Zu diesem Artikel hat Michael - schon regelrecht kongenial - weitere, eigene Gedanken beigesteuert.
So, nachdem ich *endlich* mal wieder Zeit dazu finde, den Rechner daheim einzuschalten, hier nun also die Mail, die diesen Thread losgetreten hat.
Ich habe versucht, nachträglich die Stellen als Zitate einzufügen, auf die sich meine Anmerkungen beziehen, weil anderen Lesern (inklusive mir selbst) das Thema vielleicht weniger klar ist als den Autoren selbst. (Der gesamte Thread hier im Forum beschäftigt sich m. E. hauptsächlich mit eBooks, meine Mail fast ausschließlich mit anderen Themen ...)
Hi Kess, hi Stefan,
ich finde Euren Dialog zwar anstrengend (auch diese Art der "Navigation" muß man erst lernen), aber sehr erfrischend.
Am besten finde ich die lockere Art, in der die gestreiften Themen nicht als absolute Wahrheit verkauft, sondern als Häppchen dargereicht werden. ("Der Teufel ist nicht der Fürst der Materie, der Teufel ist die Anmaßung des Geistes, der Glaube ohne ein Lächeln, die Wahrheit, die niemals vom Zweifel erfaßt wird." - William von Baskerville in "Der Name der Rose")
Das kostet dann leider die Hoffnung, das gesamte Werk in geschlossener Form verarbeiten, "begreifen" zu können ... man kann nicht alles haben.
Ich habe mal mitgeschrieben, was mir beim Lesen alles eingefallen ist:
Papier vs. eBook:
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"Aber so ein Gerät kann doch nicht
das Erlebnis eines Buches ersetzen", rufen sie
»» einem entsetzt entgegen,
Ich kann immer mal wieder an meinem Bücherregal vorbeigehen und das Auge über die Rückseiten schweifen lassen - das weckt Erinnerungen, in Sekunden fliegt das Thema eines seit Jahren nicht gelesenen Buchs an mir vorbei. Wie genau mache ich das mit dem eBook?
Handling von Bild und Wort:
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Ein Bild sagt mehr als tausend Worte - sagt
man. Aber ein Bild braucht auch mehr Speicher
als tausend Wörter, sowohl auf Festplatten als
auch in Köpfen. Und ein Wort kann, wenn es sich
in einem lebendigen Kopf entfaltet, tausend
Bilder "on the fly" erzeugen.
Bild und Wort funktionieren unterschiedlich. Wörter werden sequentiell aufgenommen (geführter Dialog), Bilder werden erforscht (flow). Keines der beiden kann das andere ersetzen. (Drück mal die Mona Lisa in Worten aus, oder SELFHTML als Bild ...)
Wir lernen in der Schule, mit Wörtern umzugehen; deshalb ist die Kommunikation dort zuverlässiger, Fehler leichter erkennbar bzw. behebbar.
Den Umgang mit Bildern lernen wir nicht zwingend (ich habe fast nur Musikunterricht gehabt, kaum Kunstunterricht - so sieht meine Homepage ja auch aus ...), deshalb ist die Kommunikation dort zufälliger, aber auch nicht so "verbissen" (ich kenne kein Äquivalent für "Rechtschreibfehler" in Bildern).
Kontextsensitivität:
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Wörterketten, Sätze, mit denen du mich
konfrontierst, assoziieren Bilderketten
in mir, die zwar ganz persönliche Codes sind,
mich dafür aber sehr zuverlässig und präzise
das Gemeinte empfinden lassen. Konfrontierst
du mich dagegen mit einem Bild und sagst
nichts dazu, ist es noch lange nicht klar,
ob ich herausbekomme, was genau du mir mit
dem Bild sagen willst.
Worte ohne Kontext sind genauso untauglich für die Kommunikation wie Bilder ohne Kontext. Ihr seht es ja an den gestellten Fragen im Forum.
Symbolsprachen wie Verkehrsschilder etc. funktionieren nur genau wegen des "eingebauten Kontextes".
