@Rolf b
es gibt 3 Zonen, in denen sich die Benutzbarkeit einer Webseite aufhalten kann.
- Für alle Menschen benutzbar, die nicht im Koma liegen - sprich: die irgendwie im Stande sind, ihren eigenen Willen noch in irgendeine Form von Tat umzusetzen
- Immerhin noch für einige Menschen benutzbar, deren Sinne eingeschränkt sind
- Nur für diejenigen Menschen benutzbar, die über alle ihre Sinne verfügen
Gunnar gehört zu den Menschen, die eine Site als Nicht Benutzbar bezeichnen, wenn sie im Bereich 2 oder 3 liegt. Oder anders formuliert: Benutzbar ist, wenn der Autor alle Accessibility-Features und -Practices nutzt, die State-of-the-Art sind.
Das ist jetzt aber schon ein weites Feld. Es gibt zum Beispiel auch geistige Behinderungen. Ich denke nicht, dass Kategorie 1 realistisch abzudecken ist. Ich weiß auch nicht, ob Gunnar das behaupten würde. Aber gut, lassen wir das mal der Einfachheit halber beiseite. :)
Die Definition von „benutzbar“ ist schwierig, weil sie bedeutet, dass Seiten, die heute mit den bestmöglichen Accessibility-Features entwickelt werden, bei zukünftiger Entwicklung weiterer Features ihren Status von „benutzbar“ in „unbenutzbar“ ändern. Das mag als Gedankenexperiment statthaft sein, aber in so ziemlich allen praktischen Belangen halte ich die Betrachtungsweise für äußerst unversöhnlich und würde mir wünschen, derlei Sachverhalte gradueller zu betrachten. Es gibt eine Menge Abstufungen auf dem Weg hin zu einem ultimativen Benutzbarkeitsideal.
Ich ziehe deshalb auch den Begriff „zugänglich“ vor, der meines Erachtens auch die sehr viel korrektere Übersetzung von „accessible“ ist. Allein in der unterschiedlichen Wort-Verwendung zeigt sich vielleicht wieder, was ich anmerken will:
„Deine Seite ist nicht benutzbar“ ist keine auf technischer Ebene sachlich fundierte Aussage. Es ist im Prinzip ein Vorwurf auf ideologischer/moralischer Ebene. Das zumindest zaghaft mitschwingende In-Abrede-Stellen der technischen Kompetenz (ist etwas zu krass formuliert, ich weiß), eine funktionsfähige Webseite zu erstellen, ist dabei fast nur ein Bonus. Beziehungsweise wird kein Unterschied zwischen technischem und moralischem Anspruch gemacht. Das ist eine richtig heftige Anspruchshaltung, die oft völlig aus dem Blauen kommt und die im Grunde nahezu niemand irgendwo (im Webdesign und außerhalb) erfüllt oder auch nur erfüllen kann. (Sie ist zudem willkürlich, weil zum Beispiel auch der HTML-Syntaxumfang entsprechend kritisiert werden könnte.)
Ich schlage mal eine Alternative vor: „Um die Zugänglichkeit deiner Webseite zu verbessern, könntest du noch xyz machen.“ Das ist konstruktiv, kommt ohne Vorwürfe irgendeiner Art aus und trägt vor allem auch der Tatsache Rechnung, dass eine Seite, die nicht auf dem neuesten Stand der Accessibility-Features ist, dadurch trotzdem nicht zwangsläufig „unbenutzbar“ ist – selbst für Nutzer mit eingeschränktem Sehvermögen nicht.
Wenn man selbst ein Mensch ist, für den Kategorie 3 gilt, kann man sich die Probleme von Kategorie 2 oder gar 1 überhaupt nicht vorstellen. Man hat dann auch nicht unbedingt ein Gefühl dafür, wie viele Menschen es gibt, für die Kategorie 3 nicht gilt. Als unbehinderter Arbeitnehmer oder Freelancer kommt man mit solchen Menschen nur selten in Berührung und unterschätzt den Bedarf.
Deshalb meine Nachfrage im letzten Beitrag nach überprüfbaren Belegen und weiteren Informationen und Testmöglichkeiten zur Beurteilung der Zugänglichkeit einer Seite. Reine Behauptungen und Hörensagen und „Vorwürfe“ schwächen meines Erachtens das Anliegen oder sind nicht so effektiv, wie sie sein könnten. Gerade dann, wenn man relativ klar ideologisch argumentiert (oder eben auch gar nicht argumentiert, sondern nur behauptet), sollte man nachvollziehbare Fakten vorlegen, weil ja mehr oder weniger logisch ist, dass man einen subjektiven Schwerpunkt setzt, der vielleicht nicht von allen anderen Beteiligten in dem Ausmaß geteilt wird.
Es ist ja nicht so, dass es keine positiven Argumente dafür gäbe, den Umfang an Accessibility-Features zu erweitern. Es gibt daher eigentlich keinen Grund, so negativ gegen die Arbeit anderer zu argumentieren.
Es ist dann vor allem auch schwierig, die Benutzbarkeit der eigenen Seite zu testen. Weil man zunächst einmal gar nicht weiß, wie jemand mit Behinderungen die Seite bedient.
Genau. Und das kann man doch zum Beispiel sicherlich vermitteln.
Daraus resultieren dann Aussagen wie die von Fritz, dass es eine lässliche Sünde ist, diesen Personenkreis für die eigene Website nicht zu berücksichtigen.
Ich habe auch so meine Zweifel, ob Fritz wirklich an einem sachlichen Thread interessiert war… Deshalb will ich ihn/sie eigentlich nicht in Schutz nehmen. Man hätte jedoch wesentlich früher auf den Lesefehler zwischen form
-Attribut und form
-Element hinweisen können, statt ihn/sie nur immer wieder auf diese Stelle zu stoßen. (Ich hatte ehrlich gesagt auch schon einige Minuten ungläubig in der HTML-Doku rumgewühlt, bis ich bemerkt habe, dass die von einem Attribut sprechen.)
Die Frage, ob es eine lässliche Sünde ist, einen Personenkreis nicht oder nicht gezielt zu berücksichtigen, lasse ich für den Moment unkommentiert.
Ich gehe jedenfalls mit der These nicht mit, dass es für Sehbehinderte unmöglich sei, eine halbwegs ordentlich geschriebene HTML-Seite (oder konkreter ein halbwegs ordentliches HTML-Formular) zu bedienen, die (das) ohne besonderes Augenmerk auf Accessibility-Features auskommt. Das kann ich in der Form einfach nicht glauben.
Ich widerspreche dem aber auch nicht explizit und würde mich deshalb darüber freuen, wenn zu dem Thema weniger mit „das ist so“ argumentiert würde. :)