Wolfgang Wiese: Interessenvertretungen und Gewerkschaften FUER Webworker

Hallo,

ich moechte meine Message http://www.teamone.de/selfaktuell/forum/messages/87886.html etwas
vertiefen, da dies thematisch interessant und moeglicherweise zukünftig wichtig sein wird.

In der Message ging es darum, dass ich es für ein schlechtes Zeichen
für einen Internet-Dienstleister halte, wenn dieser seine Mitarbeiter laenger als X Stunden
am Tag arbeiten läßt und es Dummheit ist von Mitarbeitern dies mitzumachen.

Fakt ist jedoch, das viele junge Firmen dies dennoch tun um möglichst schnell
möglichst erfolgreich zu werden, was auch die Mitarbeiter selbst wollen.
Jeder glaub im Internet eine Goldschmiede zu sehen und sich selbst als junges
unenddecktes Genie, das nur eine Idee weg ist vom großen Erfolg.

---->  Doch wohin führt dies?  <----

Ideen gehen schneller durchs Netz als die tote Mücke von gestern Blut saugen kann.
Wenn man Internet-Millionär werden will, dann reicht die gute Idee laengst nicht mehr.
das war einmal.
Stattdessen ist konstante Arbeit gefragt. Arbeit, die sich aber unter Umstaenden erst nach
Jahren bezahlt macht, indem man einen breiten Bekanntheitsgrad erreicht hat.

Dennoch schuften sich viele Leute kaputt, aus falsch verstandenen Enthusiasmus
in der wagen Hoffnung nach 5 Jahren ausgesorgt zu haben.

Aber in 5 Jahren kann nicht jeder reich sein. Aber der Körper und das soziale
Umfeld beginnen sich spätestens dann zu rächen!

Was also hindert mich als Webworker daran mich selbst auszubeuten? Meine
besten Jahre für das Unternehmen oder für ein paar Seiten die nach 6 Monaten
eh veraltet sind, hinzuwerfen?

Vor einiger Zeit bzw. noch immer versuchen die etablierten Gewerkschaften
ins Netz zu kommen. Haben dabei aber übersehen das hier ein ganz anderen soziales und arbeitstechnischen Umfeld ist und kommen mit Thesen die nicht zu gebrauchen sind.
Dennoch, nicht alles ist falsch:
  - Wo ist die Sicherheit die ich habe, wenn ich bei einer Firma als Webworker
    arbeite, das ich nicht unter Lohn gehandelt werde?
    Im Moment suchen die ja verzweifelt.
    Aber das bleibt nicht so! In spaetestens 5 Jahren gibt es genug Konkurrenz.

Die Idee einer Gewerkschaft oder einer Interessenvertretung ist von daher nicht
ganz so schlecht.

Wenn eine Firma erst die Auswahl aus x Webworker hat, dann können sie
auch Beginnen DUmpinglöhne zu zahlen oder extreme Arbeitsbedingungen
einzufordern.
Jetzt sieht man es bereits schon bei den Firmen, wo es doch unschicklich ist,
wenn man nicht ebenso wahnsinnig wie die anderen 16 STunden lang und
mehr an der Röhre klebt.
Das ist Gruppenzwang und macht einen körperlich kaputt.

Wenn man da nicht mitmachen will, kann man ja gehen..........

Muß man dies so stehen lassen?

Ciao,
  Wolfgang

  1. Yo!

    Was soll das denn bringen? Gewerkschaften haben nie was geschafft und labern nur scheiß.
    Mir macht meine Arbeit Spass und deswegen bleib ich dann auch mal 17 Stunden da.
    Wenn du da nicht mithalten kannst, kannst du ja bei Strato anfangen.

    • T.
    1. Hi,

      Wenn du da nicht mithalten kannst, kannst du ja bei Strato anfangen.

      Eben diese EInstellung ist ein Problem dabei!
      Stell dir vor du arbeitest fuer einen Jungunternehmer der unbedingt seine Firma top sehen will
      und mit 35 in Rente will und dafür dann VOR dir kommt und NACH dir geht.
      Und stell dir dann vor, du willst irgendwann mal in der Abteilung befördert werden....

      Ganz nebenbei sind die Überstundenlöhne gering bis garnicht, weil es ja Spass macht
      und ne Freundschaftsleistung ist und für die Rente mit 35 fuer den Chef ja Geld da sein
      muß.

      Wenn du alleine lebst mag das ja noch gehen.

