Hi O'Brien,
Das Universum des "Was-geschah-danach", wie es Rushdie nennt, funktioniert bei Karl May ziemlich perfekt, Spannungselemente gibt es genug.
Rushdie habe ich noch gar nicht gelesen, und ich kann mir momentan auch nur so ungefähr denken, was er damit meinen könnte ...
Es ist die traditionelle Form des Erzählens, seine Geschichte so aufzubauen, dass der Leser in jedem Moment danach lechzt zu erfahren, wie es weitergeht. Wenn Dir sowas Spaß macht, lies mal Mankell-Krimis, die sind eigentlich besser als Karl May und mindestens ebenso spannend, z.B. "Die Rückkehr des Tanzelehrers" oder "Die weiße Löwin". Macht aber süchtig....
Es gibt aber auch deutliche Schwächen, etwa die arg gekünstelten Dialoge, die laut gesprochen zur Lachnummer werden,
Man kann aber auch seine Freude daran haben, wenn man nicht auf puren Realismus aus ist.
Natürlich, aber wenn Du sie in einem der Karl May Filme gesprochen hörst, weißt Du, was ich meine.
Selbststilisierung zum Übermenschen
mitnichten um die _Selbst_stilisierung des Autors zum Übermenschen, sondern sozusagen um das "personifizierte Gute", sozusagen den Menschen, wie er von jedem Gläubigen angestrebt werden sollte.
Na, wenn Du dem Karl May Mythoas noch ein bisschen weiter nachgehst, wisrst Du sehen, dass Karl May das schon auf sich selber bezieht, bis hin zur Silberbüchse in Radebeul usw....
Auch die Stilisierung der "mithelden" zu klischeehaften Chargen ist eher schwach.
Wobei die _wirklichen_ Mithelden doch sehr positiv beschrieben sind. Sei es nun ein Winnetou oder ein Halef Omar
Ja, Winnetou und sein Zwilling Kolma Pushi sind schon fast Heiligenfiguren mit erotischem Touch. Aber Halef Omar wird doch immer immer wieder als kindlicher Beduine mit dem großen Herzen dargestellt, der normalerweise mit seinen Aktionen beweist, dass "gut" das Gegenteil von "gut gemeint" ist. Zudem auch noch als naives Bekehrungsobjekt, den im Grunde nur sein Umfeld daran hindert, am ENde Mitglied der neuapostolischen Kirche zu werden ;-)
Einer der seltsamen Aspekte, die auch Arno Schmidt analysiert, ist die verdeckte Homosexualität, etwa in der Person Kolma Pushi (Old Shurehand), der exakt wie Winnetou aussieht, sich dann aber als Frau entpuppt usw.
Kannst du mir sagen, was daran "seltsam" ist? Ich fand zwar auch immer etwas lustig, wie oft sich in den Romanen Männer gegenseitig auf den Mund küssen, aber es hat mich nie sonderlich gestört.
Es gibt einen starken homoerotischen Zug in Karl Mays Romanen.
Auch der Humanismus hat etwas selbstgerechtes, immer siegt der rationale Westen über den irrationalen Osten, das Böse ist zugleich hässlich als auch grotenschlecht usw.
Das ist richtig. Auch erstreckt sich Karl Mays weltoffene Haltung nicht auf alle Menschen, die auf dieser Erde wandeln. Gerade die Afrikaner oder Asiaten kommen dabei oft nicht sonderlich gut weg. Aber, meine Güte, wann hat er diese Bücher geschrieben? Und so weit im Denken wie er damals sind viele heute noch nicht einmal, 100 Jahre später ...
Das ist schon richtig. Meine Oma, die als Bürgertochter in Münster groß geworden ist, erzählte mir etwa von "Völkerschauen", die regelmäßig im Münsteraner Zoo veranstaltet wurden, wo man "Neger" in einem "Kral" wie Tiere dem staunenden Münsteraner Publikum präsentierte.
Für große Literatur fehlt Karl May die dunkle Seite der Traumwelten, Ängste, Versagen, Schwächen des Helden, und die Faszination für das Fremde, das in seiner eigenen Größe präsentiert und nicht nur als Mumpitz entlarvt wird. Solche Stellen sind bei Karl May selten.