Werbung:
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Jede Werbung, egal wie gut sie ist, benutzt
Worte, Schlagworte oder Phrasen, um eine
Verbindung zu ziehen zwischen dem
visualisierten Versprechen und dem beworbenen
Produkt. Warum reicht die Einbindung des
Produktes in die Darstellung nicht aus?
Bilder sind wesentlich komplexere Informationseinheiten als Worte. Bei Werbung kommt es aber auf Einprägsamkeit und Wiedererkennbarkeit an, und die lebt von der Einfachheit des Begriffs. Worte sind da besser geeignet.
Es gibt nicht viele komplexe, aber gut wiedererkennbare Werbeslogans. (Beispiel für ein solches: Die Idee von "01013" mit Holmes, Watson und den Zehen - ich erinnere mich allerdings *nur* an die Story, nicht etwa an die Firma, irgendwas macht die also verkehrt ... ;-)
Manipulation:
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In den Überlegungen von Adorno & Co geht es
halt auch um die Manipulierung und
Manipulierbarkeit der Menschen.
Manipulation geht mit Worten ebenso wie mit Bildern. (3. Reich)
Attraktivität von Bildern auf Webseiten:
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Übertragen wir das doch mal auf Webseiten ...
Ich denke, der menschliche Geist orientiert sich leichter an Bildern als an Worten, weil ersteres ihm angeboren und letzteres ihm anerzogen ist.
Bilder zu erkennen gehört zu seiner Natur, darauf basieren seine Reflexe; Worte zu erkennen gehört zu seiner Bildung, darauf basiert sein Intellekt. Letzerer ist einfach weniger durchschlagkräftig. (Leider.)
Aussehen von Webseiten:
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Diese Voraussetzungen in Verbindung mit der
Möglichkeit, durch Bilder Aufmerksamkeit zu
erregen, ist vermutlich der Grund, warum die
meisten Webseiten heute so aussehen wie sie
aussehen: wie eine kunterbunte Plakatwand, auf
der meist nur noch mit Mühe das durchgängige
Layout zu erkennen ist.
Ich denke, die meisten Webseiten sehen aus, wie sie aussehen, weil sie von Leuten gemacht werden, die den Unterschied zwischen Text und Bildern nicht verstanden haben und nicht begreifen, daß sie besser für beide Bereiche eine explizite Ausbildung genossen hätten.
Ich würde gerne mal eine Website sehen, bei der ein Autor bzw. Regisseur eines TV-Werbespots die Möglichkeit zur Mitsprache hatte. Der würde wenigstens mal ein paar unangenehme Fragen stellen, wie z. B. "Was wollen wir eigentlich erreichen?" ...
Videoclips:
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Die letzte Konsequenz davon ist die Endlos-
Aneinanderreihung von Videoclips mit irrwitzig
schnellen Bildfolgen, so wie man es in MTV
stundenlang über sich ergehen lassen kann.
MTV reproduziert m. E. nur noch gedankenlos das, was in Koyaanisqatsi oder 2001 noch eine Kunstform war.
In gewisser Weise ist die Überforderung der Aufnahmefähigkeit aber sicherlich Absicht, weil damit ein ähnlicher Effekt erzielt wird wie auf Ecstasy, was die Wirkung der konsumierten Musik beeinflußt. Ich denke, das hat nichts mit Zapping zu tun. Videoclips sind das passive Überflutetwerden mit Information; Zapping ist das lustlose, aber aktive Surfen durch die Kanäle.
Hypertext:
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Der Übergang von Text zu Hypertext ist fast so
wie der Übergang von loser Landbesiedelung
zum Städtewesen: Topics entstehen, und zwischen
ihnen Verkehrswege, die sogenannten Hyperlinks.
Leider kommen noch nicht alle User damit
zurecht. So gibt es viele ruhelose Cityhopper,
in elektronischen Medien "Zapper" genannt.
Natürlich kommen viele Leute nicht damit zurecht, wenn sie den "geführten Dialog" des normalen Textes verlassen und in die "Flow"-Version des Hypertextes wechseln müssen. Das lernen sie genauso wenig wie das Betrachten von Bildern. Insbesondere lernen sie es *nicht* beim Fernsehen, welches selbst wiederum ein geführter Dialog ist!
