molily: Wo ist die Crux?

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Hallo,

Barrieren zu reduzieren hat unheimlich viele Facetten, die sich teilweise gegenseitig behindern. Der ganz einfache Grund ist dass es verschiedene Barrieren fuer verschiedene Leute gibt. (...) Wie von Uschi und mir ausgefuehrt gibt es Leute die weitaus einfacher mit Bildern als mit Texten klarkommen. Das wiederum erzeugt einen gewissen Konflikt mit der Zugaenglichkeit fuer Blinde.

Ich halte die Schwere dieser Konflikte und Widersprüche nach wie vor theoretisch konstruiert. In der Praxis, insbesondere wenn die durchschnittlichen Städte-Websites betrachtet werden, kommen solche Dilemmata eher selten auf. Dass es sie prinzipiell gibt, ist natürlich unstrittig. In den konkreten Situationen findet sich meist durchaus ein halbwegs brauchbarer Kompromiss (so faul er auch manchmal scheinen mag).

Dann gibt es Leute die eigentlich gut lesen koennen, aber Probleme damit haben bestimmte Formen von Texten zu lesen, da sie den Zeilen nur schwer folgen koennen. Dazu duerften z.B. Wahsaga's Seite gehoeren: Die Texte sind komplett klein geschrieben und der Text ist mit justify positioniert. Durch die Benutzung von Justify ergeben sich unterschiedlich lange Zwischenraeume zwischen den Worten, was wohl fuer bestimmte Leute Probleme bereitet. Von dem Hintergrundbild mal ganz abgesehen.

Klar, da kann man, genauso wie bei der Problematik der unzähligen Einschränkungen der Sehfähigkeit, letztlich nur zu Alternativ-Stylesheets und ähnlichen Anpassungsmöglichkeiten raten. Zuverlässige realisierbare Strategien, um solche Barrieren zu vermeiden, gibt es nicht. Es wäre immerhin schon viel erreicht, wenn sich die Webmaster überhaupt dieser Probleme bewusst werden würden.

Hab mir auch die Verordnung/Richtlinien dazu durchgelesen und verstehe nicht, warum manche ein Problem (Kosten!) haben, barrierefreie Seiten zu erstellen.

Weil es eben so kompliziert ist und nicht so mal eben mit ein bisschem validen HTML getan ist.

Und wie Uschi schrieb, viele Websites die vor 2-3 Jahren geschrieben wurden (unter anderem mit Netscape 4 im Hinterkopf) waren damals Stand der Technik. Die alle komplett neu zu schreiben kostet einiges an Geld. Es geht nicht um neue Seiten, sondern um gewachsene und bestehende Seiten.

Da stellst du m.E. Zusammenhänge dar, die nicht existieren. Auch vor drei Jahren war es möglich, die damaligen WAI-Empfehlungen umzusetzen - so gut, wie es die Browserverhältnisse zuließen. Dass sich die Accessibility-Diskussion damals um andere Schwerpunkte drehte, ist zweifellos wahr. Doch wenn man damals auf einige grundlegende Sachverhalte Rücksicht genommen hätte, die heute immer noch Grundlage einer zugänglichen Seite sind, dann wäre der Bestand heute zwar nicht gemäß aktuellen Ansprüchen zugänglich, aber die bestehenden Seiten würden eine halbwegs solide Grundlage darstellen. Und das Know-How wäre vorhanden, weil sich die Webmaster langsam in das Thema eingearbeitet hätten und in den Änderungen der letzten Jahre nach und nach die Barrierefreiheit hätten berücksichtigen können. Und in den letzten drei Jahren sind ohne Zweifel viele Webangebote ausgebaut und erweitert worden. Es ging also durchaus die ganze Zeit um neue Seiten.

Es passierte nichts, das »Gewachsene« kann daher meist nicht im Hinblick auf Zugänglichkeit umgebaut werden, sondern müsste von Grund auf konzeptionell erneuert werden. Freilich, das geht ins Geld. Doch das ist schlicht und ergreifend ein Versäumnis der Städte und Gemeinden, das sie jetzt nicht als Argument gegen gesetzliche Regelungen aus dem Hut zaubern können, die sich seit Jahren ankündigen.

Die Auffassung »barrierefreie Seiten zu schreiben ist nicht nur hochkompliziert und daher teuer, sondern auch letztlich unmöglich« hätte die besagte Pressemitteilung des NRW-Städtebundes wunderbar heranziehen können, um damit deren Ablehnung zu begründen (»...daher lassen wir es gleich«). (Allerdings erreicht deren Auseinandersetzung mit dem Thema erst gar nicht das Niveau, die verschiedenen Anforderungen an eine barrierefreie Seite zu kritisieren - diese Problematik ist den Accessibility-Engagierten sowieso geläufig und wurde meiner Wahrnehmung nach schon immer problematisiert.) Es würde leider wunderbar in deren Reihe von vorgeschobenen Argumenten passen, um das Gesetz zu diskreditieren.

Nichts gegen das Argument, dass kein Geld da sei. Das mag sein, doch selbst aus rein wirtschaftlichen Gründen wäre ein früher Einstieg eine lohnende Investition mit Weitblick gewesen. Die Logik, seit Jahren über zu hohe Kosten zu klagen, währenddessen weiter unzugängliche Seiten zu schreiben und heute aufgrund der Unmenge an solchen Seiten über den Kostenaufwand bei der sowieso unausweichlichen Umstellung zu klagen, ist in sich selbst widersprüchlich und alles andere als wirtschaftlich gedacht.

Mathias