Damit hast du einerseits recht, andererseits erinnert mich diese Aussage ein wenig an den Deutschunterricht in der Schule (Deutsch LK ;-). Was mich dort _immer_ gestört hat, war, dass ich _nie_ ein Gedicht oder was auch immer einfach nur _schön_ oder _spannend_ finden durfte, nein, es musste immer "die Intention des Verfassers" herausgefunden und alles bis ins kleinste zerpflückt werden ("was sagt uns dieses Komma an genau dieser Stelle") - solange, bis die Schönheit wie ausgerupfte Blütenblätter am Boden lag. Und ob die herausgefundene mit der tatsächlichen Intention des Verfassers übereinstimmte, interessierte niemanden. (Diejenigen mit den besten Noten im LK waren übrigens die größten Schwätzer ...)
Hehe, ich bin gelernter Deutschlehrer. Es wäre natürlich ein Missverständnis, Literatur nur als Verpackung für eine gut versteckte Intention zu deuten. Dann wäre das Quiz gelöst, wenn man durch die Verpackung endlich zur eigentlichen Aussage vorgedrungen sei.
Es ist natürlich ein interessantes Spiel, im Dickicht der Texte auf Spurensuche zu gehen, etwa nach verdeckten Erkenntnissen, Bezügen auf die Realität und dergleichen mehr. Das eigentliche Ziel sollte jedoch sein, vor dem Horizont des erreichten Wissens zu verstehen, warum es gerade so und nicht anders präsentiert wird.
Um es an einem anderen Beispiel zu zeigen: Wenn Du nach einem wilden Traum am Morgen erwachst und herumrätselst, was Dich da so in Angst versetzt hat, und tatsächlich allein oder mit Hilfe den Schlüssel zu dem findest, was Du nicht verstanden hast, obwohl Du selber Autor, Hauptdarsteller und Regisseur warst, dann bleibt immer noch die Frage interessant, warum Du dieses Gefühl oder Ereignis aus Deinem Leben gerade so dargestellt hast. Es gibt Techniken, solche dunklen und damit spannenden Träume zu analysieren, und sie sind meist schwerer zu verstehen als die Tagträume, in denen man immer Held und Sieger ist.
Literatur, die sich an den Heldenepen der Tagträume anschließt, hat dennoch eine Faszination, ist obendrein tröstlicher und ermutigender, weil man sich immer mit der Siegerseite identifizieren kann. Die wirklich spannenden Aspekte verstecken sich aber weit eher in den Nachtträumen mit ihren dunklen Seiten, auch wenn die meisten Menschen nie Zugang dazu finden.
Was ist "große Literatur"? Wer definiert sie? Gibt es eine allgemeingültige Definition? Und wenn ja, wer hat sie aufgestellt und warum hat er/sie das Recht dazu?
Das ist eine alte Germanistendebatte und man kann sich sehr wohl darauf einlassen, einfach einen Kanon wertvoller Texte zu definieren. Welche Literaturmafia, welche Verlage und Medien Texte in einen solchen Kanon bringen können, ist dann eher eine sozialwissenschaftliche Frage.
Für mich gibt es einfach ein paar Bücher und Texte, die mir ganz persönlich etwas bedeuten und mir Dimensionen eröffnen, die andere Texte nicht erschließen können. Ich will mich aber nicht dazu versteigen, diese Texte auch für andere als heilig zu betrachten. Vielleicht gibt es dabei auch ein wenig objektive Größe, aber da verhält es sich wie mit großen Rotweinen: Wenn man nicht ein paar hundert Flaschen bewusst gekostet und genossen hat, kommt einem das Gewese um die teuren Pullen eh nur albern vor. Wenn ich Dir aus beiden Genres etwas empfehlen dürfte, dann vielleicht als Schmankerln Bulgakov, Der Meister und Margeritha, und dazu ein paar Flaschen Bricco del Uccelone, so sechs Jahre alt sollten sie allerdings schon sein, damit der Barrique-Geschmack sich ein wenig verflüchtigt.....
Prost!
Mathias Bigge