      Aber wenn du mal eine Familie hast ?
      Da kannst du nicht einfach nicht dauernd nur arbeiten, sondern willst auch für  
      deinem Partner zeit haben oder für die Kinder?

      Und dann erzähl mal diesen Jungunternehmer von Chef das du keinen Bock mehr auf
      unbezahlte Überstunden hat.

      Ciao,
        Wolfgang

  2. Moin
    »

    Vor einiger Zeit bzw. noch immer versuchen die etablierten Gewerkschaften
    ins Netz zu kommen. Haben dabei aber übersehen das hier ein ganz anderen soziales und arbeitstechnischen Umfeld ist und kommen mit Thesen die nicht zu gebrauchen sind.

    Spannend, dass du das gerade heute abend hier schreibst. Ich lese heute abend gerade den Satzungentwurf der (deutschen) Gewerkschaft ver.di durch, einer vereinigten Dienstleistungsgewerkschaft, die aus den bisherigen Gewerkschaften DAG, DPG, HBV, IG Medien und ÖTV die 2000/2001 entstehen soll.

    Diese Gewerkschaft wird sowohl regional in Landes- und Kreisverbände als auch sektoral nach Fachbereichen gegliedert sein. Und neben vielen anderen Gruppen (Finanzdienstleistungen oder Ver- und Etnsorgung oder Gesundheit, soziale Dienste, Wohlfahrt und Kirchen oder ... - insgesamt sind es 13 Gruppen) gibt es auch die Gruppe "Kunst und Kultur, Medien, Druck und Papier, industrielle Dienste und Produktion" sowie die Gruppe "Telekommunikation, Informationstechnologie, Datenverarbeitung". In diesem Gruppen werden sich wohl die meisten der Berufe und Beschäftigungsverhältnisse, die ich dem Bereich "neuer Markt" zuordnen würde, wieder finden. Also auch die "Webworker".

    Die Idee einer Gewerkschaft oder einer Interessenvertretung ist von daher nicht
    ganz so schlecht.

    Du hattest es zuvor ja schon gut beschrieben. Wenn der Hype erst mal verflogen ist, der Kater, der Alltag und seine typischen Sorgen und Nöte bewusst werden, wird die Sorge, eine starke Interessenvertretung haben zu wollen, erst bewusst. Dann ist es aber zu spät zum Handeln.

    Was sind also die Möglichkeiten

    eigene Interessensvertretung?
    Das hört sich für mich nach Debattierklub und Fortbildungswerk an. Wohl kaum etwas was, um die von dir beschriebenen Problem und Gefahren gewältigen zu können. Ein Zahnloses Ungeheuer halt.

    eigene Gewerkschaft?
    Gewerkschaften sind Kampforganisationen. Sie erstreiten durch gute Argumente und das Kampfmittel Streik Rahmenbedingungen der Arbeitswelt: Gehalt (es gibt in D in der Regel kein gesetzliches Mindestgehalt), Urlaub (gesetzlich sind nur 18 Tage drin), Lohfortzahlung im Krankheitsfall (auch hier sind die tariflichen Bedingungen zumeist wesentlich besser als die gesetzlichen, zuletzt von der Regierung Kohl zusammen gestrichenen Lestungen) etc. etc.
    Wer eine Gewerkschaft gründen will, dem sollte klar sein: Papiertiger werden kein starken Verhandlungspartner sein, Organisationsquoten über durchschnittlich 40 Prozent werden wohl das Mindestmaß sein, um sich überhaupt erst mal Gehör zu verschaffen (Nachher kann die Quote ruhig weniger werden: Wer erst mal im Geschäft ist, wird auch von den AG als Regulativ akzeptiert. Im Banken- oder Versicherungsbereich sind die Organisationsquoten teilweise unter der Peinlichkeitsgrenze, gleichwohl wird das Prinzip der Tarifverhandlungen auch von den AG nicht wirklich ernsthaft in Frage gestellt)
    Und selbst bekannte Kleingruppen wie die Piloten-Organisation Cockpit oder die Ärzte-Organisation Marburger Bund sind schon längst nicht mehr eigenständig sonder haben enge Kooperationsmodelle mit den etblierten Gewerkschaften eingegangen, um überleben zu können.

    Gwerkschaft anschließen?
    Nach dem eben gesagten scheint mir das die realistische Alternative zu sein. Solange ver.di noch im werden ist, wird viel Bewegungsfreiraum sein. Den kann man nutzen.

