Lieber molily,
bitte vergiss nicht, dass Du Dich so gründlich und aus Sicht eines Entwicklers in die Thematik eingearbeitet hast, sicherlich auch noch mit theoretischen Grundlagen der Informatik (da kenne ich mich nun überhaupt nicht aus), dass Du den Bereich "im Web publizieren" aus verschiedenen Perspektiven durchdrungen hast, angefangen bei den technischen Grundlagen der Protokolle (TCP/IP, HTTP), über die verwendeten Software (Betriebssysteme, Server, Browser), über die Semantik von Markupsprachen im Allgemeineren (SGML) und HTML in allen seinen aktuell erreichbaren Dialekten im Besonderen, bis hin zu Layout- und Scriptsprachen. Zudem hast Du reichlich Erfahrung darin, wie man Sites inhaltlich strukturiert aufbaut, und wie man auf einer Seite den Besucher taktisch am besten erreicht, indem man die Information auf der Seite nach bestimmten Kriterien aufbereitet.
Das ist ne ganze Menge ineinandergreifenden Lernstoffs! Dass Du das alles nun hast, war eine ganze Menge Arbeit, verteilt auf viele Jahre Lernarbeit. Unterschätze diese Menge nicht! Unterschätze auch nicht, dass viele der Zusammenhänge ihre Zeit gebraucht haben, bis sie aus den unterschiedlichen Perspektiven zusammenwachsen konnten. Dein Verständnis heute ist um Welten von dem entfernt, was ein Anfänger überhaupt aufnehmen und verarbeiten kann. Du selbst hast mir ja in dieser Hinsicht strukturierend unter die Arme gegriffen, als ich an meinem Fader-Artikel arbeitete. Da habe ich von Deinen Erfahrungen profitiert.
Die Funktionsweise von Browsern und Webservern ist Neulingen bekannt?
Ein Anfänger hat schonmal im Web gesurft. Wie so ein "Browser" funzt, ist ihm herzlich egal. Er muss auch nicht wissen, wie er funzt, denn die Alltagserfahrung in der Bedienung der Kiste genügt für den Anfang vollkommen. Und der Webserver ist für den Anfänger eh eine unbekannte Größe. Er weiß sicherlich, dass es soetwas gibt, und dass seine Seiten darauf zu finden sind, aber genaueres weiß er sicherlich nicht - und braucht es auch nicht! - Das ist der Wissensstand bei dem ich den Anfänger als Lehrender "abholen" muss. Aus dieser Perspektive kann ich nun weiter in die Materie einsteigen. Die Frage ist nun: Wie?
Natürlich kann ich versuchen "umfassend" zu sein, kann die Schichten, aus denen diese komplexe Materie besteht, aufzeigen und die Zusammenhänge besprechen, aber für einen Anfänger ist das in der Tat völlig irrelevant. Er will etwas tun, denn man sitzt vor den Computern und soll etwas lernen - "mit der Kiste da".
Umfassend ist aus akademischer Sicht sicherlich wünschenswert und sachlich richtig, aber pädagogisch ist es nicht; der Lernende wird nicht dort abgeholt, wo er steht. Aus didaktischer Sicht muss ich hier reduzieren. Ich muss in den Inhalten am Anfang fast schon auf das Primitivste zurückgehen, um den Einstieg zu erleichtern und Lernende zu motivieren. Dazu brauche ich ganz schnell greifbare Ergebnisse, die von einem Lernenden selbst geschaffen werden. Das ist alles andere als "umfassend", es ist eben pädagogisch/didaktisch. Aber auf dieser Basis kann ich dann weiter aufbauen. Das ist die Arbeit eines Lehrers.
»Erst HTML schreiben und schließlich Hochladen, erst dann beschäftigen wir uns mit dem Web« funktioniert daher nicht.
Doch, genau das tut es. Du darfst darauf vertrauen, dass die Kursteilnehmer bereits private Erfahrungen mit "dem Web" gemacht haben. Sie können Webseiten besuchen, können eine Suchmaschine benutzen und kommunizieren bestimmt auch via E-Mail. Wenn Du Glück hast, haben sie vielleicht sogar Erfahrungen mit sozialen Netzwerken. Mit dem Web haben sie sich also längst beschäftigt, nur vielleicht nicht mit seiner Entstehungsgeschichte, den technischen Voraussetzungen und Feinheiten, die diese internationale Verschaltung von Computern heute darstellt.
Ein Neuling will keinen Vortrag über die Entstehung der Welt
Wer hat das denn behauptet?
Das war eine absichtliche Überspitzung von mir. Mit "Enstehung der Welt" meinte ich "ARPA-Net & Co" und wie die Zusammenschaltung von Computern und die Erfindung von HTTP und HTML das "WWW" entstehen ließ.
