Hi Richard,
Im Sinne der philosophischen Glaubensrichtung des "Konstruktivismus".
Ein breiter Strom mit vielen Verästelungen, meine ich.
Die Schwierigkeit bei der systemtheoretischen Betrachtungsweise ist aber gerade das jeweilige Abgrenzen von System und Systemumwelt.
Wobei Luhmann unterstellt, dass diese Kerndifferenzierung vom System immer wieder neu kommunikativ geleistet werden muss, zumindest bei komplexen Systemen, die vielfach mit ihrer Umwelt verzahnt ist. Mir erscheint dies in vielen Fällen nachvollziehbar, vor allem bei komplexen Systemen, die immer neue funktionale Untersysteme ausdifferenzieren. Es handele sich ja nicht um eine feste Grenze, sondern um ein Kernproblem des Systems, auf immer neue Anforderung aus der zunehmend komplexen Umwelt zu reagieren. Luhmann versucht also die Systemdefinition nicht als rein analytische Grenzziehung von außen zu fassen, sondern als Systemleistung.
Ich kenne dieses Problem und seine Folgen besser aus strukturalistischen Untersuchungen, die die jeweils untersuchten Systeme und ihre Grenzen weniger dynamisch sehen. Dennoch geht es auch dort immer wieder um ähnliche Probleme wie bei der Systemtheorie. Mir gefällt an Luhmanns Ansatz, dass er nicht blind auf vorgegebene Systemgrenzen vertraut, sondern diese als dynamischen Untersuchungsgegenstand zu fassen versucht.
Damit wird Komplexität reduziert um den Preis einer Verfremdung der Wirklichkeit. Die gewonnenen Erkenntnisse sind dann von der jeweils gewählten Systemabgrenzung abhängig. Die Familienverhältnisse eines Schülers können einmal Teil des betrachteten Systems sein, einmal aber der Systemumwelt angehören, das kann nunmal nicht ohne Einfluss auf die gewonnene Erkenntnis bleiben.
In der Schule werden diese Grenzen aber tatsächlich dauernd thematisiert und sehr weitgehend geregelt. Tatsächlich verändert sich die Lage, je nachdem wieweit Eltern in das Schulsystem einbezogen werden.
In der Unterrichtsinteraktion findet immer mehr statt als das triviale Frage-Antwort oder Aufgabe-Lösungsspiel und tatsächlich gibt es schon auf dieser Ebene Komplikationen.
Volle Zustimmung. Aber gerade dieser Umstand ist mit den Methoden der Systemtheorie so schwer erfassbar. Wird er in die Systemumwelt verbannt, wird er aus der Betrachtung ausgeklammert, bleibt er im System, wird dieses zu komplex.
Durch die Systembildung wird Komplexität immer zugleich reduziert und erweitert. Jedes neue Subsystem erhöht die Umweltkomplexität aller anderen Systeme. Das Verhältnis von System und komplexer Umwelt wird von Luhmann dialektisch gedacht - mit den zu erwartenden Folgeschwierigkeiten. Dennoch überzeugt mich der Ansatz in dieser Hinsicht, da ich beides für beobachtbar halte:
1. Die Systembildung oder -differenzierung in der Absicht Komplexität zu reduzieren.
2. Die Notwendigkeit, die wachsend komplexe Umwelt immer wieder neu in das System einzubauen, etwa durch Bildung entsprechender Strukturen oder Regularien.
... die Frage ist, inwieweit hier die Unterscheidung zwischen trivialen und nichttrivialen Maschinen eine Hilfe bieten kann. Ich meine keine nennenswerte, würde mich aber ganz gern vom Gegenteil überzeugen lassen.
Es ist ja in Bezug auf Pädagogik eher eine Nebenbemerkung, die ich dennoch als Lehrer anregend finde: Wo werde ich selbst in dieser Richtung tätig, wo werde ich selber zum Gegenstand dieser Bemühungen? Wie verarbeiten die Schüler den Überschuss, wie tue ich das selbst?
