Rolf Rost: Goethe hilft

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Am 26. August 1831 traf Goethe im Gasthof zum Löwen hier in Ilmenau ein. Der reinste, von Wolken ungetrübte Himmel gewährte die trefflichste Witterung.

Seine Feude war groß, die hiesige Gegend, die er seit dreißig Jahren nicht wieder besucht hatte wiederzusehen. Nach mehreren Erkundigungen fragte er dann, ob man wohl bequem zu Wagen auf den Kickelhahn fahren könne: er wünsche, das auf dem Kickelhahn befindliche, ihm von früherer Zeit her bekannte Jagdhäuschen zu sehen, und dass ich ihn auf dieser Fahrt begleiten möge.

Also fuhren wir bei heitersten Wetter auf der Waldstraße über Gabelbach. Ganz bequem waren wir so bis auf den höchsten Punkt des Kickelhahns angelangt, als er ausstieg, sich erst an der herrlichen Aussicht ergötzte, dann über die herrliche Waldung freute und dabei ausrief:

Ach, hätte doch dieses Schöne mein guter Großherzog Karl August noch einmal sehen können!<

  • Hierauf sagte er: >Das kleine Waldhaus muss hier in der Nähe sein. Ich kann zu Fuß dahin gehen, und die Chaise soll hier solange warten, bis wir zurückkommen.<

Wirklich schritt er rüstig durch die auf der Kuppe des Berges ziemlich hochstehenden Heidelbeersträucher hindurch bis zu dem wohlbekannten zweistöckigen Jagdhause, welches aus Zimmerholz und Bretterschlag besteht.

Eine steile Treppe führt in den oberen Teil desselben; ich erbot mich, ihn zu führen; er aber lehnte es ab, mit jugendlicher Munterkeit, ob er tags darauf seinen 82. Geburtstag feierte, mit den Worten:

Glauben Sie ja nicht, dass ich die Treppe nicht steigen könnte; das geht mit mir noch recht gut.<

Beim Eintritt in das obere Zimmer sagte er:

Ich habe in früherer Zeit in dieser Stube im Zimmer acht Tage gewohnt und damals einen kleine Vers hier an die Wand geschrieben. Wohl möchte ich diesen Vers nochmals sehen, und wenn der Tag darunter vermerkt ist, an welchem es geschenen, so haben Sie die Güte, mir solchen aufzuzeichnen!<

Sogleich führte ich ihn an das südliche Fenster der Stube, an welchem links mit Bleistift geschrieben steht:

Über allen Gipfeln
ist Ruh',
in allen Wipfeln
spürest du
kaum einen Hauch;
die Vögel schweigen im Walde,
warte nur, balde
ruhest du auch.

D. 7. September 1780
Goethe

Goethe überlas diese wenigen Verse, und Tränen flossen über seine Wangen. Ganz langsam zog er sein schneeweißes Taschentuch aus dem dunkelbraunen Tuchrock, trocknete sich die Tränen und sprach in sanftem, wehmütigen Ton:

Ja, warte nur, bald ruhest du auch!<

Schwieg eine halbe Minute, sah nochmals durch das Fenster in den düsteren Fichtenwald und wendete sich darauf zu mir mit den Wortern:

Nun wollen wir gehen!<

nach Aufzeichnungen des Berginspektors J. Chr. Mahr
            Ilmenau von 27. August 1831

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Persönliche Anmerkungen:

Der Kickelhahn - das war für mich der 'Berg der Berge' in meiner alten Heimat Thüringen und dem Thüringer Wald - dem Gebirge was mein Vater so geliebt hat. Ich kenn' jeden Hückel dort, meine Liebe zum Thüringer Wald hab ich natürlich von meinem Vater.

Ilmenau, Gabelbach, Kickelhahn - Das steht bei mir für Liebe, Liebe zu Heimat, zu den Klassikern und zur deutschen Sprache, aber auch für Vergänglichkeit der menschlichen Seele.

Steige hinauf auf den Kickelhahn, erfreue Dich der erhabenen Sicht über rund 1.000 Ortschaften bis hin zum Brocken im Harz und lasse diesen Eindruck auf dich einwirken.

Und Du wirst sehen, dass Deine Freunde, auch wenn sie nicht mehr unter den Lebenden weilen, letztendlich doch alle bei Dir sind in dem 'Kindergarten' der sich da vor Deinen Füßen ausbreitet (Fröbel).

Gruss, Rolf