Alexander (HH): Nutzung von Javascript?

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Moin Moin!

das klingt für mich ein wenig wie wenn ich jemand angegriffen hätte. Das war natürlich nicht worum es mir ging.

Nö, so kam das nicht an.

Meine Vorstellung war einfach diejenige dass ein Screenreader einfach eine Art Browser ist mit dem man im Internet unterwegs sein kann und der einem die Texte vorliest damit man navigieren kann. Und dass Javascriptbestandteile immer erst interpretiert werden müssten von der Software um dann dem Zuhörer die Möglichkeit zur Navigation zu geben.

Nicht jeder Behinderte braucht einen Screenreader. Das ist das Problem. Eine Behinderung kann sehr individuell sein, zumindest braucht man oft sehr individuell angepaßte Hilfsmittel. Manchmal reicht schon eine frei Programmierbare Kassentastatur statt einer Standard-Tastatur vom Wühltisch des nächsten Kistenschiebers. Manchmal muß es ein durch Pusten oder mit der Zungenspitze betätigter Sensor sein, mit dem man sich Zeichen für Zeichen durch einen Auswahlbaum kämpft.

Stell Dir vor, Dein Kopf funkioniert perfekt, Deine Augen funktionieren perfekt, Deine Ohren funktionieren perfekt, aber Deine Hände haben das Feingefühl und die Präzision eines Vorschlaghammers, und dazu kommen bei jeder Berührung der Hände Schmerzen.

Du wirst also einen sehr speziellen Tastaturersatz und Mausersatz benötigen, sehr wahrscheinlich mit jeder Menge vorprogrammierten Makros, um mit möglichst wenigen Berührungen auszukommen. Die Makros werden mit hoher Wahrscheinlichkeit genau dann versagen, wenn irgendein Ahnungsloser den feuchten Traum eines Designers zu einer Website verunstaltet, die mit allen Konventionen bricht.

Anderes Beispiel: Optische Wahrnehmung bei 5% eines Durchschnittsmenschen. Mit als Brille getarnten Glasbausteinen vielleicht 10%. Dazu Rot-Grün-Farbenblindheit, damit das Leben "interessanter" wird. Dein Computer wird mit 640x480 laufen, vielleicht auch mit 320x200, das auf einem Bildschirm, den sich das benachbarte Auto-Kino ausleiht, wenn der Projektor mal abraucht. Das Betriebssystem ist auf hohen Kontrast und riesige Symbole eingestellt, der Browser übernimmt davon, was er kann. Dann kommt ein Designer mit body { font-size: 6px !important } daher, weil die dämlichen Browser-Entwickler die Schrift immer viel zu groß machen. Und weil man mit neuen Farbkombinationen neue Trends setzen will, wird alles grün (#00FF00) auf rot (#FF0000) durchgestylt. Auch wenn das selbst normalsichtigen die Tränen in die Augen treibt.

Drittes Beispiel: Deine Tastatur macht in Höhe der Handballen-Ablage sehr merkwürdige Geräusche, scheint dort eine bizarre Massagefunktion für die Fingerspitzen zu haben. Dein Monitor ist total verstaubt, der Netzschalter steht seit Monaten in der Off-Position. Trotzdem surfst Du regelmäßig im Netz, chattest mit Freunden, und das Glühlampenverbot geht an Dir komplett vorbei. Hauptunterschied ist, dass Dein Computer sich nicht mit einem GUI herumquälen muß, alles läuft im Textmodus. Falls der Browser Javascript beherrscht, setzt er für window.innerWidth & Co irgendwelche Phantasiewerte ein. OnClick-Events feuern nur auf einigen Elementen, die auch der Textmode-Browser als klickwürdig einstuft.

Und natürlich ging es mir darum dass ein Shop zum Einkaufen gedacht ist und es nicht fair wäre dass jemand von der Nutzung ausgeschlossen wäre nur weil die Seite Javascript voraussetzt.

Guter Gedanke, aber er geht eigentlich nicht weit genug. Schließt Du (absichtlich oder unabsichtlich) Farbenblinde aus? Sehbehinderte, die auf eine wesentlich größere Darstellung angewiesen sind? Leute, die aufgrund ihrer feinmotorischen Einschränkungen Ziele kleiner als 30x30 Pixel kaum treffen können.

Barrierefreiheit heißt eben nicht nur, dass ein Screenreader sich aus den Pixeln auf dem Schirm Worte zusammensuchen kann. Es heißt auch zu akzeptieren, dass nicht jeder Browser und jeder Computer mit den Werkseinstellungen läuft. Und bei fünfstelligen Preisen für die "Fingermassage" heißt das auch, dass gelegentlich uralte oder exotische Software eingesetzt werden muß, weil moderne Software mit den Treibern und Hilfsprogrammen für die Hardware nicht zurecht kommt (bzw. umgekehrt die Hilfsprogramme und Treiber nicht mit der modernen Software).

Mit behindert habe ich natürlich zusammengefasst. Und war der Meinung dass dabei klar sein sollte dass es nicht um jemanden geht der zB Dialysepatient ist

Auch eine Dialyse kann dich beim Gebrauch eines Computers behindern.

sondern um diejenigen Nutzer die keine normalen Browser benutzen können. Oder nur mit zusätzlichen Einstellungen usw. Da ich von den Möglichkeiten keine komplette Vorstellung habe,

Glaub mir, ich auch nicht. Ich habe ein paar Einblicke durch Zivildienst, Bekanntenkreis und Umfeld, aber auch da habe ich bestenfalls an der Oberfläche gekratzt. Schnittstellen zwischen Leuten aus der "Behinderten-Schublade" und Computern sind ein riesiges Feld von individuellen Speziallösungen, Kleinstserien, und Baukastensystemen. Leute, die in diesem Bereich arbeiten, müssen gute Hacker im klassischen Sinn sein, die auch mal Geräte komplett zweckentfremden.

Schau einfach mal, was es z.B. bei http://www.computer-fuer-behinderte.de/ an Hilfsmitteln gibt. Sieh Dir auch mal die Preise an.

habe ich das einfach zusammengefasst und angenommen das wird auch so zugeordnet werden können.

Javascript an sich scheint ja dann offenbar kein so großes Problem zu sein. Zumindest habe ich jetzt schon oft die Meinung gelesen dass Javascript helfen würde. Dann war vermutlich nur meine Vorstellung falsch. Ich bin zwar immer noch der Meinung dass ein Shopssystem auch ohne JS funktionieren sollte aber wenn es für Screenreader usw kein Problem darstellt ist das schon mal gut. :)

Wie gesagt, Screenreader-Kompatibilität und Barrierefreiheit sind nicht deckungsgleich, sie überlappen sich nur.

Alexander

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Today I will gladly share my knowledge and experience, for there are no sweeter words than "I told you so".