Port!
Wie gesagt - entweder, die Zivis sind im Prinzip unnütz - dann gibt es
keinen Grund, dafür junge Männer ihrer Lebenszeit zu berauben, dass sie
Arbeit leisten, die man ersatzlos streichen kann.
Mal kurz auf das »Lebenszeit berauben« eingeschossen:
Ich bin da zwiegespaltener Meinung. »Im Prinzip« stimme ich der generellen
Unrechtmäßigkeit von Zwangsdiensten vor. Der Artikel über Wehr und Zivildienst
hat nicht umsonst die Nummer 12a. Zum anderen halte ich aber den von Dir
anscheinend etwas belächelte Zugewinn an Sozialkompetenz im Zivildienst,
etwas hochtrabender ausgedrückt: Persönlichkeitformung für sehr wesentlich.
Ich habe da keine Studien zu, nur meine eigene Erfahrung und den Austausch
mit anderen ehemaligen Zivis, zumindest mit denen, die keinen Hausmeisterjob
oder »Wattwürmer im Naturschutzgebiet zählen« gemacht haben. Der Konsens ist
zumeist, daß diese Zeit ihnen sehr viel gebracht hat. Einige sind dadurch
auch von ihren vorherigen Zukunftsplänen abgekommen und in sozialen Berufen
gelandet.
Natürlich, das Freiwillige Soziale Jahr und ähnliches könnte da eine
Lösung für sein, diesmal endlich auch geschlechterunabhängig (Nein, ich
glaube nicht wirklich an Sozialkompetenzmonster ;). Allerdings: Wieviele
nehmen einen freiwilligen Verzicht eines Jahres »der Karriere« wahr?
Diesen grundlegenden Widerspruch, zwischen Ächtung von Zwangsdiensten zum
einen und der vorteilhaften Erfahrung des Zivildienstes habe ich für mich
in den vier Jahren seit meines Zivildienstes immer noch nicht auflösen
können. Ich stehe mit jeweils einem Bein in beiden Lagern.
Oder aber, die Arbeit ist wichtig und sinnvoll - dann muss vorgeschrieben
werden, dass die Patienten Anspruch darauf haben und dass dafür Personal
bereitzustellen ist.
Ich sehe da nicht zwangsläufig einen Sprung von »wichtig und sinnvoll« zu
»muß vorgeschrieben werden«. Ich muß mal wieder auf meinen eigenen
Zivildienst im Alten-/Pflegeheim zurückgreifen. Von den fünf Zivis, die
wir zu meiner Zeit in dem einen Haus des Heimes noch waren, gibt es keinen
mehr, die Stellen sind gestrichen. Aber: »Es funktioniert«. Die
grundlegenden Bedürfnisse sind gedeckt, die Arbeitsbereiche Pflege,
Hauswirtschaft, Verwaltung klappen alle noch. Platt ausgedrückt: Man hat zu
essen, man kann scheißen und liegt nicht in der eigenen Scheiße rum. Braucht
man mehr?
Die Zahl eingesetzten Arbeitskräfte in der Pflege hängen auch zu großem
Teil von den Pflegestufen der Bewohner des Altenheims ab. Es gibt einen
detaillierten Schlüssel, in dem steht wie lange man für diese und jene
Tätigkeit in der Grundpflege zu brauchen hat, Waschen soundsoviel Minuten,
Zähneputzen soundsoviel Minuten, Rasieren soundsoviel Minuten. Danach
berechnet sich die Zahl der eingesetzten Pflegekräfte, wonach auch sonst.
Pflege ist schließlich ihre Aufgabe. Das Resultat ist, daß die Pflege
außer für die Pflege keine Zeit mehr hat. Über den ganzen Tag beobachtet
gehören Pfleger zu den gestressteten und hektischsten Menschen, die ich
ich kennen gelernt habe. Eben hier noch bei Frau X nach der Magensonde
gucken, eben noch Frau Y füttern, eben noch Frau Z waschen. Und das mehr?