Ein »HTML-Kurs« soll nicht allein das Schreiben von Offline-HTML-Dateien vermitteln.
Richtig. Aber damit fängt es an. Dabei wird der zentrale Inhalt des Markups und seiner hoffentlich vernünftigen (sprich "semantischen") Verwendung praktisch vermittelt. Es ist einfach so, dass der Unterschied zwischen lokal und im Web für den Anfänger zunächst egal ist! Wenn der in seinem Editor tippt, dann hat es zum Testen keinen Sinn, das Dokument jedes Mal hochzuladen, um es dann im Browser wieder herunter zu laden. Der Unterschied zwischen offline und online ist wirklich erst dann sinnvoll vermittelbar, wenn der Lernende dafür bereit ist. Und das ist er dann, wenn die Dateien "fertig" sind und schlussendlich auf den Webserver übertragen und ausprobiert werden. Erst in diesem Moment hat der Lernende einen Bezug zu diesem Aspekt der Thematik. Wir erinnern uns: Da abholen, wo er steht.
Meine Schüler brauchen keine Ahnung von Enkodierungen und HTTP zu haben, um ihre HTML-Dokumente, die im lokalen Umfeld von der Festplatte aus "funktionieren", per FTP auf einen Server hochzuladen.
Wo habe ich behauptet, dass das nötig sei?
Du hast die Bedeutung von Enkodieren und von Client-Server-Kommunikation als so wichtig dargestellt, dass Du implizit damit ausgedrückt hast, dass ein Fehlen dieser Inhalte in einem "HTML-Kurs" aus Deiner Sicht nicht gut sei. Darauf war ich mit den obigen Zeilen eingegangen.
Wie "das Web" "funktioniert",
... müssen sie spätestens dann wissen, wenn sie ein Bild, ein Stylesheet oder einen Hyperlink einbinden und das ganze auch nach dem Upload funktionieren soll.
Ja... was genau meinen wir beide wohl mit "wissen"? Wie gründlich hättest Du's denn gerne? Ich meinte, dass das Verwenden von relativen Pfaden genügt. Wer auf eine fremde Seite verweisen will, der braucht halt noch das "http://" davor. Jeder Anfänger war bisher so clever, dass er mittels copy&paste die URL der zu verlinkenden Seite aus der Browseradresszeile in seinen Editor übertragen konnte. Wie das mit den verschiedenen Adressierungsmöglichkeiten aber genau geht macht man dann, wenn man sich mit dem Referenzieren von anderen Dateien beschäftigt. Also dann, wenn man Hyperlinks bespricht. Wenn man dann an Bilder geht, kann man auf dieses Wissen bereits zurückgreifen.
Das setzt aber kein Wissen über HTTP im Besonderen vorraus!
Diese »Pfade« sind allesamt (relative) URLs, und davon spreche ich unter anderem, wenn ich sage, man muss das Konzept von URLs kennen.
Aber bewusst muss es einem nicht sein. Die theoretische Reflexion kommt erst später. Wenn die verschiedenen Teile und ihre Abhängigkeiten beim Lernenden zusammenwachsen, dann kann man das "Konzept von URLs" auf einer Meta-Ebene ansprechen. Aber bis dahin werden einfach nur "Pfade" benutzt.
SELFHTML wollte sich absichtlich nicht auf das angeblich »Wesentliche« beschränken. Natürlich gibt es Kapitel, die nicht unmittelbar praktisch relevant sind, um schnell funktionsfähiges HTML zu produzieren. Das behaupten diese aber auch nicht.
Warum hebst Du dann den Umstand hervor, dass die eher theoretischen Abhandlungen über "wie das Web funktioniert" eben vor den einfachen Markup-Sachen wie <h1>Huhu!</h1> stehen? Meine Kritik ist, dass dieser Teil eben nicht zuerst an den Lernenden herangetragen werden sollte. Dass SELFHTML es von der Reihenfolge her anders macht, hat mich zu meiner Aussage gebracht. Als Lehrkraft gehe ich didaktisch eben anders vor - und nicht ohne Grund.
Eine bekannte kompaktere Einführung habe ich übrigens verlinkt.
Ein Anfänger will etwas tun. Und deswegen muss man ihn etwas tun lassen. Am besten als allererstes. Dann kann man über das Getane reflektieren, um es dann erneut zu tun, diesmal aber bewusst. Das ist ein bewährtes Grundprinzip beim Lehren. Auch Jendryschiks Einleitungen behandeln Dinge, die ich dem interessierten Leser gerne an anderer Stelle auf Wunsch verfügbar machen würde, nicht aber als Einstieg.