Die Systemtheorie legt den Finger in diese Wunde, aber nicht aus der Perspektive des Kritikers, der bestehende Zustände ändern will, sondern aus der Perspektive des Beobachters, der Mechanismen nachgeht.
Das ist wohl der wesentlichste Punkt meiner Kritik. Zunächst einmal ist die Funktion eines aussenstehenden, neutralen, sachlichen Beobachters sehr fragwürdig und eigentlich unerfüllbar.
Ich glaube nicht, dass Luhmann diese Position für sich postuliert. Die Position des Beobachters unterschiedet sich dennoch in einigen Punkten von der Selbstbeobachtung des Systems:
1. Die wissenschaftliche Analyse greift die Selbstbeschreibungen des Systems auf und ist in gewisser Weise von ihr abhängig. Es gibt da also so etwas wie die historisch mögliche Erkenntnis, interessante Frage, wie sich das zu Hegel und Marx verhält.
2. Der Wissenschaftler ist Teil des wissenschaftlichen Systems und folgt daher anderen Spuren und Interessen als der systemangehörige Beobachter.
3. Der Wissenschaftler muss, ideal gedacht, nicht interessengebunden an Sinnkonstruktionen des Systems teilnehmen. Aus dieser Perspektive kann Soziologie aufklärerisch wirken.
Es handelt sich also nicht mehr um ein _beobachtetes_, sondern um ein _beobachtendes_ System. Mir ist reichlich unklar, wie ein Beobachter zugleich sachlich und neutral beobachten und gleichzeitig funktionaler Teil des Systems sein kann.
Dazu habe ich oben schon etwas geschrieben. Die Beziehung zwischen stetig erneuerter Selbstbeschreibung in selbstreferentiellen sozialen Systemen und den verschiedenen Außenperspektiven ist dennoch interessant.
In dem er aber aufgedeckt wird, verliert er seine Heimlichkeit und wird für Schüler _und_ Lehrer einsichtig.
Richtig. Die Frage ist, ob man damit den Fallen der paradoxen pädagogischen Situation entkommen kann, oder notwendig diesem Irrtum immer wieder neu aufsitzen _muss_.
... welche Vorhersagen und welche Einflussnahmen sind möglich?
Diese Frage kann man natürlich an jede Untersuchungsmethode stellen. Sciher ist die systemtheoretische Beschreibung nur ein Ansatz unter vielen, sie stellt für mich _eine_ Möglichkeit dar, einen objektiveren Standpunkt und vielleicht ein wenig Gelassenheit gegenüber den in sich selbst rotierenden Reformdebatten und SInndiskussionen zu entwickeln.
Wenn die Schule als System in Beziehung zu anderen Systemen und innerhalb von umfassenden Umsystemen verstanden wird, funktioniert das mit dem kausalen Denken der Pädagogik nicht mehr, was dann zunächst einmal verkraftet werden muss.
Ja, das ist vielleicht eine entscheidende Frage der konstruktivistischen Ansätze an die Pädagogik: Sind die intentionalen Vorstellungen von Wissensvermittlung nicht notwendig falsche Selbstbeschreibungen von Pädagogen? Das erfasst eine ganze Reihe von Begriffen des pädagogischen Diskurses, etwa "Motiv" und "Motivation", die weniger als pädagogisch vermittelte oder vom Subjekt erzeugte Ursachen für das Engagement in Lernprozessen erscheinen, sondern nüchtern als sozial akzeptierte Handlungsbeschreibungen ex post, die die wahren Motive weitgehend außer Acht lassen.
Die GPI
Danke für die Darstellung! So ganz kriege ich Deine Kritik an der Kybernetik und am Konstruktivismus und Dein Engagement in diesem Kreis noch nicht zusammen. Was fasziniert Dich an diesen Kontexten?
Viele Grüße
Mathias Bigge