    Da Gewerkschaften aber nun mal Mitgliedorganisationen sind, sollte man bitte, Wolfgang, nicht darüber klagen, dass sie "Thesen die nicht zu gebrauchen" sind fordern, sondern einsehen, dass sie das schon deshalb nicht können, weil die, die die Bedürfnissen formulieren könnten, nicht drin sind. Die einzigen, die definieren können, was sie brauchen, sind die Webworker selbst. Wenn _sie_ nicht handeln, haben sie weder moralisch noch tatsächlich das Recht, sich über irgendwas zu beschweren.

    Muß man dies so stehen lassen?

    Wer, wenn nicht ihr und wann, wenn nicht jetzt?
    Ihr müsst nur aufstehen.

    Viele Grüße

    Swen
    Der weiss, was er sagt, da er über sechs Jahre aktiv auf Bundes- und Landesebene Gewerkschaftsarbeit gemacht hat.

  3. Hi Wolfgang,

    ein paar Gedanken meinerseits dazu:

    Im Augenblick ist für eigentlich alle im IT-Bereich Gewerkschaft kein Thema, weil "man ja eh gut verdient". Keiner verschwendet einen Gedanken daran, was in ein paar Jahren sein wird.
    Das hat zwei Konsequenzen:
    1. Leute, die heute gut verdienen und sich nicht um das Thema "gewerkschaftliche Organisation" zu kümmern müssen glauben, werden möglicherweise in ein paar Jahren ziemlich dumm aus der Wäsche schauen, wenn der heutige Arbeitskräftemangel verschwunden ist und Dumpinggehälter gezahlt werden. Und dann laufen sie Gefahr, dass die Gewerkschaften ihnen nicht helfen können, weil:
    2. in den Gewerkschaften kein oder wenig Know-how über den IT-Bereich vorhanden ist. Wie auch? Dieses Know-how kann ja nur entstehen, wenn Gewerkschafter aus diesem Bereich nicht nur vorhanden, sondern auch aktiv sind.

    Im Augenblick ist es ja noch so: eine Firma, die nicht gut zahlt oder deren Arbeitsbedingungen schlecht sind, wird "indirekt" bestreikt - die Mitarbeiter gehen einfach wo anders hin. Aber ich glaube auch nicht, dass das ewig so bleiben wird. Also muss eine entsprechende gewerkschaftliche _heute_ aufgebaut werden, damit sie _dann_ funktionieren kann. Also Leute: rein in die IG Medien bzw. dann ver.di, und: nicht nur Beiträge zahlen, sondern engagieren!

    Grüße,

    Utz (der endlich mal den Mitgliedsantrag abschicken sollte)

    BTW: Wolfgang, bist Du nicht selber Unternehmer? Wie kommt's, dass Du solches Gedankengut pflegst?

  4. Hallo,
    ich finde, dass dieses Problem noch etwas grundsätzlicher betrachtet werden muss. Es gibt doch inzwischen viele Bereiche, in denen die Gewerkschaften keine Rolle spielen - gerade in den hochwertigen und technischen Dienstleistungen. Die Ursache dafür liegt m.E. in einer völlig verfehlten Gewerkschaftspolitik, deren Auswirkungen man in pubertären Äußerungen wie die von Thomas vom 21.7. nachlesen kann. Und natürlich in Gehältern, von denen man glaubt, sie würden so etwas wie Solidarität als einen Begriff aus dem vorletzten Jahrghundert erscheinen lassen können. Hier ist man einander vorbei gelaufen, die Gewerkschaften und die Beschäftigten in den Avantgarde-Bereichen. Für die Gewerkschaften waren die neuen Firmen und deren Beschäftigte entweder Klassenfeinde oder unwichtige Größen. Für die Beschäftigten waren die Gewerkschaften unflexible, funktionärs-egoistische, zum Absterben verdammte Groß-Organsiationen. Ob nun die Mammutgewerkschaft verdi diesen Ansichten entgegentreten kann, wage ich zu bezweifeln - hier müssen neue Formen her. Und warum sollte nicht in konzertierten Aktionen vieler Web-Worker das Netz streikähnlich lahmgelegt werden können? Nur wie bündelt man diese Interessen? Wie organsiert man sie? Wie und wo wird über so etwas abgestimmt. Vielleicht bittet ja das Netz selbst hier Antworten.

    Jan