Noch schlimmer: Während die Beziehung zwischen Bildteilen eine flexible, konkrete ist, ist die Beziehung zwischen Hypertextinformationen eine
feste, abstrakte. Man kann sie also nicht "intuitiv" begreifen, sondern man muß sie lernen - indem man die Abstraktion aufnimmt, die damit
ausgedrückt wird. Dazu muß man aber abstrakt denken.
Liest man einen Roman, dann denkt man nicht an die Kapitelstruktur, sondern surft auf dem Roten Faden der Handlung - das geht bei Hypertext in keinster Weise.
Auch das hat m. E. nichts mit Zapping zu tun, denn Zappen ist das Traversieren von Zufallslinks (übersetzt in das Hypertext-Universum).
Der Hypertext-Clicker dagegen sollte wissen, was ihn erwartet, wenn er auf einen Link clickt - er entscheidet sich *für* einen anderen Handlungsstrang, während der TV-Zapper sich nur *gegen* den bestehenden entscheidet. Ich stimme Kess hier zu, daß das Surfen bewußter ablaufen wird, wenn der link möglichst gut "qualifiziert" ist. (Icon, Tooltip etc. - sollte <LINK> nicht eigentlich genau dies leisten?)
Angewendet wird es deshalb nicht, weil zu wenige Autoren sich in die Perspektive ihrer Besucher versetzen können und begreifen, *wie* diese ihre Seiten lesen ... ein Buch zu schreiben ist viel leichter, weil man den Leser zwanghaft auf eine Reihenfolge der Informationen festlegen kann.
Ich halte nichts davon, "den Hypernervösen die Ruhe wiederzugeben". Das kommt mir vor, als würde ich einen Film so schreiben, daß kein Zuschauer bei einer Werbepause zappt, also einen Spannungspunkt alle 20 Minuten und direkt dort dann die Werbung einblenden. Genauso gut kann ich mir vornehmen, daß alle Kapitel gleich viele Buchstaben haben müssen - das käme mir ähnlich bescheuert vor.
Distanz:
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Die Grenzen zwischen den "Topics" verschwimmen
aber auch im realen Raum immer stärker, oder
sagen wir, der reale Raum wird auch immer eher
wie ein Hyperraum empfunden, in dem
Entfernungen an Bedeutung verlieren, weil die
Zeit, um die Entfernung zurückzulegen,
»» Kapriolen schlägt.
Mein Verstand signalisiert mir bei nicht zusammenhängenden Thematiken keineswegs irgend eine inhaltliche Nähe.
Genau wie bei der räumlichen Distanz gibt es (für mich) eine "intellektuelle Distanz" zwischen zwei Gedanken. Distanz nehme ich als denjenigen Aufwand wahr, den zu erbringen ich gezwungen werde - bei körperlicher und geistiger Distanz gleichermaßen.
Ich reagiere furchtbar empfindlich darauf, wenn jemand an einer interessanten Stelle einer Diskussion ohne Vorwanung das Thema wechselt - das hat übrigens überhaupt nichts mit der Verwendung irgendeines Mediums zu tun. (Genauso wenig wie die exakte Verwendung von Worten - die hat etwas mit Übung und Wertschätzung zu tun.)
Man kann Hyperlinks sinnvoll und sinnlos setzen, also mit wenig oder viel inhaltlicher Distanz.
Basar:
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Die Nähe der Buden auf dem Basar. Sie bieten
zum Teil völlig Unterschiedliches an, obwohl
sie nah beieinanderstehen.
Immerhin - wer mag sie nicht, die Atmosphäre
eines Basars, diese vielen Gerüche, Düfte,
Stimmen und Farben.
Die Navigation auf einem Basar entspricht wieder dem "flow", der individuellen Zielsuche. Der ist allerdings nur dann möglich, wenn die Zahl der Stände den Betrachter nicht überfordert.