Alexander (HH): Wie viel kostet EDV-Support?

Beitrag lesen

Moin Moin!

Ich habe mal vor kurzem ein Angebot bekommen in einem kleinen Unternehmen (unter 10 Personen) als EDV-Support tätig zu werden. Ich kann gerne von Zuhause arbeiten (Teamviewer, LogmeIn etc.) aber ich muss vielleicht ab und an vor Ort da sein, um zum Beispiel Hardware einzurichten etc. Der Unternehmen-Sitz ist 500 Km weg von mir und ich muss mich entscheiden, ob ich zusage oder nicht.

Ganz ehrlich? Ein IT-Supporter, der von zuhause arbeitet, ist kein IT-Supporter. Der Job des IT-Supporters ist, Probleme vor Ort zu lösen. Die typischen Layer-8-Probleme kann man in aller Regel per VNC und Telefon lösen, aber auf den Layern darunter hast Du verloren, wenn Du nicht vor Ort bist. Ganz ernst gefragt: Welches Unternehmen ist bereit, einen Tag auf die Anreise des IT-Supporters zu warten, wenn die Hardware vor Ort ausfällt? Die typische ertragbare Wartezeit dürfte eher im Bereich von Minuten liegen, d.h. es muß jemand vor Ort sein. Oder will das Unternehmen auch noch eine sprachgesteuerte Drohne (auch bekannt als Praktikant) parallel einstellen, die du per Telefon fernsteuerst?

Und was ist mit Reisezeiten und Fahrtkosten, wenn Du wirklich mal vor Ort sein mußt? Mit dem Auto bist Du mindestens einen halben Arbeitstag unterwegs. Üblicherweise gilt das Motto "Reisezeit ist Freizeit", d.h. mit An- und Abreise fehlt Dir jedes mal ein ganzer Arbeitstag. Mit dem Flugzeug wirst Du auch wohl mindestens drei Stunden unterwegs sein, davon max. 1 h in der Luft, den Rest am Flughafen und auf dem Weg vom/zum Flughafen. Also auch nicht besser. Wer zahlt die Kosten dafür? In der Regel der Arbeitgeber, es sei denn, Du willst Dich auf eine Scheinselbständigkeit einlassen. Egal wie, das ist zu teuer. IT-Supporter sind vor allem billig, genau deswegen werden sie auch so gerne nach Indien outgesourced. Kein vernünftig rechnender Unternehmer würde einen hochqualifizierten Informatiker als reinen Supporter einstellen, und kein vernünftiger Unternehmer würde dir ein paar mal im Monat Flugtickets quer durch Deutschland (oder entsprechende Reisekosten) finanzieren.

Irgendetwas stimmt hier also nicht. Was könnte das sein?

* Dein Job wesentlich qualifizierter als nur IT-Support, entsprechend kommt mehr Kohle rüber, und die Reisekosten fallen kaum noch ins Gewicht. Das paßt nicht zu Deiner Aussage, keine Ahnung vom Support zu haben.
* Ich habe unterstellt, Du würdest angestellt, aber in Wirklichkeit arbeitest Du als Scheinselbständiger. D.h. die Reisekosten bleiben an Dir hängen, und Dein Auftraggeber wird darauf bestehen, dass Du den ganzen Arbeitstag zur Verfügung stehst. Das bedeutet: Viele Ausgaben, wenig Einnahmen, Reisen bei Nacht, Selbstausbeutung bis zum Zusammenbruch oder zur Pleite.
* Das Unternehmen hat zu viel Geld und muß es dringend loswerden, z.B. an Dich. Wenn Du das glaubst, glaubst Du garantiert auch an Weihnachtsmann, Osterhase, Yeti, UFOs, sichere Renten, Hasenpfoten, und so ziemlich jeden anderen Scheiß, den man Dir erzählt.
* Deine zukünftigen Kollegen sind IT-mäßig so fit, dass sie ihre Probleme vor Ort selbst lösen können. Was wäre dann Dein Job?
* Dein Arbeitgeber / Auftraggeber kann nicht rechnen. Das kommt vor, relativ oft sogar. Das führt aber leider dazu, dass das Unternehmen in aller Regel nicht sehr lange existiert. Auch wenn die Arbeitsbedingungen phantastisch sind, macht es auf lange Sicht keinen Spaß, wenn chronisch Gehaltsschecks platzen und ständig der Gerichtsvollzieher und Geldgeber wie Könige durchs Haus wandeln.
* Du kannst (als Scheinselbständiger) nicht rechnen. Siehe unten. Auch das kommt bei Unternehmensgründern immer wieder vor, viel zu oft. Privatinsolvenzen kommen nicht nur aus Handy-Verträgen.

