugunsten der Offenheit zu gewinnen....
"Welche Vorzüge ein Geschäftskonzept auf Basis von Open Source Softwareentwicklung haben kann und wie solche Geschäftskonzepte aussehen könnten ist den meisten Unternehmen noch unbekannt."
Wie vielen Open-Source-Anhängern sind die so wichtigen Versuche, auch kommerziell etwas aus den Ansätzen zu machen, von Anfang an verdächtig!
"Die Art und Weise, wie sich die Open Source Community organisiert, wie die Mitglieder dieser Community miteinander kommunizieren und arbeiten, wie jeder Einzelne in einem Open Source Projekt dazu lernt - dies alles könnte in unseren Augen ein Vorbild für viele andere gesellschaftliche Bereiche sein. Dies weltweit, da es sich um eine globale Community handelt."
Es wäre ungeheuer spannend, diesen Strukturen tiefer auf den Grund zu gehen, etwa mehr über Motivationen und Regeln zu lernen, die für diese communities wichtig sind.
Viele Grüße
Mathias Bigge