Hi wahsaga,
Mein Sportunterricht begann damals mit Aufstellen in Reih und Glied. Wenn dann die Klasse formiert war, kam der Befehl: "Rechts um, Laufschritt!" In den 60er Jahren *g*
das machen die beim bund vermutlich heute noch - verdammte nazis!!!
(oder wozu bitte sollte diese beispiel dienen ...?)
Meinst Du nicht, dass es in einer Schule etwas weniger militärisch zugehen sollte als beim Heer? Für mich war es der Ausdruck einer bestimmten Mentalität, nicht der Beweis, dass mein Sportlehrer Nazi war. Über solche Dinge sind Spuren der komplett militarisierten Nazi-Erziehung in unsere Generation herübergekommen, ohne dass wir das verstanden hätten. Aber eins kann ich Dir sagen: Ich habe den Kasernenhofton in unserer Schule damals wirklich gehasst.
Der Lehrer, von dem ich spreche, war 38 eingezogen worden, in Stalingrad gefangen worden und erst in den 50er Jahren zurückgekommen. Eigenartigerweise hatte er für sich nicht die Lehre daraus gezogen, alles Militärische kritisch zu sehen, was ja durchaus möglich gewesen wäre, denn er hatte neben dem brutalen Russlandfeldzug der Nazis auch den Stalinismus und dessen militärischen Unterdrückungsapparat kennengelernt. Das Gegenteil war der Fall, er sah das Militärische als das an, was ihm durch Disziplin das Leben gerettet hatte.
Im Grunde war er wie viele andere traumatisiert, in einer stillen Stunde hat er uns mal erzählt, er höre nachts im Traum immer wieder das Geräusch der Köpfe toter Kameraden, die auf die Treppenstufen schlugen, wenn sie im Häuserkampf weggezerrt wurden. Bei einer Klassenfahrt nach London erlebten wir in der U-Bahn einen Bombenanschlag der IRA mit, von uns wurde niemand verletzt, aber unser Lehrer und seine Frau waren lange wie in Trance, sie murmelte immer wieder: "Jetzt kommen wieder die Bomben!"
Wir Kinder sahen die Spuren, spielten in den Ruinen, damals in Dortmund noch ganze Häuserblocks, haben aber nicht die Bohne kapiert, es wurde uns auch nicht viel dazu gesagt. Unsere älteren Lehrer hatten doch das alles als Mitglieder der NSDAP erlebt, hatten den Ausschluss und den Abtransport der jüdischen Schüler gesehen, die jüngeren waren im Krieg, meist als Offiziere, viele nicht lange aus der Gefangenschaft zurück, einige verstümmelt. Dennoch wurde nie mit uns darüber gesprochen.
Ich unterstelle den meisten, dass sie nicht die geringste Sympathie für Krieg und Faschismus mehr hatten, es fehlte aber jedes offene Gespräch, obwohl die Spuren doch allzu sichbar waren. Und viele Einstellungen zu den Jugendlichen waren nicht direkt faschistisch aber doch von militärischen Ordnungsvorstellungen und einer ziemlichen Härte geprägt. Beispiel: Von den 48 hoffnungsfrohen Schülern unserer Sexta haben gerade 12 Abitur gemacht. Es wurde immer wieder selektiv geschlagen oder gemobbt - wenn kein Ärger von hochgestellten Eltern zu erwarten war.
Es ist vielleicht heute schwer nachzuvolllziehen, aber NS-Zeit und Krieg waren in meiner Kindheit stetig gegenwärtig, es wurde aber nicht wirklich darüber gesprochen. Diese kollektive Verdrängung der Realität finde ich im Nachhinein irritierend, mehr wollte ich nicht sagen.
Viele Grüße
Mathias Bigge