Nimm Dir einen Stapel Papier und einen Taschenrechner, und schreib auf, was Du im Monat durchschnittlich an Geld brauchst. Wohnung, Nebenkosten, Essen und Trinken, Benzin, Monatskarte, Telefon, Internet, Handy, Rente(!!!), Krankenversicherung(!!!), Haftpflichtversicherung(!!!), Reparaturen, Kredite, anteilig Hardware, anteilig Software, usw. Das ist das absolut lebensnotwendige Minimum, dass Du unbedingt unter allen Umständen jeden Monat einnehmen mußt. Wenn Du das nicht für jeden Monat garantieren kannst, brauchst Du für die guten Monate ein ausreichendes Polster, mit dem Du die schlechten Monate überbrücken kannst. Dann brauchst Du Rücklagen für schlechte Zeiten. Und Du willst ja auch noch etwas mit dem Job verdienen. Dann kommt noch der Staat und sammelt von Dir Steuern ein, für Einkommen, Kfz, Umsatz, Habenzinsen (höhö!), und tausend andere Dinge. Und diese Summe ist das Minimum, das Du wirklich einnehmen mußt. Wenn Du Reisekosten in Deinen Arbeitspreis einschließen willst, statt sie an den Auftraggeber direkt durchzureichen, müssen sie hier auch noch dazu. Teil diese Summe durch die Anzahl der Stunden, die Du ernsthaft bereit bist, im Monat zu arbeiten. Vergiß den Anteil für Urlaub und Freizeit nicht! Niemand kann jahrelang nur schlafen und mit 200% Leistung arbeiten. Wenn Dir nichts besseres einfällt, nimm 40h/Woche. Dann stellst Du fest, dass Dir niemand einen derart hohen Stundensatz zahlen wird. Und dann mach bitte nicht den Fehler, das finanzielle Minimum oder die Freizeit irgendwie wegdiskutieren zu wollen. Drehe die Arbeitsstunden hoch bis zu Deiner Schmerzgrenze, so ca. 80h/Woche. Wie sieht der Stundensatz dann aus? Immer noch zu hoch? Dann lebst Du über Deine Verhältnisse oder bist unterqualifiziert oder kennst die Marktpreise für Deine Leistung nicht.

Wenn Du mit dem Zahlenwerk zufrieden bist, dann stelle es Deiner Familie vor und frage sie nach ihrer ehrlichen Meinung, insbesondere was das zur Verfügung stehende Geld und die knappe Freizeit angeht. Wenn Du den Test bestanden hast, frage ein oder zwei Experten. Steuerberater machen oft auch Existenzgründungen, da ist also Erfahrung vorhanden. Vermutlich wird Dir der Experte noch einige Lücken in Deinen Zahlen aufzeigen und Dir die rosarote Brille abnehmen. Wenn nicht, ist mit dem Experten etwas faul und Du solltest Dir einen anderen Experten suchen, denn es ist sehr unwahrscheinlich, dass Du das Zahlenwerk auf Anhieb vollständig und richtig hinbekommst.

Alexander

--
Today I will gladly share my knowledge and experience, for there are no sweeter words than "I told you so".