Für die Bewohnerbetreuung ist der Soziale Dienst zuständig. Ansprechpartner
sein, evtl. beim Papierkram mit den Behörden helfen aber vor allem Angebote
für die Bewohner, Kochgruppe, Bastelgruppe, Marktfahrt, all sowas. In meinem
Heim war der Soziale Dienst auch noch für die neuen Aufnahmen zuständig,
sehr viel Papierkram. Zu meiner Zeit [tm] bestand der Soziale Dienst der
beiden Häuser (insgesamt 120 Bewohner) aus zwei Vollzeitkräften, zwei
Teilzeitkräften und einem Zivi (ich). Heute ist es nur noch eine Vollzeitkraft,
eine Teilzeitkraft, kein Zivi. Dazu kommt, daß der (notwendige) Papierkram
sehr viel größer geworden ist. Der Soziale Dienst ist etwas, daß man eher
leichter streichen kann als notwendige Pflege oder den Koch. Was dann auf
der Strecke bleibt sind die Betreuungsangebote. Es wird versucht, diese
Lücke mit Ehrenamtlichen und Honorarkräften zu füllen. Aber das ersetzt
zum einen nicht die Betreuungsangebote durch entsprechend ausgebildete
Fachkräfte für die geistig nicht so Fitten. Und jemand, der einmal pro
Woche nur für seine Bastelgruppe vorbeikommt, ersetzt auch nicht wirklich
jemanden, der andauernd da ist. Und damit komme ich jetzt endlich mal zum
»Mehr«. (Ich schreibe wieder zu viel..)
Der Zivildienst besteht naturgemäß (Logisch: Unqualifizierte Arbeitskräfte)
aus Massen von Routinearbeiten, die auch ein dressierter Affe erledigen
könnte. (Wäsche sortieren, Betten waschen, Tische decken, Chipkarten zum
Arzt bringen, Rezepte abholen und zur Apotheke bringen, jmd. füttern,
Stuhlproben durch die Gegend chauffieren, Kopieren, etcetera, etcetera).
Dazwischen gab es »zu unserer Zeit« immer noch Zeitlücken. Wir Zivis waren
weniger gestresst als die reguläre Arbeitskräfte. Wir hatten »auch mal Zeit«.
Klar, Zivis sind keine Engel und oft wurden diese Minipausen auch für
anderes, eigennützigeres genutzt. Den Zivi, der es nicht schafft, kleine
Verschnaufspausen zwischendurch freizuschaufeln oder mit den anderen
Mitzivis mal eben im Hausmeisterkeller ein Bierchen trinken geht, muß man
mir noch zeigen.
Aber oft genug wurde sowas auch für die Bewohner genutzt. Mein Vorgänger
hat das mal betrunken in einem gefälschten Radiointerview wunderbar platt
ausgedrückt: »Wenn das Wetter schön ist, schieben wir die Leute nach draußen.
Sofern sie einen Rollstuhl haben.« Es geht hier weniger um irgendwelche
geplante Betreuung sondern eher um die ungeplante, das »Mehr« an sozialem
Kontakt. Einfach nur da sein. Wenn Herr M. aus dem zweiten Stock runter kommt
und sich einfach nur unterhalten will, sei es die ewige Geschichte über
seine Schwester, die irgendwo seinen Ferrari eingelagert hat oder sei es
wieder über die »Geier aus der Verwaltung«, die ihm kein Taschengeld
geben wollen, so daß er kein Geld mehr für Zigaretten hat. Herrn Z.
beruhigen, wenn er, geistig sehr verwirrt, nachmittags wieder die Gänge
entlangstreicht, gegen die Türen schlägt, schreit und alle erschrickt.
Oder sich einfach mal zu Frau H. setzen und sich mit ihr unterhalten, und
wenn es wieder über ihren Katheder ist.
Wir Zivis waren noch diejenigen, die am ehesten Zeit für sowas zwischendurch
hatten. Pflege war im Stress, auch wenn viele sich zwischendurch Zeit
abgeknappst haben, manchmal auch unbezahlte Überstunden gemacht haben.
Leute, die, obwohl sie dienstfrei hatten, auch an Heiligabend in ihrer
Freizeit noch mal eben kurz auf der Weihnachtsfeier ihrer Etage vorbei
geguckt habe. (Und natürlich gibt es auch viele zynische Arschlöcher, wie
überall). Zivis, eben weil mit unterqualifizierten Dingen beschäftigt,
eben weil nur 13/11/10 Monate dabei haben da schon für ein »Mehr« gesorgt.
Und ich bezweifele, ob man dieses »Mehr« einfach streng ökonomisch
beurteilen kann, ob es notwendig ist. Es ist ein Faktor der Lebensqualität,
es ist wichtig und sinnvoll, aber ist es auch notwendig, so daß es vorgeschrieben
werden muß? Oder anders: Ist es etwas, daß unsere Gesellschaft sich leisten
kann und vor allem will? Im Moment sieht es nicht so aus. Ich finde das
schade.
Tim
--
Der Titel zu diesem Posting ist ein Zitat aus diesem oben erwähnten im
betrunkenen Zustand entstandenem Interview. Und es wird auf keinen Fall das
Licht der Öffentlichkeit erblicken, weil ich darin auch eine Menge dummer
Dinge erzähle. ;o)