Wir kreisen eigentlich ständig um dieselbe Sache: Akademisches Lernen (wie z.B. an der Uni) funktioniert eben anders als schulisches Lernen. Mein Standpunkt hat schon seinen Sinn. Er basiert im Wesentlichen auf meinen Erfahrungen in der Schule mit Schülern, aber auch in der Erwachsenenbildung ist es sehr nützlich, zunächst auf dieselbe Art und Weise vorzugehen, um dann später im weiteren Verlauf zu differenzieren.
Alles Wesentliche ist eben für den Anfänger nur (hochtheoretisches und zunächst nicht nachvollziehbares, eher verwirrendes) Detail, das für den Anfänger Wesentliche ist dagegen für den Theoretiker und HTML5-Mitentwickler ein kleines Detail.
Von welchen hochtheoretischen Inhalten und von welchen Theoretikern redest du eigentlich?
Das war wieder aus der Perspektive eines Lernenden heraus formuliert. Anfängern schlackern ganz schnell die Ohren, wenn man ihnen zuviel Fach-Chinesisch auf einmal serviert. Diese Einleitungen sind doch das, was den Anfänger entweder abschreckt, oder was er ganz schnell überblättert (wenn auch mit schlechtem Gewissen), um endlich an den Kern der Sache zu gelangen.
Du behandelst also die Grundlagen von HTML, nachdem du HTML selbst behandelt hast?
Ja. Genau das. Zuerst gehen wir in den Streichelzoo und streicheln die Kaninchen. Dabei beobachten wir, wie sie auf das Streicheln reagieren, ob sie die von uns angebotenen Leckerli auch gerne annehmen, welche sie lieber mögen und wie sie überhaupt auf uns reagieren. Erst dann(!!!) betrachten wir uns die Tierchen genauer, untersuchen ihren Körperbau, die Länge ihrer Ohren im Verhältnis zum Rumpf und wie schwer sie im Verhältnis zu ihrer Körpergröße sind.
Mit HTML mache ich es genauso. Insbesondere mit dem Streicheln und den Leckerli. ;-)
Richtig ist: Ich kann mit Notepad <h1>Hallo Welt!</h1> in ein Textdokument schreiben, es als .html speichern und lokal im Browser ansehen, ohne sonst irgendeine Ahnung zu haben. Von »eine Website erstellen und publizieren« bin ich aber dann noch sehr weit entfernt.
Richtig. Lernen braucht Zeit, denn die Lernschritte wollen der Reihe nach gegangen werden. Es kann kein Schritt vor dem anderen gemacht werden. Abkürzungen im Lernen gibt es nicht. Wer etwas anderes behauptet, will nur etwas verkaufen.
Erst wenn er mit seinen Kenntnissen weiterkommen will, werden diese Grundlagen interessant, insbesondere, wenn er scripttechnisch die HTTP-Kommunikation zwischen Browser und Server feiner ausreizen will.
Wer redet denn davon? Ich rede von der Einbinding von Bildern und Stylesheets, dem Setzen von Hyperlinks usw.
Um einen Hyperlink zu setzen brauche ich keine Ahnung davon zu haben, wie HTTP funktioniert. Eventuell muss ich nur beachten, dass da "http://" vornedran steht (siehe oben). Warum es das muss, ist mir als Anfänger egal. Es ist eben so. Und das Warum interessiert mich in diesem Zusammenhang wirklich nicht! Als Anfänger will ich, dass es funzt. Und wenn es das tut, dann bin ich glücklich. Dann versuche ich es an anderer Stelle nocheinmal und freue mich, wenn es schon wieder funzt. Erst nachdem ich es geübt und begriffen habe, interessiere ich mich (vielleicht) dafür, was es mit HTTP auf sich hat.
Vielleicht ist Dir jetzt klarer geworden, warum ich so argumentiere, wie ich das getan habe. Ich möchte keinesfalls in Abrede stellen, dass für ein größeres Web-Projekt viel Grundlagenwissen nötig ist. Aber für den Anfang eines "HTML-Kurses" ist dieses Wissen der falsche Zeitpunkt. Wenn der Kurs dann in ein fortgeschritteneres Stadium (schön formuliert, gell?) gekommen ist, dann kann man die Dinge, die man bisher einfach so nach Anleitung gemacht hat, hinterfragen und mit Grundlagenwissen untermauern. Aber bitteschön immer nach dem Grundprinzip der Relevanz gehen und die Dinge erst dann behandeln, wenn die Lernenden sie in vorher erarbeitetes Wissen einsortieren können. Sonst ist das nicht gehirngerecht und macht das Lernen den Kursteilnehmern unnötig schwer.
Liebe Grüße,
Felix Riesterer.
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